Margret Silvester                       Der große Bär

© bei der Autorin                                       (oder: Sie nannten ihn Bruno)

 

Hinter allen Zeiten, fernen Räumen,
über Land und Küste, Fluss und Riff,
zeigt er nachts dem Wanderer, dem Schiff,
dem Schlafenden in seinen Träumen

den rechten Weg durch tiefste Dunkelheit;
ist Bruder und Hüter im Norden der Welt,
gibt Trost für den, der strauchelt, der fällt,
sein Sternenbild - es leuchtet weit.

Jetzt ward' er als Sohn einer Bärin geboren,
war sich der ird'schen Gesetze nicht klar.
Sein Erdenleben war gleich schon verloren.

Er suchte zu seinem eignen Verderben
den Bruder im Menschen, der nahm ihn wahr,
vertat seine Chance - der Bär musste sterben.

 

 

 

 

 

Margret Silvester                       Vogelmiere

© bei der Autorin                                      Sonett für das Kraut des Monats Oktober 2001

Keines Dichters Wort wars wert,
und das sollte mich nun reizen,
nicht mit Lob dafür zu geizen,
literarisch unbeschwert.

Aus letztem Frost blickt sie heraus,
zeigt die glänzend grünen Blätter,
deckt den Gartenboden netter
und wirft weiße Sterne aus.

Mit ihrem kühlenden Effekt
kann die Vogelmiere heilen,
durch das, was in der Pflanze steckt.

Für Suppe, Pesto und Salat
wollen wir sie mit den Vögeln teilen,
dies sei uns wirklich guter Rat.

 

 

 

 

Margret Silvester                       Gruß

© bei der Autorin

Wir stillen Künstler in den armen Räumen,
wir Dichter, Denker, Maler - Narren,
wir, die wir stets dem Glücke harren,
was bleibt uns denn außer den Träumen?

Wir, in dem Schatten unter Bäumen,
wo wir vor Ehrfurcht dann und wann erstarren,
auch unterwürfig in der Erde scharren,
und drum das eigne Wunder glatt versäumen;

wir knicken ein und fürchten uns fast noch
vor denen, die dem Himmel näher stehen,
und sinken tiefer ein ins Erdenloch.

Macht euch nicht kleiner, werdet laut!
Wachst über euch, so kanns ein Jeder sehen:
Die Welt der Phantasie – sie ist auf euch gebaut.

 

 

 

 

Margret Silvester                       Die Gäste

© bei der Autorin

Vernehmt unsere Trommeln und Pfeifen und Schellen;
Wir kommen und bringen euch Nachrichten dar.
Was wir euch berichten, ist wirklich und wahr.
Wir wollen mit Spiel und Gesang euren Alltag aufhellen.

Zum Lohne möchten wir teilhaben an euren Gelagen,
in eure Beutel greifen, auch, wenns euch nicht passt.
Seid höflich, denn schließlich sind wir hier zu Gast
und wieder verschwunden nach einigen Tagen.

Macht uns die Betten und füttert uns gut;
streichelt und schmeichelt uns, wir mögen es sehr.
Lasst uns nicht darben, seid auf der Hut.

Holt nicht die Büttel und nicht die Soldaten,
sonst kommen wir wieder und mit uns noch mehr.
Und längst nicht alle sind so wohlgeraten.

 

 

 

 

 

Margret Silvester                       Fehlklänge

© bei der Autorin

Es drangen leise Töne her zu meinen Ohren,
die Stimme war wie Glockenklang im Abendwind,
ich hörte sie und meine Augen wurden blind,
schon gaben meine Sinne sich verloren.

Die feine Melodie hat sie herauf beschworen,
die Bilder, die in mir seit dem gefangen sind.
Ich wähnte mich so glücklich wie ein kleines Kind,
auch, wie von einem Liebsten auserkoren.

Das Saitenspiel, es klang so meisterlich,
so zauberhaft durchwebte es die Räume;
ich sank in dieses trügerische Dich und Mich.

In dem Moment, da eine Saite sprang,
erkannte ich den Trugschluss meiner Träume;
er las die Noten nur vom Blatt zu dem Gesang.

 

 

 

 

Margret Silvester                       Sonette nach aufgegebenem Endreim

© bei der Autorin                                      

(Aufgabe von Willi Schantel)

 

Zuhause

 

Den Sommer hör ich grad von Ferne läuten,
schon streben ungezählte Scharen hin zu Flügen
und lassen sich in drangsalvollen Zügen
die Augen und die Ohren schmerzvoll weiten.

Ich aber neige zum Verweilen in dem Garten,
bin dankbar für die Post, die sie mir schicken
und muss nicht meine Liege weiter rücken;
brech nur in Träumen auf zu großen Fahrten.

Während am Mittelmeer die Insulaner zittern,
bricht durchs Geäst der Linde in den Zweigen
und fängt sich an den alten rostgen Gittern

das Sonnenlicht. Es tanzt in wildem Reigen,
noch ehe unsere Tage hier verwittern,
das Blumenvolk, vor dem wir uns verneigen.

 

 

 

 

(Aufgabe von Oswald Köberl)

 

Der Winter-Wunsch einer Meise


Ringsum ist alles Leben, scheints, erstarrt,
ja, ein Kanari wär nun gerne gar die Meise,
die in den kahlen Zweigen noch ganz leise
piepst. Sie findet diesen Winter wirklich hart.

Sie meint, obwohl in ihrer Gegenwart
es niemand hören will, zu sich ganz weise:
Im nächsten Winter gehe ich auf eine Reise,
ich bin in dieses Wetter nicht vernarrt.

Und für den Weg schnitzt ich aus kaltem Quarz
mir eine feine ausgesprochen edle Flöte.
Den Körper streicht ich bunt, das Mundstück schwarz.

Selbst, wenn man mir dann einen Platz anböte,
ich reiste fort bis hin zum nahen Harz,
und tauscht mit Harzer Rollern meine Nöte.

 

 

 

 

 

 

 

Margret Silvester                       Sonette nach aufgegebenem Akrostichon

© bei der Autorin

(Aufgabe von ZaunköniG)

 

Abenddämmerung

 

Am Himmel ziehen rosenfarben
bis karmesin die Wolken ihre Bahn,
es dämmert; auf dem Elbefluss ein Kahn
naht mit des Sommers goldnen Garben,

die, ehe sie im Felde noch verdarben,  
durch Fäulnis und schlechten Ernteplan,
Ähren, gerettet vor dem heißen Wahn,    
Mittschiffs liegen sie; in einem Netze Barben.

Milde geht der Tag nun in den Abend ein.
Es ist jetzt Zeit, das Tagwerk zu beschließen,
ruhig und gelassen mit einem Glase Wein

und ein paar Menschen, die uns nicht verdrießen.
Nebel steigt herauf am Fluss durch wilde Uferzweige;
Gedämpfte Töne, Schiffe, Elbe; eine leise Geige.

 

 

 

 

(Aufgabe von ZaunköniG)

 

Blütenzart war dieses Kind vom flachen Lande,
in seinem Herzchen puckerte die erste Glut.
Oh, holde Keuschheit, ach, was bist du gut,
lass uns hier niederliegen an des Dorfes Rande.

Oboen oder Pikkolos will ich im weichen Sande
gekonnt dir spielen; hab ein wenig Mut.
Ich trage in mir lange schon die Liebeswut;
so komm, sei mein, ich mach dir keine Schande.

Cherubs Töchter halten dir dein Händchen,
Heilig wird mir dabei gleich ums Herz:
einer spielt uns auf mit einem Ständchen,

und dabei ist noch nicht einmal schon März;
heuer löst du ein bei mir ein Pfändchen -
rot wie Blut wird’s sein, nicht ohne Schmerz.

 

 

 

 

(Aufgabe von ZaunköniG)

 

Dosenöffner

Schleichend um den heißen Brei die Katzen,
Ewig träumend von ersehnten Fähigkeiten,
Schlösser, Türen und wer wollte es bestreiten,
Auch Ali Babas Zauberspruch selbst aufzukratzen.

Mit dem ihnen eignen sanften Schmatzen
Öffnen sie die Mäuler, schlecken ihre Seiten,
Falls ihnen Duft aus unerreichbar fernen Weiten
Filigran gefiltert, während sie noch ratzen,

Näher kommt und durch die Träume weht.
Es ist doch stets, als kämen sie zu spät,
Denn alle Dosen, Türen, Zimmer haben Schranken,

Ihr Menschen, wenn ihr es euch eingesteht,
Chancenlos und hungrig, so, wie ihr uns seht,
Holt die Dosenöffner. Wir werden es euch danken.

 

 

 

 

 

 

 

Margret Silvester                       Am Ende des Regenbogens

© bei der Autorin                                       Für Brigitte

 

Es wurde kalt, als du gegangen bist.
Obwohl wir diesen Abschied lange ahnten,
sich häufig dunkle Träume Wege bahnten,
dachten wir schon, wir hätten eine Frist.

Die Welt scheint, seit du fortgingst, leer und trist,
und alle Bilder, die wir früher um dich rahmten,
wirken, als ob sie schon viel früher mahnten,
als sei Vergangenheit nur eine kluge List;

die Gaukelei, die Schatten an der Wand,
das Kinderspiel, das längst zerrissene Band,
das Irren auf dem Weg ins Dämmerreich.

Dein Leben war ein kurzes Glück im Sand.
Verrieselt, einem Rinnsal in der Wüste gleich,
ein Regenbogen erst, am Ende schrecklich bleich.

 

 

 

 

 

 

Margret Silvester                       An Cornwalls Küste

© bei der Autorin

Die steilen Klippen lassen eine Brandung
entstehen, die uns schaudern macht;
dort unten hält noch immer Merlin Wacht
in seiner Höhle hinter einer Felsumrandung.

Obwohl schon Tausende von Jahren in Versandung
verschliefen, ob auch in jenem tiefen Schacht
kein Mensch in dieser ewig dunklen Nacht
hier lebend fähig wär zu irgendeiner Handlung,

sieht man Morgaine la Fé dort sinnend stehen.
Sie, die die Zeiten kommen sah und wieder gehen,
tritt - wenn der Vollmond leuchtet - an den Rand.

Wir mögen, wenn wir sie dort nächtens sehen,
erschrecken, weil wir ihr Sinnen heut nicht mehr verstehen;
doch sie, sie gab sich einst dem alten Volk zum Pfand.