Sonett-Forum
Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01 Der Dichter - Druckversion

+- Sonett-Forum (https://sonett-archiv.com/forum)
+-- Forum: Sonett-Archiv (https://sonett-archiv.com/forum/forumdisplay.php?fid=126)
+--- Forum: Sonette aus germanischen Sprachen (https://sonett-archiv.com/forum/forumdisplay.php?fid=394)
+---- Forum: Deutsche Sonette (https://sonett-archiv.com/forum/forumdisplay.php?fid=398)
+----- Forum: Autoren K (https://sonett-archiv.com/forum/forumdisplay.php?fid=625)
+------ Forum: Ottokar von Kraft (https://sonett-archiv.com/forum/forumdisplay.php?fid=704)
+------ Thema: Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01 Der Dichter (/showthread.php?tid=29801)



Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01 Der Dichter - ZaunköniG - 11.02.2024

Der Dichter

Lebensziel


Dem leeren Buch vergleich’ ich unser Leben,
Das wir mit Inhalt erst zu füllen haben;
Dem leeren Kelch, drein, soll sein Trank uns laben,
Wir gießen müssen selbst das Gold der Reben.

Nach hochgestecktem Ziele gilt’s zu streben,
Dafür zu opfern unsre besten Gaben;
Nur dieses macht uns übers Tier erhaben,
Vermag dem Dasein Wert und Zweck zu geben.

So winkt auch mir ein hohes Ziel im weiten,
Das ich zum Hafen meines Seins erwähle,
Zeitlebens sonder Wank ihm nachzuschreiten.

Auch weiß ich keinen Grund, daß ich’s verhehle:
Den Kranz des Dichters wünsch’ ich zu erstreiten,
Mich einzusingen in des Volkes Seele.



.


RE: Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01/02 Was ich dichte - ZaunköniG - 20.06.2024

Was ich dichte

Mir widerstrebt’s, auf reiner Dichtkunst Schwingen
Zu nie genoss’nen Freuden aufzuschweben;
Was ich besing’, ich mußt’ es stets erleben,
Und was ich selbst erlebt nur, mag ich singen.

Nur selten wird mir’s und im Zwang gelingen,
Aus ganz erdachter Lust ein Lied zu weben;
In meinem Glücksdurst ist mein höchstes Streben,
Die Dichtung all zur Wirklichkeit zu zwingen.

Drum nehmt für wahr und wirklich, was ich dichte,
Und nicht für selbsterheckte Traumgesichte,
Nehmt alles für Erlebnis, für Geschichte!

Was nützte mir die Kunst der ganzen Erde,
Sollt’ ich ein Leben fristen gleich der Herde
Und nicht gebieten jedem Wunsche: werde!


RE: Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01/03 Dichtermoral - ZaunköniG - 22.06.2024

Dichtermoral

Das dünkt mich nicht der wahrhaft große Dichter,
Der zwar vom Schönen, wahren, Guten schreibt,
Doch selber weit zurück dahinter bleibt,
Gen andre streng, sich selbst ein milder Richter.

Das ist des eignen Worts und Werts Vernichter,
Der anders predigt, anders lebt und leibt,
Den einzig Eitelkeit zum Dichten treibt,
Nicht wahrer Kultus jener Himmelslichter.

Dem echten Dichter sei das höchste Streben,
Dem reinen Ideal, das er verkündet,
Nach besten Kräften treulich nachzuleben.

Auf ihn zunächst käm’s, den Beweis zu geben,
Daß seine Lehr’ auf Möglichkeit gegründet
Und nicht ein lustig eitles Wolkenweben.


RE: Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01/04 Inhalt und Form - ZaunköniG - 24.06.2024

Inhalt und Form

Der blose Inhalt macht noch kein Gedicht,
Um dessen Wert den Dichter man beneide;
Es gleicht dem Fürsten im Bedientenkleide,
Man kennt ihn nicht und sieht den armen Wicht.

Doch auch die bloße Form noch macht es nicht,
Wie groß auch sei des äußern Sinnes Weide;
Es gleicht dem Diener dann in Samt und Seide,
Er ist entlarvt, erwägt man, was er spricht.

Der bloße Inhalt ist der Wein, meim Mahle
In Tongefäßen dargereicht den Gästen;
Die bloße Form die edle, gold’ne Schale,

Mit Wasser angefüllt bei trunk’nen Festen;
Der gold’ne Wein schmeckt nur im Goldpokale
Und schöner Geist in schöner Form am besten.


