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Auenland (Ein Wintermärchen) - Fragment
#1
Auenland (ein Wintermärchen)

Sonettenkranz

I. (Meistersonett)

Gebannt lässt ihn ein Hauch der Frau entrücken,
sie lacht, sie ruht vergnügt im Gleichgewicht,
nur ihre Finger wippen, grüßen schlicht,


...

des Nachts streift sie, die Fee, durch Auenland.

II.

Des Nachts streift sie, die Fee, durch Auenland,
sie lockt den Mond mit weichen Seidenschlieren,
und hascht sein Leuchten, lässt es fahl gefrieren
im Strom, der längst tief unter Eis verschwand.

Ein Boulevard, der sich in tausend Schlingen
die Wege gläsern durch den Talgrund bahnt,
Arkadengänge, raubereift, kristallbezahnt,
begleiten und bedrängen ihn, doch zwingen

lässt er, der Fluss sich nicht – er sprengt die Haut
mit lautem Ächzen, Knarren, krümmt den Rücken
voll Wut zum Wall - bis er die Wogen staut.

Klammheimlich suchen sie nach Uferlücken,
der Mond befreit sein Licht, er zittert, schaut,
gebannt lässt ihn ein Hauch der Frau entrücken.


III.

Gebannt lässt ihn ein Hauch der Frau entrücken.
Wie sie im Strom grazil den Stoß besteigt,
kokett ihm ihre Silhouette zeigt,
ertrinkt er ihr zu Füßen – Schollen drücken

und schichten immer höher sich zum Damm
auch tief hinunter tauchen sie, versperren
der Flut den Weg, es stockt, die Wasser zerren
und Platten schrammen in den Uferschlamm,

verkeilen, scheuern, Weidenzweige schwanken
im Schauer feiner Schneekristalle bricht
ein Block entzwei, er kullert, knickt die Ranken,

durch die er berstend mit Getöse sticht,
ein Augenblick der Stille, dann ein Wanken,
sie lacht, sie ruht vergnügt im Gleichgewicht.

IV.

Sie lacht, sie ruht vergnügt im Gleichgewicht,
die Silberpappel nicht, sie taumelt, offen,
weit aufgerissen klafft, vom Eis getroffen,
geknickt ihr Fuß - den Tod im Angesicht

entweicht ihr Geist - bewusst, befreit, in Würde.
Ein milder Schein erhellt die Szenerie,
sie tritt hervor, erhaben lächelt sie,
bereit - nie war ihr Sterben eine Bürde.

Ein Schnarren, Splittern, eine Pirouette,
der Baum, er stürzt, ein Knacken, Brechen, Licht
erlischt, ein dumpfer Prall, es staubt als hätte

der Wald ihr zugejubelt – langsam, Schicht
für Schicht, versinkt im Weiß die Ruhestätte,
nur ihre Finger wippen, grüßen schlicht.



© Friedrich 2008
Wonach immer du im Leben suchst - du findest es in dir.
Melos Merulae - Friedrich
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#2
Grüß dich Friedrich,

Die Wortkombination von Fee und Auenland, gleich in der ersten Zeile, läßt mich gleich an den Heerrn der Ringe denken. Ich kenne zwar nur dieses Fragment, aber ich mutmaße mal, daß es keine erwünschr Assoziation ist.

Ansonsten sehr flüssig und stimmungsvoll, wie ich es von dir gewohnt bin.

LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#3
Die Sprache gefällt mir grundsätzlich gut, die Bilder klingen und der Text fließt.

Inhaltlich musste ich leider mehrmals ansetzen und von vorne lesen, damit ich überhaupt reinkomme.
Worte, wie "Auenland" sind etwas festgefahren durch ein gewisses Buch und deswegen wirkt es auf mich etwas deplaziert hier.
Zu Beginnn geht es um eine Fee und man fragt sich am Ende, was nun eigentlich mit ihr ist. Aber man erfährt nur, dass sie noch einmal haucht und der Mond dadurch entrückt!?
Welche Haut sprengt der Fluss? Eigentlich ja sein eigene und dann wirkt das natürlich ziemlich schmerzhaft und klingt nach Selbstverstümmlung.
Mir den Fluss als Boulevard vorzustellen, ist gewöhnungsbedürftig.

