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Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01 Der Dichter
#1
Der Dichter

Lebensziel


Dem leeren Buch vergleich’ ich unser Leben,
Das wir mit Inhalt erst zu füllen haben;
Dem leeren Kelch, drein, soll sein Trank uns laben,
Wir gießen müssen selbst das Gold der Reben.

Nach hochgestecktem Ziele gilt’s zu streben,
Dafür zu opfern unsre besten Gaben;
Nur dieses macht uns übers Tier erhaben,
Vermag dem Dasein Wert und Zweck zu geben.

So winkt auch mir ein hohes Ziel im weiten,
Das ich zum Hafen meines Seins erwähle,
Zeitlebens sonder Wank ihm nachzuschreiten.

Auch weiß ich keinen Grund, daß ich’s verhehle:
Den Kranz des Dichters wünsch’ ich zu erstreiten,
Mich einzusingen in des Volkes Seele.



.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#2
Was ich dichte

Mir widerstrebt’s, auf reiner Dichtkunst Schwingen
Zu nie genoss’nen Freuden aufzuschweben;
Was ich besing’, ich mußt’ es stets erleben,
Und was ich selbst erlebt nur, mag ich singen.

Nur selten wird mir’s und im Zwang gelingen,
Aus ganz erdachter Lust ein Lied zu weben;
In meinem Glücksdurst ist mein höchstes Streben,
Die Dichtung all zur Wirklichkeit zu zwingen.

Drum nehmt für wahr und wirklich, was ich dichte,
Und nicht für selbsterheckte Traumgesichte,
Nehmt alles für Erlebnis, für Geschichte!

Was nützte mir die Kunst der ganzen Erde,
Sollt’ ich ein Leben fristen gleich der Herde
Und nicht gebieten jedem Wunsche: werde!
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#3
Dichtermoral

Das dünkt mich nicht der wahrhaft große Dichter,
Der zwar vom Schönen, wahren, Guten schreibt,
Doch selber weit zurück dahinter bleibt,
Gen andre streng, sich selbst ein milder Richter.

Das ist des eignen Worts und Werts Vernichter,
Der anders predigt, anders lebt und leibt,
Den einzig Eitelkeit zum Dichten treibt,
Nicht wahrer Kultus jener Himmelslichter.

Dem echten Dichter sei das höchste Streben,
Dem reinen Ideal, das er verkündet,
Nach besten Kräften treulich nachzuleben.

Auf ihn zunächst käm’s, den Beweis zu geben,
Daß seine Lehr’ auf Möglichkeit gegründet
Und nicht ein lustig eitles Wolkenweben.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#4
Inhalt und Form

Der blose Inhalt macht noch kein Gedicht,
Um dessen Wert den Dichter man beneide;
Es gleicht dem Fürsten im Bedientenkleide,
Man kennt ihn nicht und sieht den armen Wicht.

Doch auch die bloße Form noch macht es nicht,
Wie groß auch sei des äußern Sinnes Weide;
Es gleicht dem Diener dann in Samt und Seide,
Er ist entlarvt, erwägt man, was er spricht.

Der bloße Inhalt ist der Wein, meim Mahle
In Tongefäßen dargereicht den Gästen;
Die bloße Form die edle, gold’ne Schale,

Mit Wasser angefüllt bei trunk’nen Festen;
Der gold’ne Wein schmeckt nur im Goldpokale
Und schöner Geist in schöner Form am besten.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#5
Geheimnis des Schaffens

Wie kommt es, daß, solang ich schaffe, dichte,
Mir, was ich hinschreib’, stets erbärmlich sheint,
Mein Urteil stets im Lauf der Arbeit meint,
Das schlecht mein Werk, das ich’s zuletzt vernichte?

Und wenn nach Stund’ und Tag ich drüber richte,
Wie kommt’s, daß nun mein Tadel wird verneint,
Daß alles sich zum Ganzen trefflich eint,
Daß ich’s nun seh’ in günstig mildem Lichte?

Ist’s, weil das Schlecht’ste, oft und oft gelesen,
Am Schlusse doch Gefallen weckt und Lust,
Zumal wir meist verliebt in unser Wesen?

Ist#s, weil, wer just der Muse Kuß empfindet,
Das Rechte ausführt blind und unbewußt
Und erst nachher das Urteil wieder findet?
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#6
Des Dichters Priesteramt

Als Dichters Sendung gilt seit ält’ren Tagen:
Der Menschheit Jubeln und ihr ganzes weinen
Im tiefsten Herzen liebend zu vereinen,
Mit gleichem Anteil singend Lust und Klagen.

Doch mir indes will anders, muß ich sagen,
Hienied’ des Dichters Priesteramt erscheinen:
Er soll das Weh verwinden und verneinen,
Durch Licht zur Freude soll sein Lied uns tragen.

Der Dichter lebe mit dem Schmerz im Streite,
Sei Hort und Tröster zweifelndem Geschlechte,
Nicht mitsamt seiner weichen Jammers Beute.

Er schau’ die Sonne selbst in schwarzer Wolke,
Und, ausgestreckt nach ihr die Priesterrechte,
Weis’ er den Weg des Lichtes seinem Volke!
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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