11.11.2014, 12:55
Hallo Zaunkönig,
es stimmt, ich versuche mit der Zahl der betonten Silben auszukommen, die die Vorlage bietet, wobei einem das natürlich manchmal sauer wird, wenn man sieht, was man dann alles bei der Übertragung unter den Tisch fallen lassen muss. Ich bewundere z. B. den Übersetzer Hans-Dieter Gelfert dafür, wie er es immer wieder schafft, trotz aller Restriktion durch die Form fast sämtliche Aspekte des Textes zu "erwähnen" und doch der Form völlig treu zu bleiben. Der Nachteil bei Gelfert ist aber, es klingt alles irgendwie gleich; ob Keats oder Shelley oder Walt Whitman, es klingt alles sehr kultiviert - aber eben immer wie "Gelfert" und das kann es doch auch nicht sein. Mir fehlt dann dabei das Spezifische des Autors, wobei mir klar ist, in der Lyrikübersetzung ist das schwerer heraus zu arbeiten als bei einem langen Roman-Text.
Meine Theorie ist in etwa die, dass die Lyrik im wesentlichen eine musikalisch wirkende Literaturdisziplin ist,, wo es zwar auch auf den Inhalt ankommt - so wie es den Charakter eines Musikstücks verändert, ob ich es mit der Orgel oder einem Bläserchior spiele. Rhythmus und Länge der "Noten" liegen aber fest, und aus einem Walzer kann man keinen Tango machen (vielleicht aber einen Tango mit einem Takt mehr?). Ich verstehe die Reimfiguren als die wichtigsten Elemente dieser klanglichen Wirkungen, die auch wiederum inhaltliche Bezüge setzen. Das kann man sich sehr schön klar machen, wenn man sich einmal den Spaß macht, ein Gedicht, das man klanglich korrekt übertragen hat, seiner Reimworte zu entledigen und dafür gleichlange aber nicht reimende Begriffe einsetzt. Dann ist alles, aber auch alles "im Eimer"! Ich mach das hier mal für das schon im Forum stehende
A widow-bird sate mourning von Shelley:
Die Vogel-Witwe saß, beklagte viel
Ihren toten Freund.
Der kalte Wind blies um sie her,
Das Eis im Strome trieb.
Nicht eine Blume sah man dort im Tal,
Im Wald kein einz'ges Grün.
Und kein Geräusch gab es zur Stund',
Nur Klang vom Mühlenrad.
Tja, ist alles wie vorher, nur ohne Reim; so wie wenn jemand "Für Elise" spielen würde, aber bei jedem dritten oder vierten Ton daneben haut. (Und das hier benutzte Beispiel ist noch ziemlich harmlos, richtig schlimm wird es bei liedhaften Strophen etc. ) Wir erkennen am Rhythmus dann zwar noch das gemeinte Stück, aber glücklich werden wir wahrscheinlich nicht damit.
Ein Gedicht, bei dem ich wirklich lange mit meiner prinzipiellen Ablehnung von "Verlängerungen" gerungen habe ist: She walks in Beauty von Byron. Da werde ich an gegebener Stelle einmal zum Vergleich die (verworfene?) Lang- und die Kurzfassung einstellen. Um die erstere tut es mir heute noch leid, und so ganz kann ich mich auch noch nicht entscheiden. Es ist und bleibt ein schwieriges Problem.
Gruß
Josef
es stimmt, ich versuche mit der Zahl der betonten Silben auszukommen, die die Vorlage bietet, wobei einem das natürlich manchmal sauer wird, wenn man sieht, was man dann alles bei der Übertragung unter den Tisch fallen lassen muss. Ich bewundere z. B. den Übersetzer Hans-Dieter Gelfert dafür, wie er es immer wieder schafft, trotz aller Restriktion durch die Form fast sämtliche Aspekte des Textes zu "erwähnen" und doch der Form völlig treu zu bleiben. Der Nachteil bei Gelfert ist aber, es klingt alles irgendwie gleich; ob Keats oder Shelley oder Walt Whitman, es klingt alles sehr kultiviert - aber eben immer wie "Gelfert" und das kann es doch auch nicht sein. Mir fehlt dann dabei das Spezifische des Autors, wobei mir klar ist, in der Lyrikübersetzung ist das schwerer heraus zu arbeiten als bei einem langen Roman-Text.
Meine Theorie ist in etwa die, dass die Lyrik im wesentlichen eine musikalisch wirkende Literaturdisziplin ist,, wo es zwar auch auf den Inhalt ankommt - so wie es den Charakter eines Musikstücks verändert, ob ich es mit der Orgel oder einem Bläserchior spiele. Rhythmus und Länge der "Noten" liegen aber fest, und aus einem Walzer kann man keinen Tango machen (vielleicht aber einen Tango mit einem Takt mehr?). Ich verstehe die Reimfiguren als die wichtigsten Elemente dieser klanglichen Wirkungen, die auch wiederum inhaltliche Bezüge setzen. Das kann man sich sehr schön klar machen, wenn man sich einmal den Spaß macht, ein Gedicht, das man klanglich korrekt übertragen hat, seiner Reimworte zu entledigen und dafür gleichlange aber nicht reimende Begriffe einsetzt. Dann ist alles, aber auch alles "im Eimer"! Ich mach das hier mal für das schon im Forum stehende
A widow-bird sate mourning von Shelley:
Die Vogel-Witwe saß, beklagte viel
Ihren toten Freund.
Der kalte Wind blies um sie her,
Das Eis im Strome trieb.
Nicht eine Blume sah man dort im Tal,
Im Wald kein einz'ges Grün.
Und kein Geräusch gab es zur Stund',
Nur Klang vom Mühlenrad.
Tja, ist alles wie vorher, nur ohne Reim; so wie wenn jemand "Für Elise" spielen würde, aber bei jedem dritten oder vierten Ton daneben haut. (Und das hier benutzte Beispiel ist noch ziemlich harmlos, richtig schlimm wird es bei liedhaften Strophen etc. ) Wir erkennen am Rhythmus dann zwar noch das gemeinte Stück, aber glücklich werden wir wahrscheinlich nicht damit.
Ein Gedicht, bei dem ich wirklich lange mit meiner prinzipiellen Ablehnung von "Verlängerungen" gerungen habe ist: She walks in Beauty von Byron. Da werde ich an gegebener Stelle einmal zum Vergleich die (verworfene?) Lang- und die Kurzfassung einstellen. Um die erstere tut es mir heute noch leid, und so ganz kann ich mich auch noch nicht entscheiden. Es ist und bleibt ein schwieriges Problem.
Gruß
Josef