Für sich genommen, mag ich das erste Quartett (bis auf besagtes Auenland) und die Bilder des Flussverlaufs im zweiten finde ich auch gelungen.
Insgesamt finden aber die einzelnen Strophen noch nicht so richtig zusammen, jedenfalls empfinde ich das so.

Gruß, Fabian
Wenn du ab und zu deinen Blickwinkel änderst, verbessern sich auch deine Perspektiven

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#4
Hallo ZaunköniG,

stimmt, es hat nichts mit HdR zu tun, wie wohl mich die Atmosphäre dort angerührt hat und auf Spaziergängen in den Donauauen ist schließlich dann der Entschluss gereift, irgendetwas darüber zu schreiben. Der Anfang blieb lang liegen, aber nun möchte ich einen Kranz daraus machen. Daher werde ich dann das Sonett in das andere Forum stellen und es sukzessive ergänzen.

LG Friedrich
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#5
Hallo Fabian,

danke für Deine ausführliche Rückmeldung.
ad Kontext:
Dieses 2. Sonett ist ein Fragment aus einem Sonettenkranz, in dem sich ausgehend vom ersten, dem Meistersonett eine Geschichte entrollt. Daher sind die Einzelsonette nicht unbedingt in sich abgeschlossen, sondern Glieder einer Kette.
ad "Auenland":
Siehe obere Antwort. Mir ist bewusst, dass der Titel abgegriffen erscheint, möchte ihn aber auf Grund der Gesamtgeschichte trotzdem beibehalten.
ad "Boulevard":
Das Bild ist angelehnt an die ursprüngliche Bedeutung von Boulevard. Der Begriff aus dem Französischen bedeutet wörtlich "Bollwerk" und meint eine breite Ringstraße, die an Stelle des abgetragenen Bollwerks errichtet wurde - wie eben die breiten zugefrorenen Schlingen eines Flusses.
ad "Rücken":
Stimmt, eine "schmerzvolle" Angelegenheit, wenn die gefrorene Haut auf Grund des großen Drucks sich wölbt, zerreißt und zum Eisstoß aufbaut.
Ich hoffe, damit etwas mehr Licht in das ominöse Fragment gebracht zu haben.

LG Friedrich
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#6
Hallo Friedrich,

Den Gegensatz zwischen den Naturgewalten einerseits, wo der Fluß seine Haut aufsprengt, und den sanften Himmelserscheinungen finde ich gerade spannend an dem Text, also mich irritiert es nicht. Der Boulevard als Bollwerk erschließt sich für mich dagegen nicht, im Gegenteil, für mich ist die breite der Straße das vorherrschende Bild, übertragen auf den Fluß vielleicht ein breites Urstromtal, durch das die Donau nun mäandert, eher aber noch ein gebändigtes Flußbett mit befahrbarer Berme als Überschwemmungssreserve, an der Tagesausflügler und Hundehalter flanieren.

Was den Titel betrifft, will ich erstmal abwarten wie der Kranz beginnt. Wenn du im Startsonett bei reiner Naturbeschreibung bleibst, ohne Feen oder andere Anklänge an Mythologie mag es funktionieren. Ansonsten legst du mit 'Auenland' leicht eine falsche Fährte.

