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Nick
#1
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Nick

Vorm Amt lasziv die bronzene Najade;
dort die Chimärenfratze an den Treppen
zur U-Bahn. Nick muss sich noch weiter schleppen...
Er hört es schon: Die Türen schließen gerade.

Egal, dann geht er eben doch zu Fuß.
Vorbei am I2I und am Balzac,
entsorgt er endlich seinen Anorak.
Dick, rußgrau türmen sich die Cumulus.

Er kommt zu spät, doch mag auch nichts mehr essen.
Nun hilft ihm kein imaginärer Retter.
Die neue Jacke weg. Das wird ein Schock.

"Du wirst noch einmal deinen Kopf vergessen."
Noch drei Etagen bis zum Donnerwetter.
Türkis und creme die Flure, Stock für Stock.



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Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#2
ah, die Najade vom Residenzplatz erkenne ich wieder, ZaunköniG.

aber hier ist es nimmer eine fiktive Stadt, oder? I2I und „Balzac“ gibt es wirklich, oder?

Gruß
Alcedo
Come build in the empty house of the stare
- Yeats -
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#3
Hallo Alcedo,

Es gibt tatsächlich das "Cafe Balzac" als Systemgastronomie-Kette, allein 3x in Hannover. Das I2I ist aber frei erfunden. Dass es in verschiedenen Texten auftaucht liegt, daran, dass sie für mich poetologisch zusammen gehören. Es spielt immer in der selben fiktiven Stadt, ob nun der Residenzplatz, das I2I, das Roche-Careé, die Brasserie del Sol. das KKH der HBF, der Stadtfriedhof oder hier Nicks Schulweg.

Gruß
ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#4
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01

Türkis und creme die Flure, Stock für Stock,
auf Ärmelhöhe blass ein Streifen Schmutz.
Als hülfe diese Wand, als gäb sie Schutz,
schleicht Nick an ihr entlang, wie angeknockt
ein Boxer sich in seine Ecke hangelt.
Er wird in diesem Kampf kein‘ Punkt mehr machen.
Er hört sie im Foyer der Schule lachen;
Da wird geschubst, gelästert und gerangelt

und irgendwie scheint ´s allen ganz normal.
Nick wartet, bis sie gehen. Sie warten auch,
nur weiß man noch nicht wo. In seinem Bauch
krampft eine dunkle Phantasie. – So schal
und scheel schaut vor ihm auf der Promenade
vorm Amt lasziv die bronzene Najade.



02

Vorm Amt lasziv die bronzene Najade;
posiert geübt für eine Digi-Cam.
Am Brunnen post man wild zu Eminem
und 50 Cent, als just in die Parade
ein Blitz fährt. Drüben einsam auf dem Pflaster,
da steht der Knipser. „Alter, glotz nicht so!“
er geht ja schon. „Ich glaub ich bin im Zoo“,
und lauter drehen sie den Ghettoblaster.

„Mann, Typen gibt’s, Die Welt ist voller Deppen.
Was fällt ihm ein, uns einfach abzulichten?“
Dann pumpt sich einer auf, beginnt ´n Battle
und hatet alle Spießer, all die Fettel.
Der Feind fehlt, aber coole Lines vernichten
dort die Chimärenfratze an den Treppen.



03

Dort die Chimärenfratze an den Treppen
sieht erst bedrohlich aus, dann eher leidend.
Die Züge immer besser unterscheidend,
starrt Nick sie an. Nur wenig weiter rappen
die großen Jungs. Die werden ihm nichts tun,
auch wenn sie ihm nicht ganz geheuer sind.
Doch boshaftes Gelächter liegt im Wind
und auf dem Trottoir ist bald High-Noon.

Um ihre Nachmittage aufzupeppen,
bewaffnen sich die Kids mit Haselruten,
doch auch die Jungs vom Brunnen sind noch hier
und einer ruft: „Wie wär’s? Vier gegen vier?!“
Die Hosen voll? Ihr solltet euch was sputen!“
Zur U-Bahn… . Nick muss sich noch weiter schleppen.



04

Zur U-Bahn. Nick muss sich noch weiter schleppen...
Er überlegt noch lange: Was war das?
Letztendlich kam es ihm ganz gut zu pass
und seine Stimmung hellt sich auf. „Shit happens.“,
denkt er mit Blick auf seine Plagegeister
und grinst. Wo sind die jetzt so plötzlich hin?
Sven mit der großen Klappe, Ole, Finn
und Benno, - oder Benjamin? Wie heißt er?

Nick meidet besser Busch und Palisade
am Tor zum Hinterhof der Hopfenquetsche.
Er wollte eh zur U-Bahn, aber falls…
Sein Herz schlägt Nick nun wieder bis zum Hals.
Zwei Hunde gehen sich an mit Zähnefletschen.
Er hört es schon: Die Türen schließen gerade.



05

Er hört es schon: Die Türen schließen gerade.
Mit Mühe nur und auch mit Fluch und Schimpf
wird diesen beiden Tölen eingeimpft,
wer Herrchen ist. Der schnappt nach einer Wade
und spürt sofort, dass es die falsche war,
weil er sich sofort hinterrücks versteckt.
Doch Nick hat immer noch zu viel Respekt
dort durchzugehn, ja er bekommt sogar

noch Achtung für die kleinen Wadenbeißer.
er wäre gern ein bisschen so wie sie.
Doch nicht in diesem Leben, - So viel weiß er.
Sein Stärkster Wille wird sofort zu Mus,
wenn es drauf ankommt. Er gehorcht ihm nie.
Egal, dann geht er eben doch zu Fuß.



06

Egal, dann geht er eben doch zu Fuß.
Kaum zwanzig Meter hinter der Station
ist `s dann so weit . Die Bande lauert schon.
Sie schrei’n Hallo! Dann kommt’s wie `s kommen muss.

Zuerst traktiern sie ihn mit Weidenruten.
Nick lässt es nur geschehen, wie gelähmt,
schwach, weil er sich für seine Schwäche schämt
und kriegt zu allem Stress noch Nasenbluten.

Dann hatte Sven, der größte Possenreißer,
noch nachgelegt mit gröb’rem Schabernack:
Mit fettem Marker schreibt er „Hosenscheisser“
groß auf Nicks Jacke, dabei hat er heute
doch gar nicht… - Wie sie kam, zerstiebt die Meute
vorbei am I2I und am Balzac.



07

Vorbei am I2I und am Balzac,
lässt nun auch Nick die kurzen Schritte lenken,
vorbei an angeleinten Bierzeltbänken,
zerschlagnen Flaschen und dem ganzen Plaque
der letzten Nacht. – Das große Reinemachen
verschiebt sich auf die Woche nach dem Streik.
Die Händler kehren selbst den Bürgersteig,
die Wirte erst am Nachmittag. In flachen

und trüben Pfützen blitzt noch ab und an
ein Licht auf: Eine Ampel springt auf Rot.

Ein wild dort abgelegter Restmüllsack,
nur halb gefüllt. Das ist ein Angebot!

Noch zögerlich schaut Nick sich um, doch dann
entsorgt er endlich seinen Anorak.



08

Entsorgt er endlich seinen Anorak?
Er kann doch ohne Jacke nicht nach haus…
„Verdammt, das geht doch sowieso nicht raus!“
und steckt sie wieder tiefer in den Sack.

„Hey Nick!“ Nick hat sich fürchterlich erschreckt –
und schaut zu Boden, wie er ‚s immer macht,
doch Eniz lässt nicht locker und er lacht:
„Nee. sach‘ jetzt nicht, du hast dich hier versteckt!

Wann lernst du, dass man sich auch wehren muß?
Ich rede mit dir! – Hallo?! Jemand da?“

„Mein Vater will nicht mehr, dass ich dich seh.“
„Eh, - was? Zu dir bin ich doch echt ok!
Weil ich Kanacke bin? Das war ja klar.“
Dick, rußgrau türmen sich die Cumulus.



09

Dick, rußgrau türmen sich die Cumulus.
„Du darfst dir das nicht mehr gefallen lassen!
Du wirst dich später selber dafür hassen.
- Pass auf…“ und Eniz klopft sich auf die Brust:

„Komm, schlag mich, Nick! ich zeig‘ dir was. Nur zu!“
Nick weiß nicht recht. Dann schlägt er doch, - bereut‘s
sofort und spürt den eignen Arm im Kreuz.
„Hast du geseh’n wie‘s geht? – Steh auf. Nun Du!!

