Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Borderline
#1
Borderline

Kontrollverlust hab ich ins Hirn gebrannt,
ein fehlerhafter Film, verzerrt belichtet,
auf kein gestörtes Bild in mir verzichtet.
Mein roher Nerv ist völlig überspannt -

ich schlag mich schmerzvoll an die kahle Wand.
Und habe ich mich blutend aufgerichtet
und neuen Wahnsinn lose aufgeschichtet,
dann wechsle ich das rote Bußgewand.

Nun bin ich wie ein heller Sommerklang,
nichts hemmt jetzt meinen leichten Höhenflug.
Mich tragen traumgleich Freude und Gesang

und nichts ist hart und dunkler Selbstbetrug.
Nichts hindert meinen unbeschwerten Gang
und alle Wege sind ein Festtagszug.
Zitieren
#2
Hallo Eva,

Das ist ein schwieriges Thema.

Insgesammt scheint mir dein Lyrich etwas zu abgeklärt um ein Borderline-Syndrom für sich zu reklamieren.
Stimmungsschwankungen - wer kennt die nicht. Gut, ich renne dann nicht im Wortsinne gegen die Wand, aber charakterischisch ist wohl, dass starke Stimmungsschwankungen aus vergleichsweise geringen Anlässen folgen.

Hier hätte ich mir eine konkrete Situation gewünscht, inklusive eines plastischen Gegenübers an dem sich dein Lyrich reibt.

Ein "mal so, mal so" wirkt auf mich ziemlich blutleer wenn man keinen Anlass findet, warum die Stimmung umschlägt.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
Zitieren
#3
Hi Zaunkönig,

schade, dass es für auf dich blutleer wirkt. Ich habe absichtlich keinen konkreten Anlass beschrieben und es allgemein gehalten. Die Stimmung schlägt hier wieder um, weil der Wahnsinn, der Anlass für den Kontrollverlust war, ja aufgeschichtet wurde, wie z.b. ein Holzfäller sein Holz aufschichtet und dann Feierabend macht. Ich habe hier bewusst die Möglichkeiten des Sonetts also Quartette und dem gegenüber gestellt die Terzette gewählt, um die 2 extreme einer solchen Persönlichkeit zu schildern.
Danke für deine Beschäftigung mit meinem Gedicht.

Liebe Grüße

Eva
Zitieren
#4
Wenn der Holzfäller Feierabend macht, ist der Haufen aber immer noch da!

Ich denke nicht dass diese Stimmungsschwankungen automatisch ablaufen wie eine innere Uhr. Es wird nur überreagiert, einen Anlass braucht es aber schon, eine Kleinigkeit oder ein Missverständnis. Oder eine Erinnerung eine von noch so weit hergeholte Assoziation. irgendwas.

Ich sehe ein, dass man im Sonett, oder überhaupt in der Lyrik nicht genug Platz/Zeit hat um alle Details unterzubringen.
Eine Verkürzung / Verallgemeinerung ist also unumgänglich, aber so wie ich ein Liebesgedicht nicht ohne ein Du schreiben kann, so kann ich keine Psychische Störung ohne Anlass oder Auslöser beschreiben.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
Zitieren
#5
(27.03.2015, 10:06)ZaunköniG schrieb: Eine Verkürzung / Verallgemeinerung ist also unumgänglich, aber so wie ich ein Liebesgedicht nicht ohne ein Du schreiben kann, so kann ich keine Psychische Störung ohne Anlass oder Auslöser beschreiben.


Hi Zaunkönig,

wohl aber kann man aber über das Wesen der Liebe z.B. ein Sonett verfassen, ohne eine bestimmte Person damit zu beschreiben oder anzusprechen. Von daher denke ich schon, dass man auch über das Wesen oder die Auswirkung einer Krankheit schreiben kann, ohne einen einzelnen Auslöser für schildern. Ich denke, es gibt so viele Gründe völlig auszuflippen. Da überlasse ich es der Phantasie des Lesers, sich einen Anlass zu denken... Vielleicht kann man dies nicht erwarten, aber wie du ja sagtest ist ein Gedicht ein sehr beschränkter Raum, um etwas für jeden verständlich darzustellen. Ich experimentiere noch sehr mit meine Ausdrucksmöglichkeiten und meinem persönlichen Stil und bin eigentlich nie mit meinen Gedichten zufrieden. Die Technik beherrsche ich mittlerweile fast, aber ansonsten muss ich mich Sicherheit noch viel dazulernen. Deshalb stelle ich nun einige meiner Sonette auch mal hier ein, um meinen Horizont zu erweitern...