RE: Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01/05 Geheimnis des Schaffens - ZaunköniG - 26.06.2024

Geheimnis des Schaffens

Wie kommt es, daß, solang ich schaffe, dichte,
Mir, was ich hinschreib’, stets erbärmlich sheint,
Mein Urteil stets im Lauf der Arbeit meint,
Das schlecht mein Werk, das ich’s zuletzt vernichte?

Und wenn nach Stund’ und Tag ich drüber richte,
Wie kommt’s, daß nun mein Tadel wird verneint,
Daß alles sich zum Ganzen trefflich eint,
Daß ich’s nun seh’ in günstig mildem Lichte?

Ist’s, weil das Schlecht’ste, oft und oft gelesen,
Am Schlusse doch Gefallen weckt und Lust,
Zumal wir meist verliebt in unser Wesen?

Ist#s, weil, wer just der Muse Kuß empfindet,
Das Rechte ausführt blind und unbewußt
Und erst nachher das Urteil wieder findet?


RE: Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01/06 Des Dichters Priesteramt - ZaunköniG - 28.06.2024

Des Dichters Priesteramt

Als Dichters Sendung gilt seit ält’ren Tagen:
Der Menschheit Jubeln und ihr ganzes weinen
Im tiefsten Herzen liebend zu vereinen,
Mit gleichem Anteil singend Lust und Klagen.

Doch mir indes will anders, muß ich sagen,
Hienied’ des Dichters Priesteramt erscheinen:
Er soll das Weh verwinden und verneinen,
Durch Licht zur Freude soll sein Lied uns tragen.

Der Dichter lebe mit dem Schmerz im Streite,
Sei Hort und Tröster zweifelndem Geschlechte,
Nicht mitsamt seiner weichen Jammers Beute.

Er schau’ die Sonne selbst in schwarzer Wolke,
Und, ausgestreckt nach ihr die Priesterrechte,
Weis’ er den Weg des Lichtes seinem Volke!


RE: Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01/07 Auf meine Studierlampe - ZaunköniG - 30.06.2024

Auf meine Studierlampe

Du trautes Licht, das mir so manche nächte
In hellen Tag zu wandeln warst beflissen,
Das mir geleuchtet auf dem Pfad zum Wissen,
Mir Fackel warst in tiefste Geistesschächte;

Verkannter Stern geheimer Himmelsmächte,
Oft einzig Licht in Daseins Finsternissen,
Dein Lob zu singen treibt mich das Gewissen,
Denn auf mein Schaffen hegst du Helfersrechte.

O möcht’st du doch, das mir so oft geschienen
Beim Dichtersang in gottberauschten Stunden,
In ihm als Geisteslicht der Welt einst dienen,

Und du, o Lampe, noch in spät’sten Tagen,
Wann längst mein irdisch Teil hinweggeschwunden,
Ein Leuchtturm hoch in fernste Weiten ragen!


RE: Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01/08 Subjektivität - ZaunköniG - 02.07.2024

Subjektivität

Ihr tadelt mich mit kritisch finstern Mienen,
Daß meine Muse zu persönlich sei,
Daß ich zu gern mein eigen Konterfei,
Mich selber male mit dem Fleiß der Bienen.

In unsrem trock’nen Zeitraum der Maschinen,
Der Gleichheit aller – aller Sklaverei,
Gilts doppelt hoch, zu bleiben selbst und frei,
Statt nur als Rad im Räderwerk zu dienen.

Auch wahrlich fänd’ ich keinen Zweck im Leben,
Wär’s nicht des Einzelwesens Seinsentfaltng,
Des Menschen höchstes Ziel im Weltenweben.

Der Künstler vollends kennt kein andres Streben,
Als in gewaltig hoher Ich-Gestaltung
Sein selbstgemaltes Bild der Welt zu geben.


RE: Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01/09 Klärung - ZaunköniG - 04.07.2024

Klärung

Der Seichten spott’ ich, die nur rufen: Klärung!
In diese Ford’rung jedes Urteil zwängen;
Die jedes höh’re Stürmen, Jauchzen, Drängen
Nur unreif schelten, Jugendwahns Gewährung.

Von Klärung sprich, wer selbst gefühlt erst Gärung!
Allein was ist die blinden, stumpfen Mengen?
Begeist’rung, Liebe auf den Nagel hängen
Und leben hübsch der Pflicht und der Ernährung!

So nimmt’s die Masse! Soll ich so mich klären?
Nein, lieber ewig soll’s da drinnen gären,
Und ewig mög’ ich bleiben, der ich bin!

Wenn ich durch Kläung andres nicht erreiche,
Als daß ich jenen, die sie raten, gleiche:
Ist Klärung ein Verlust und kein Gewinn!


RE: Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01/10 Geständnis - ZaunköniG - 06.07.2024

Geständnis

Gestehn wir uns: uns läßt der Geist im Stiche,
Die deutsche Dichtkunst liegt gebannt im Schlummer,
Verurteilt wär’ zum kläglichsten Verstummer,
Wer heut’ den größten deutschen Sängern gliche.

Heut’ führen bloß Reklam’ und nied’re Schliche
Zu Ruhm empor, Genie zu Qual und Kummer,
Talent besiegt ein Kranker oder Dummer,
Der statt Gedanken bringt – Gedankenstriche.

O deutsche Dichtkunst, schlummernde Walküre,
Wo weilt dein Siegfried, der dich weckt, der Frohe?
O dürft’ ich selbst mich deinen Wecker nennen!

Nicht ziemt mir dies – Allein. bei Gott! ich spüre
Zu meinen Füßen längst die Waberlohe
Wildwütend mir um Leib und seele brennen.


RE: Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01/11 Dichtertrost - ZaunköniG - 12.07.2024

Dichtertrost

Seh’ ich im Volk, für das ich denk’ und dichte,
Mich unbekannt, wie seiner Kleinsten einen,
Genannt viel schlechtre Namen, nur nicht meinen,
Für mich verrichtet nur, was ich verrichte;

Seh’ ich, wie Plan um Plan mir wird zunichte,
Als der ich bin dem Volke zu erscheinen,
Verlag und Zeitung offen allem Kleinen,
Nur echtem Korn verschlossen und Gewichte;

Und sag’ ich mir zum Trost: heut’ oder morgen,
Nach zehn, nach zwanzig, fünfzig, hundert Jahren
Muß meine Art sich sieghaft offenbaren:

Ade dann Schmerzen, Ärger, Kummer, Sorgen!
Mich hat, liegt solch ein Ausblick vor mir offen,
Der Menschenlose größtes doch getroffen!


RE: Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01/12 Stolzes Gebet - ZaunköniG - 14.07.2024

Stolzes Gebet

Wie den Kometen auf der Weltenreise
Gewalt’ge Sonnen ziehn von seinem Gange,
Daß er, gehorchend fremder Riesen Zwange,
Oft unfrei ändert seine ew’gen Kreise:

So lenkt auch mich in meiner Sangesweise
Bald der, bald jener Stern vom ersten Range,
Er zieht mich an mit übermächt’gem Drange,
Und schwankend werden meiner Richtung Gleise.

Der Du die Geister lenkst und die Kometen,
Schreib’ eigne Ziele mir auf meine Fahnen,
Laß nicht Vasalln mich werden der Poeten!

Gib mir die Stärke jener großen Ahnen,
Daß ich, ob einsam auch und unbetreten,
Stets kraftvoll wandle selbsterschloss’ne Bahnen!


RE: Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01/13 Das fünfte Buch - ZaunköniG - 16.07.2024

Das fünfte Buch

Das fünfte Buch! Und ganz noch unbekannt!
So fremd der Welt, wie vor den ersten Zeilen!
Bewahrt vor Lob und vor des Tadels Pfeilen,
Leb’ ich verschollen, einsam, ungenannt.

Das fünfte Buch! Und so wird Band um Band
Nachfolgen noch, indes die Jahre eilen,
Und jeder wird des ersten Schicksal teilen,
Verschwinden spurlos, hingeweht im Sand.

Warum ich da noch schaffe, wirke, dichte?
Ist doch zu alt der Fall in der Geschichte,
Als daß ich nicht das Ende absehn sollte:

Den alten Kehrreim von den späten Kränzen,
Die auf den Schädeln toter Menschen glänzen,
Von denen nichts die Mitwelt wissen wollte.


RE: Sonette - in 12 Runden zu 14 Gedichten - 01/14 Sonett auf dem Kopfe - ZaunköniG - 05.08.2024

Sonett auf dem Kopfe

Ich habe nachgedacht, wie es beginnen,
Dem Publikum von heute zu gefallen
Und Leser und Kritik mir zu gewinnen.

Und da man heute spurlos hört verhallen,
Was du nach großen Mustern magst ersinnen,
Die selbst dem Spott des Zeitengeists verfallen;

Und da den Ruhm heut’ keiner faßt beim Schopfe,
Der altes Garn rollt um der Dichtkunst Spule,
Und da nur groß heißt vor des Alltags Pfuhle,
Wer stets nur Neues braut im alten Topfe,

Und nach Verkehrtem sitzt die Sucht am Stuhle
Der heut’gen Zeit, und wär’s vom dümmsten Tropfe:
So schrieb ich dies Sonett hier auf dem Kopfe;
Schlägt alles fehl, macht  d a s  vielleicht noch Schule!