Nick weicht nur aus, geht noch’n Schritt zurück
und Eniz stößt ihn weiter Stück für Stück…
„Ok, das können wir dann wohl vergessen. –
Mensch Nick! Ich habe dich beim Sport gesehen.
Du bist doch fit!“ Nick will jetzt nur noch gehen.
Er kommt zu spät, doch mag auch nichts mehr essen.



10

Er kommt zu spät, doch mag auch nichts mehr essen.
Er sucht nach Ausreden, die etwas taugen. –
Nick kennt das: Diesen Vorwurf in den Augen;
Er steht nur da. Schon das scheint sie zu stressen.

So wird es sein. Ma hat umsonst gekocht
und droht, sie wird nie wieder auf ihn warten.
Den Vorwurf kennt er in verschiednen Arten.
Wann fühlte er sich je von ihr gemocht

Ja doch, - doch die Erinnerung bleibt vage,
und ganz akut treibt Nick was andres um.
Er schämt sich, weil er schwach ist, doch warum
vergisst er seine Jacke bei dem Wetter?
Wo sind die Superhelden dieser Tage?
Nun hilft ihm kein imaginärer Retter.


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#5
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11

Nun hilft ihm kein imaginärer Retter:
er sieht die Bande vor sich im Gewühl
und ihn beschleicht ein schwindelndes Gefühl.
Wortfetzen hört er: „Opfer“ und „Vendetta!“

Sie sehn ihn nicht. Er ist wohl nicht gemeint,
doch besser ist es, wenn man Abstand hält.
Ein alter Mann, wie aus 'ner andern Welt,
hält direkt auf ihn zu, so wie es scheint.

„He, deine?“ und er weist mit seinem Stock
auf eine Dose neben ihm. Er bückt
sich, merkt, dass Nick wohl irgendwas bedrückt.

„Ganz ohne Jacke? – Es ist frisch!“ – „Gezogen!“
Das stimmt nicht ganz und ist nicht ganz gelogen.
„Die neue Jacke weg. Das wird ein Schock.“


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#6
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12

„Die neue Jacke weg. Das wird ein Schock. –
Wie soll ich meiner mutter das erklären?“
Den Alten scheints nicht wirklich zu beschweren.
er kauft sich Huhn mit Reis beim Bejing-Wok,

bezahlt komplett mit Pfand und fragt: „Du auch?“
Die zweite Gabel hat er schon parat.
Nick will nichts essen – und auch keinen Rat.
Ihm läge beides ziemlich schwer im Bauch.

„Die neue Jacke weg. – Sie wird mich hassen!“
„Das wird sie nicht.“, sagt er in ruhigem Ton,
scheint jede Geste an ihm zu vermessen.

„Ich sage halt, ich hab sie liegen lassen.“
„Dann weißt du sicher auch die Antwort schon:
´Du wirst noch einmal deinen Kopf vergessen.‘“


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#7
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"Du wirst noch einmal deinen Kopf vergessen."
Nick wiederholt die Worte in Gedanken
und schweigt. Der Mann schweigt auch und schweigend wanken
sie noch ein Stück des Weges. Unterdessen

schwärzt das Gewölk. Ein erster Tropfen fällt.
Der Mann nimmt seine Kamera und fummelt
sie in das Futteral. es blitzt, es grummelt
und alle Farbe schwindet aus der Welt.

Nick hat ihn nun erkannt, doch geht stumm weiter.
Der Typ vom Brunnen. Eigentlich ein Netter,
doch ist der selber nur ein Aussenseiter,

lässt sich von Jüngeren ins Bochshorn jagen.
Nick ist zuhaus. Gleich wird die Stunde schlagen.
Noch drei Etagen bis zum Donnerwetter.


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#8
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14

Noch drei Etagen bis zum Donnerwetter.
Mit lautem Nachhall fällt die Tür ins Schloss.
Ein Kater huscht vorbei. Jemand vergoss
was Klebriges. Es knarzen alle Bretter,

bemüht er sich auch, dass er leise sei,
und kündigen ihn wie ein Unheil an.
Nick überlegt, wie ‚s eigentlich begann,
dass er sich nirgends sicher fühlt, nicht frei,

weiß nur, es ist nicht immer so gewesen,
auch wenn ihm die Gewissheit bald verblasst.
Nur manchmal flasht sie ihm kurz auf. Ad hoc

und schwindet wieder, eh er nach ihr fasst.
Die Treppe knarrt. Er kann die Flecken lesen.
Türkis und creme die Flure, Stock für Stock.


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