Liebe Grüße

Eva
Zitieren
#6
Hallo Eva,

Ein Gedicht über die Liebe muss nicht von einer bestimmten Person handeln. Es kann auch die sehnsucht sein irgendwann den/die Richtige/n zu finden, aber der Aspekt Zweisamkeit und sei es nur die gewünschte ist elementar. Ausserdem kannst du davon ausgehen, dass jeder Leser die Liebe schon am eigenen Leib erfahren hat. Da kann also jeder schon etwas mit dem Stichwort Liebe anfangen.
Du musst beim Borderline kein Frühkindliches Trauma oder eine seltene Gendisposition erläutern, aber die Überreaktion auf kleine Anlässe ist auch Symptom der Krankheit.
Es klingt, als wenn du von einem Mörder schreibst, dass er Menschen tötet. Das ist natürlich richtig und es gibt die Unterschiedlichsten Motive. Aber mal abgesehen davon, dass die meisten Menschen auch mit diesen Motiven nicht zum Mörder werden ist es eben auch eine Binse. Literarisch interessant ist, was macht einen Menschen zum Mörder oder wie ist diese Situation eskaliert.

Der beschränkte Raum im Gedicht ist die große Herausforderung nicht nur bei diesem Thema. Statt zu verallgemeinern, versuche ich eher das Typische und Wichtige vom Unwesentlichen zu trennen. Der Lyriker sollte meiner Meinung nach nicht der bessere Arzt oder Therapeut sein, aber ein guter Beobachter.
Wenn du siehst, wie sich zwei menschen unterhalten, dann siehst du oft, auch ohne ein Wot zu verstehen, wie sie zueinander stehen, - ganz intuitiv.
Du erkennst einen verliebten Blick oder einen zornigen einen traurigen oder einen skeptischen. Aber woran? Beschreibe einen verliebten Blick, ohne "vetrliebt" zu benutzen oder ein wohlfeiles Synonym.
Wie sieht ein Borderliner aus, wenn er seinen "Schub" bekommt? Wie reagiert ein gegenüber? Verängstigt? Genervt? Belustigt? Und wie sieht das aus?
Mimik, Gestik, Habitus beschreiben die Menschen am besten wenn man nicht als Oberlehrer dastehen will.
Und ist es nicht auch im wahren Leben so das eine Geste mehr ausdrücken kann, intensiver und im Zweifelsfalle glaubwürdiger ist als Zwei Stunden reden? Dabei ist eine einzelne Geste auch nichts. Sie ist Reaktion auf die Situation und löst weitere Reaktion aus. Du kannst Impuls und Handlung nicht trennen.
Bei Verallgemeinerungen besteht immer die Gefahr dass die Worte beliebig werden.
Warum willst du überhaupt verallgemeinern?
Wegen der knappen Form?
Die Kunst besteht nicht darin, möglichst viel Aussage zu streichen, sondern möglichst viel auszusagen mit den wenigen Worten.

Zitat:Kontrollverlust hab ich ins Hirn gebrannt,
ein fehlerhafter Film, verzerrt belichtet,
auf kein gestörtes Bild in mir verzichtet.
Mein roher Nerv ist völlig überspannt -

ich schlag mich schmerzvoll an die kahle Wand.
Und habe ich mich blutend aufgerichtet
und neuen Wahnsinn lose aufgeschichtet,
dann wechsle ich das rote Bußgewand.


In Zeile 5 hast du so ein starkes Bild. Eine Geste, die die Situation gut beschreibt. Den Kontrollverlust, den Wahnsinn brauchst du gar nicht mehr zu erwähnen, die stecken hier schon drin. Du hättest also noch Platz im Text um den Auslöser zu beschreiben oder wie dann wieder in die Glückseligkeit geswitscht wird.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
Zitieren
#7
Hi Zaunkönig, zunächst vielen, lieben Dank für die weitere Beschäftigung mit meinem Text. Der Text entstand aus einer Art Selbsterkenntnis heraus. Der Lyriker also in diesem Falle ein Selbst -"Beobachter". Ich schlage mich nicht buchstäblich an die Wand, sondern es ist eine Metapher ( ähnlich wie den mit Kopf gegen die Wand laufen, vielleicht kennst du das). Aber ich weiß, was du mir sagen willst. Ich versuche deinen Ratschlag zu beherzigen und es bei einem erneuten Versuch ein Sonett zu schreiben zu berücksichtigen. Zur Liebe: Die muss sich nicht immer auf ein Person beziehen, sondern ist so viel vielfältiger. Liebe zur Musik, zur Malerei, zu Sonetten, zur Natur usw... (Verzeih bitte diese Belehrung)
Mal gespannt wie dir mein nächstes Sonett gefällt...

Liebe Grüße

Eva
Zitieren
#8
Ja, es sind doch sehr verschiedene Gefühle, die mit dem kurzen Wort "Liebe" gemeint sein können.
Aber das ändert nichts. Ob wir Menschen oder Tiere lieben, eine Sache oder eine Idee...
Die Liebe ist nicht denkbar ohne Referenz auf das Geliebte.

Ja, mal schauen, was noch kommt. Zu sehen wie sich Autoren entwickeln ist fast spannender als die Texte selbst. Meine Ratschläge sind dabei natürlich Privatmeinung. Ich hoffe, nicht ganz an den Haaren herbeigezogen, aber Naturgesetze gibt es in der Kunst nicht. Prüfe genau, was du für dich übernehmen kannst, denn authentischer wird man nicht weil man neuere Autoren kopiert.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
Zitieren


Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste
Forenfarbe auswählen: