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Wanderung bei Nacht (4)
#1
Wanderung bei Nacht

I.


Die Nacht, die Pilgerin im Trauerkleide,
Durchwandelt still die blühenden Gefilde...
Die Rosen und Violen duften milde
Und leis’ nur athmet die bethaute Haide.

Aufsteigend webt ein Netz von Strahlenseide
Der Mond um des Gebirges Felsgebilde,
Daß sie, des Thales graue Wetterschilde,
Weithin erglänzen wie von Goldgeschmeide.

Wie sanft ruht Alles, längst vom Schlaf umfangen!
Die Blumen und die keuschen Knospen lassen
Entschlummert die so müden Köpfchen hangen.

Nur mich allein, den Schlaf und Träume hassen,
Verlockt ein heißes, schmerzliches Verlangen,
Ruhlos zu wandern durch die leeren Gassen.


II.

An Liebchens Haus die weiten Fensterbogen,
D’ran schlanke Säulen zierlich aufwärts streben
Mit altem Schnitzwerk, sind von Eppichreben
Und jungem Weinlaub schlangengleich umzogen.

Der Kuß des Windes trifft die Blätterwogen,
Daß wonneschauernd sie zusammenbeben...
Der Springquell flüstert und im Hain daneben
Ertönen sanft der Nachtigall Eklogen.

Ein Pförtchen in der Mauer führt zum Garten,
Das mir einst jeden Abend war erschlossen,
Und niemals ließ Blauäuglein auf sich warten;

Doch sind die sel’gen Zeiten längst verflossen,
Die Bäume kahl, die sonst von Blüthen starrten,
Die Blätter welk und dürr des Glückes Sprossen.


III.

Stets wird die Nacht mir unvergeßlich bleiben,
Wo ich, vor Liebe kaum der Sinne mächtig,
Den Frevel unternahm ganz unbedächtig,
Dich zu belauschen, spähend durch die Scheiben.

Wohl war’s ein unverzeihlich tolles Treiben;
Doch lehrt’ es mich erkennen, wie du nächtig
Noch reizender erscheinst und also prächtig,
Daß kaum ist deine Schönheit zu beschreiben.

Die Schulter glänzte wie aus Schnee gewoben
Und in den Augen mußt’ ich, in den blauen,
Zwei Veilchen, eben erst der Flur enthoben,

In deinen hohen schöngeformten Brauen
Zwei Regenbogen nach Gewittertoben
Und einen Engel in dir selbst erschauen.


IV.

Zwar zürnst du mir, doch kehr’ ich immer wieder
Mit reuigem Gemüth zu deinen Füßen,
Die alte, nicht getilgte Schuld zu büßen,
Und vor dir fällt das Herz andächtig nieder.

Der Stimme Schmelz, die Wohlgestalt der Glieder,
Sie reizen mich, dich täglich zu begrüßen...
Dein Anblick muß den Kummer mir versüßen
Und in der Seele hauchen neue Lieder.

Verwehre nicht die kleinen Huldigungen,
Grausame, diesen Trost dem armen Kranken!
Und wehrst du es, von Mitleid nicht durchdrungen,

So hindert keine Macht doch die Gedanken
Zu folgen dir und sich in ewig jungen
Ueppigen Zweigen um dein Bild zu ranken.


.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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