LG ZaunköniG
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#7
Hallo Zaunkönig,

kann leider erst jetzt antworten. Was den Boulevard betrifft, stimmen wir überein, da meine obige Ausführung im letzten Teil insofern ungliücklich war, da sie sich ungewollt auf das Bollwerk bezog. Das geschliffene Biollwerk ist lediglich die Voraussetzung und Erklärung für eine daraus entstandene breite Straße. Und letztere ist auch gemeint: Das Bild einer sich schlingenden breiten Straße.
Vorrangig bleibt es bei der Naturbeschreibung, eben aber in mythologisierender
Darstellung der Naturkräfte in deren Spannungsgefüge.
So werde ich im ersten Sonett, das ja das Meistersonett wird nicht ganz ohne die Fee auskommen.
Notfalls - wenn auch schweren Herzens - würde und werde ich mich von meinem so liebgewonnen Titel trennen, um einer solchen Fährte keinen allzu deutlichen Vorschub zu leisten.
Werden sehen.

LG Friedrich
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#8
Oben ist jetzt das 3. Sonett eingestellt. Da ich vielleicht noch die eine oder andere Kleinigkeit ändern werde, stelle ich beide etwas später in den Thread mit den Sonettenkränzen.

LG Friedrich
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#9
Hallo Friedrich,

Zitat:Gebannt lässt ihn ein Hauch der Frau entrücken,
als sie behände auf den Stoß hochsteigt,
grazil ihm ihre Silhouette zeigt,
ertrinkt er ihr zu Füßen – die Schollen drücken

Grammatikalisch finde ich das erste Quartett recht unübersichtlich, und 'hochsteigt' fällt deutlich aus dem Rythmus.
Vielleicht geht es so:

Zitat:Gebannt lässt ihn ein Hauch der Frau entrücken:
Als sie behände einen Stoß besteigt,
grazil ihm ihre Silhouette zeigt,
ertrinkt er ihr zu Füßen – die Schollen drücken

LG ZaunköniG
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#10
Apropos Sonettenkranz:

Willst du ein Meistersonett aus den Anfangszeilen oder aus den Schlußzeilen bilden? Das ist nur ein kleiner aber sehr bedeutsamer Unterschied. Im ersten Fall fängst du mit Anonymen Personen an, also einem Er und einer Frau. Die würde ich mir konkreter benannt wünschen. Im zweiten Fall hast du die Endungsfolge: -and / -ücken / -icht, was zumindest an dieser Position nicht funktioniert.

LG ZaunköniG
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#11
II.

Gebannt lässt ihn ein Hauch der Frau entrücken,
als sie behände auf den Eisstoß steigt,
grazil ihm ihre Silhouette zeigt,
ertrinkt er ihr zu Füßen – die Schollen drücken

und schichten immer höher auf zum Damm
auch tief hinunter tauchen sie, versperren
der Flut den Weg, es stockt, die Wasser zerren
und Platten schrammen in den Uferschlamm,

verkeilen, scheuern, Weidenzweige schwanken
im Schauer feiner Reifkristalle bricht
ein Block entzwei, er kullert, knickt die Ranken,

durch die er berstend mit Getöse sticht,
ein Augenblick der Stille, dann ein Wanken,
sie lächelt, sie berührt das alles nicht.


Hallo ZaunköniG,

danke für die prompte Rückmeldung. Ich habe, so hoffe ich, im ersten Quartett eine passable Lösung gefunden.
Das Meistersonett setzt sich aus den Endzeilen zusammen (siehe oben). Dein Einwand bezüglich Anonymität der Personen ist berechtigt, nur löst sich das "sie" im letzten Vers des Meistersonetts, das "ihn" wesentlich früher - aber daran tüfftle ich gerade. "ächzen" in Vers 9 habe ich durch "scheuern" ersetzt, das es bereits in Sonett II. vorkam und es "Eiskristalle" wurde "Reifkristalle".

LG Friedrich
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#12
Hallo Friedrich,

Ja rhythmisch ist das jetzt besser. Aber nach wie vor irritiert mich der Satzbau:

Die zweite und dritte Zeile bilden grammatikalisch eine Aufzählung von Halbsätzen.
Das 'als' in Zeile Zwei soll offensichtlich Gleichzeitigkeit ausdrücken. Offen bleibt, ob es die erste Zeile mit der Zweiten verbindet, oder die zweite und dritte mit der vierten. Wenn man das ganze Quartett kennt, macht eigentlich nur die Zweite Variante Sinn, aber da der Text nun mal mit ersten Zeile beginnt...
Ich bin auch nach mehrmaligen Lesen versucht falsch zu betonen.
In diesem Fall nicht rhythmisch, sondern was die Satzmelodie betrifft.
ich würde die Erste Zeile mit einem Punkt beenden, Meinetwegen auch mit Doppelpunkt, oder durch einen Gedankenstrich absetzen, aber auf jeden Fall deutlich machen, daß sich zweite/dritte und vierte Zeile inhaltlich näher stehen als erste und zweite.

LG ZaunköniG
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#13
Hallo ZaunköniG,

ich glaube, ich muss mich beim Einsatz meiner Stilmittel etwas zurücknehmen - die Verwirrung, die hier durch die Mehrdeutigkeit des Satzbaus entsteht, war eigentlich beabsichtig, sie sollte die Verwirrung des Mondes karikieren. Nur, wenn Dich das als jemanden aus der Meisterklasse stört, dann hat das doch entsprechendes Gewicht.
Daher mein Vorschlag zur Entschärfung, wobei ich Deine Anregung aufgreife, aber zusätzlich noch das "als" durch "wie" ersetze:

Gebannt lässt ihn ein Hauch der Frau entrücken.
Wie sie behände auf den Eisstoß steigt,
grazil ihm ihre Silhouette zeigt,
ertrinkt er ihr zu Füßen – die Schollen drücken

Was meinst du dazu?

LG Friedrich
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#14
Ja, so kann ich es dir durchgehen lassen.

LG ZaunköniG
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#15
Hallo ZaunköniG,

ich habe jetzt noch eine Anregung von anderer Seite aufgegriffen:

Den Zungenbrecher "Eisstoß" in Vers 2 habe ich zu "Bollwerk" entschärft, zumal danach wieder ein "st" folgt:
"Wie sie behände auf das Bollwerk steigt,"

Und in Zeile 14 umgestellt:
Von "sie lächelt, sie berührt das alles nicht."
auf "sie lächelt, alles dies berührt sie nicht."

LG Friedrich
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#16
Hallo Friedrich,

du meinst Ferdis Anregung?
Ich bin mir nicht sicher ob er den 'Zungenbrecher' meinte oder den Hebungsprall. "Eisstoß steigt" sind im Grunde 3 betonte Silben hintereinander.
Nun also doch das Bollwerk, wo du den Boulevard nicht als solchen verstanden wissen wolltest?

LG ZaunköniG
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#17
Hallo ZaunköniG,

Ja Ferdis Anregung - du hast Recht, er meinte wohl den Hebungsprall.
Nur Bollwerk bezieht sich auf den Eisstoß, nicht aber auf das ursprüngliche Bild des Boulevards, das für mich der breite zugerforene Strom ist und war. Die Erklärung, die ich dann Fabian gegeben hatte und die ich leider missverständlich in Bezug auf meine Verwendung im Sonett gebraucht habe, bezog sich auf die Wortherkunft. Aber ich könnte mich auch mit Deinem Vorschlag anfreunden, nur geht mir dann in der Zeile der Vokal "au" verloren. Ich ziehe gerne bestimmte Vokale kontrapunktisch in die nächste Zeile mit. Außerdem schafft das "B" in Bollwerk das Gleichgewicht zum "b" in behände (dazu ist es noch Anfangsreim).
Vielleicht mache ich mir auch zu viele Gedanken.
Was hältst Du von der Wortumstellung in Zeile 14?

LG Friedrich
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#18
Hallo Friedrich,

ich finde, daß die Wortumstellung keinen großen Effekt hat. Du kannst das so oder so schreiben. wenn du Ferdi den Gefallen tun magst ...Big Grin

LG ZaunköniG
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#19
Hallo ZaunköniG,

ich bin schon an einer anderen Lösung dran. Unsicher bin ich deswegen geworden, weil mir der zweite Teil von Vers 14 von Anfang an formal (nicht inhaltlich) nicht ganz behagt hat. Auch an Zeile 2i bin ich noch dran, da mir formal und klanglich das Aufeinandertreffen der einsilbigen Reimwörter von V2 u. V3 (steigt - zeigt) noch nicht gefallen - damit komme ich schon in die Nähe Deines Vorschlags.
ad "gefallen":
Es geht mir nicht darum, jemanden einen Gefallen zu erweisen. Ich bin dankbar für verschiedene Sichtweisen. Wo ich mich zurücknehmen muss, ist das viel zu schnelle reagieren darauf (das leider zu meinem Naturell gehört, das aber keine Ausrede sein soll und darf).

LG Friedrich
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#20
Hallo zusammen,

Ich habe jetzt das IV. Sonett eingestellt und gelichzeitig einen neuen Beitrag im Thread mit den Sonettenkränzen gepostet, wo er auch hingehört.
Meine "Problemstellen" in Sonett III (V2,3/V14) habe ich umformuliert (siehe auch oben).

LG Friedrich
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Melos Merulae - Friedrich
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#21
Hallo Friedrich,

Da du den selben Text bei den Sonettenkränzen und hier gepostet hast, habe ich mir erlaubt einen Link von dort nach hier zu setzen. Es müssen ja nicht beide Texte durch Kommentare zerrissen werden.

Inhaltlich werde ich mich später noch äußern.
LG ZaunköniG
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#22
Hallo Friedrich,

Zitat:IV.

Sie lacht, sie ruht vergnügt im Gleichgewicht,
die Silberpappel nicht, sie taumelt, offen,
weit aufgerissen klafft, vom Eis getroffen,
geknickt ihr Fuß - den Tod im Angesicht

entweicht ihr Geist - bewusst, befreit, in Würde.
Ein milder Schein erhellt die Szenerie,
sie tritt hervor, erhaben lächelt sie,
bereit - nie war ihr Sterben eine Bürde.

Ein Schnarren, Splittern, eine Pirouette,
der Baum, er stürzt, ein Knacken, Brechen, Licht
erlischt, ein dumpfer Prall, es staubt als hätte

der Wald ihr zugejubelt, eine Schicht
aus Pulverschnee versteckt die Ruhestätte,
nur ihre Finger wippen, grüßen schlicht.


Sehr schön gemacht! Ein nahezu perfektes Sonett, aber da ich dir ja einen Kommentar versprochen hattePfeifen nehme ich mir mal die Terzinen vor:

Wenn ich den Plot richtig verstanden habe, ist es ein auf dem Fluß treibender Eisblock der die Wurzel oder den Fuß der Silberpappel 'knickt'. Wie stelle ich mir die Szene konkret vor? Steht die Pappel so nah am Ufer, wobei die Böschung und damit der Wurzelraum der Pappel vom Eisgang aufgerieben werden? Dann müßte die Pappel eigentlich in den Fluß stürzen. Oder siehst du dort eine überschwemmte Flußlandschaft, so daß der Eisgang die Pappel deutlich über dem Erdboden abknickt? Dem widerspräche aber der 'dumpfe Prall'.

Pulverschnee, oder Schnee überhaupt wir hier zum ersten Mal erwähnt, bisher war nur von einer Reifüberzogenen Landschaft die Rede. Und müßte der Pulverschnee nicht in alle Richtungen auseinanderstieben, wenn so ein Baum fällt, statt sich auf ihn zu legen?
Naja, das war jetzt ein recht langer kommentar für eine Winzigkeit, die mir auffiel. Gesammtnote: Daumen

LG ZaunköniG
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#23
Hallo ZaunköniG,

der Südfön hatte mich fest im Griff, daher kommt die Antwort etwas verspätet.

Danke, dass du mich auf diese scheinbare "Kleinigkeit"aufmerksam machst. Das passiert, wenn das geistige Bild schon so fest und realistisch im Kopf sitzt und bei der sprachilichen Komprimierung "offen Sichtliches" unter den Tisch fällt. Nätürlich ist es eine schneebedeckte Winterlandschaft. Wie du richtig bemerkst habe ich in den Vorgängersonetten von Reif gesprochen. Leider hatte ich mich in Sonett III in V10 für "Reifkristalle" entschieden, wegen dem "f" ("Aliteration"). Daher werde ich hier ansetzen und auf "Schneekristalle" ändern.
Sonett III / 1. Terzine:
"verkeilen, scheuern, Weidenzweige schwanken
im Schauer feiner Scheekristalle bricht
ein Block entzwei, er kullert, knickt die Ranken, "

ad Eisblock:

Es entsteht hier an dieser Stelle ein Eisstau. Bei ein allem Eisstau beginnen sich die Schollen durch das nachdrängende Wasser allmählich aufzuschichten, wobei dies sowohl nach oben und nach unten geschieht. Dort wo der Druck am Größten ist beginnten sie sich aufzutürmen.
Daher habe ich auch die Begriffe Wall, Stoß, Damm in S I u. SII verwendet. Und eben von dort "oben" wird ein Brocken nah am Ufer abgesprengt, kollert in den Uferbewuchs - Silberpappeln wachsen mitunter nah am Ufer oder auf Sandbänken als Pioniergehölze.

ad Fall:

In welche Richtung sie dann, von einem walzenden Eisbrocken getroffen, fällt, ist wohl dann von vielen Faktoren abhängig. In meinem Fall fällt sie dann eben in den Schnee und verschwindet dort teilweise. Dies setzt allerdings eine gewisse Schnneehöhe voraus. Sie wird also nicht von dem von den Ästen abstaubenden Schnee zugedeckt.

Aber ich weiß deine frühzeitigen Einwände zu schätzen, richten sie doch die Aufmerksamkeit wieder auf die Stimmigkeit des Plots.

LG Friedrich
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Melos Merulae - Friedrich
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#24
Hallo Friedrich,

die Stücke im bisherigen Thread finde ich schön. Vor allem die ersten 8 Zeilen des Anfangsonetts sind wunderbar und mein Favorit bisher (bin gespannt auf die Fortführung) Im weiteren Verlauf sind mir ein paar Stellen aufgefallen, die mir persönlich unrund(er) erscheinen.

In II

V2Z4 finde ich „bezwingen“ weniger passend, da sich der Fluss ja (noch nicht einmal) zwingen lässt, zwingen im Sinn von in eine Form bringen, vielmehr sprengt er das Eis.

Von daher würde mir „doch zwingen“ besser gefallen und es würde mir auch den Übergang in den nächsten Vers sehr leicht machen
„..doch zwingen/lässt er der Fluss sich nicht..“

In III

V1Z4 und V2Z1

Ist V1Z4 um eine Silbe zu lang, das fällt umso mehr auf, als du dich sonst exakt (ich hab nicht gezählt, nur nachgefühlt) an die Silbenzahlen gehalten hast.

Bei V2Z1 gefällt mir „schichten“ ohne das rückbezügliche „sich“ nicht richtig.

In IV

V4Z2 würde ich „verbirgt“ anstatt „versteckt“ vorziehen.

Das sind im Verhältnis aber nur Kleinigkeiten.

Gruß

Sneaky
Never sigh for a better world it`s already composed, played and told
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#25
Hallo sneaky,

auch dir herzlichen Dank für deine Hinweise und Anregungen, bin nur leider "außer Gefecht" und werde mich später wieder melden.

LG Friedrich

PS: Umgekehrt warte ich schon gespannt auf die Fortsetzung deines Tarotzykluses.
Wonach immer du im Leben suchst - du findest es in dir.
Melos Merulae - Friedrich
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#26
Hallo zusammen,

ich habe jetzt noch die eine oder ander kleinere Änderung vorgenommen und belasse sie auch vor einer eventuellen Endrevision in dieser Form. Auch wenn die Temperaturen nicht danach sind werde ich den Kranz fortsetzen...

LG Friedrich
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