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Bilder aus Neapel (22)
#1
Bilder aus Neapel


I.


Zwei Bübchen sah ich heut, in Lumpen beide,
Eins barfuß, eins mit Stiefeln ausgerüstet,
Danach wohl keine Seele sonst gelüstet –
Fast wie das Messer ohne Griff und Schneide.

Sein Spießgesell indessen sah's voll Neide,
Wie sich der Freund mit seinem Schuhwerk brüstet;
Denn ob es auch der Zahn der Zeit verwüstet,
Strahlt der Besitzer doch in stolzer Freude.

Den Soldo, den er erst erbetteln müssen,
Gab er dem Stiefelputzer, mit Grimassen –!
Grinsend von einem bis zum andern Ohre.

Und sein Triumphblick tat der Welt zu wissen:
Wer Stiefel hat, kann sie auch putzen lassen,
Und wer sie putzen läßt, ist ein Signore


II.

Wär' Vater Adam hier am Golf geboren,
Nie hätt' er sich ums Paradies gebracht;
Den Zorn des Herrn hätt' er hinweggelacht
Mit echt napoletanischen Humoren.

Heut, da ich wandelt' ins Gewühl verloren
Am Hafen, fühlt' ich eine Hand, die sacht
An meinem Rockschoß sich zu schaffen macht';
Ein Griff – den Schlingel hatt' ich bei den Ohren.

Doch wie ein Aal entschlüpft' er mir und stand
Erst in der Ferne still, mit Sehnsuchtsblicken,
Recht wie vom tiefsten Mitgefühl durchdrungen.

Und mich vertröstend winkt' er mit der Hand:
»Geduld, Signor! 's wird nächstens besser glücken!« –
Fast tat's mir selber leid, daß es mißlungen.


III.

Dies junge braune Schelmenangesicht
Mit Feuerblick und lachend weißen Zähnen –
Wie reizend hexenhaft der wirren Strähnen
Tiefschwarzer Kranz die niedre Stirn umflicht.

Sie kennt nichts Höh'res, als am Sonnenlicht
Im warmen Meersand faul die Glieder dehnen,
Doch muß sie früh schon bei den Fischerkähnen
Mitziehn am Schleppnetz, wie der Weiber Pflicht.

Hernach sitzt sie am Haus und schwingt den Wocken
Und singt dazu und ruft, gehst du vorbei,
Mit Lachen ihr: ›Signor, muojo di fame!‹

Sie hat gut lachen! Diese Zähn' und Locken
Und sonst noch Unverfälschtes allerlei
Dürft' ihr beneiden manche große Dame.


IV.

Das Stirnhaar leicht mit Puder angegraut,
Den Schopf gekrönt mit falscher Flechtenmasse,
Ihr Fähnchen lang nachschleifend auf der Gasse,
Bachstelzenhaft, mit zwitschernd hellem Laut;

Zu jedem Mannsbild, das herüberschaut,
Hinäugelnd, ob ein Netz sich werfen lasse,
Nicht schön, doch zierlich, von gemischter Rasse,
Kohlschwarz das Aug, ein bleiches Braun die Haut:

So gehn Neapels Töchter vom geringern
Stand dir vorbei und scheinen keck zu sagen:
Wir sind nicht Römerinnen, mußt du wissen.

Den Austern gleichen wir, den kleinen Dingern,
Die auch, wie wir, das Altern nicht vertragen,
Doch frisch geschlürft sind sie ein Leckerbissen.


V.

Sie hielten, vierzig Ladendiener, heuer
Ihr Bundesfestmahl in Sorrentos Frische.
Für Suppe, Macceroni, Braten, Fische
Und Früchte sind zwei Lire nicht zu teuer.

Doch wie sie tafelten! Mit welchem Feuer
Ein jeder schlang, damit er ja bei Tische
Auch für sein Geld sein volles Teil erwische,
Portionen ließ verschwinden, ungeheuer!

Beim Nachtisch sangen sie zur Mandoline
Traviata, Rigoletto, Troubadour,
Wo mehr die forti glückten als die pani!

Der kellner schlich herum mit saurer Miene.
„Vierzig Kuverts – zwei Lire Trinkgeld nur! –
Ma che volete? Son Napoletani!”


VI.

Das Hirn voll Tand, im Herzen öde Leere,
Sorgsam frisiert, geschminkt die welke Haut,
Mit jedes Hauses kleinem Klatsch vertraut,
Als ob in aller Welt nichts Höh’res wäre,

So schlendert dort der Veteran vom Heere
Der Stutzer, höchlich von sich selbst erbaut,
Voll Stolz, daß er mit Ehren so ergraut
Im strengen Waffendienste der Cythere.

Beruf und Ziel und Inhalt seines Lebens
War Frauenliebe; da ihn die verlassen,
Ist er zu nichts mehr auf der Welt zu brauchen,

Als nur – ein Vorbild manneswürd’gen Strebens
Der goldnen Jugend – auf Neapels Gassen
Die langen, schwärzlichen Cavours zu rauchen.


VII. – Im Museum

Am Sonntag stets und Feiertags mitunter
Ist freier Eintritt hier. Das Volk in Scharen
Strömt durch die Säle, froh, den Frank zu sparen,
Und gafft und staunt und lacht und plaudert munter.

Ein stattlich Bürgerweib sah ich darunter,
Das einen Säugling trug mit krausen Haaren
Und leider noch viel krauserem Gebaren;
Er stampfte, schrie und trieb es bunt und bunter.

Da, öffnend ihre volle Brust in Eile,
Im Weiterschreiten stillte sie den Schreier,
Indes sie selber sättigte die Augen.

Gesegnet Volk! Dir wird das Glück zuteile,
Den Sinn für Kunst in früher Sonntagsfeier
Schon mit der Milch der Mutter einzusaugen.


VIII.

Ich sah im sechsten Stock auf dem Balkone
Ein Crestainchen (auf gut deutsch: Grisette).
Sie näht’, und mit der Arbeit um die Wette
Flog ihr Gesang im Ritornellentone.

Dazwischen, stolz herab vom hohen Throne,
Als ob sie all die Pracht zu eigen hätte,
Beherrscht’ ihr Blick des Meeres Spiegelglätte,
Capri, Vesuv und rechts Pizzofalcone.

Ein Mann mit Früchten kam vorbei. Nach denen
Ließ sie ihr Körbchen rasch am Seil hinab
Und zog’s gefüllt herauf um wenig Heller.

Dann biß sie tapfer ein mit blanken Zähnen,
Bis ihr zum Stelldichein das Zeichen gab
Ihr Liebster, pfeifend wie ein Vogelsteller.


IX.

Und jenes blassen Mädchens dacht’ ich da
In meiner Eltern Haus. Ihr dumpfes Zimmer
Sah in den Hof; da saß sie nähend immer,
Bis ihre Hand dem Linnen ähnlich sah.

Was rings in Stadt und Land und Welt geschah,
Warf in ihr dämmernd Leben keinen Schimmer.
Daß schön die Erde sei, erfuhr sie nimer
Und dacht’ an eins nur: daß ihr Ende nah.

Am Sonntag kam ein blonder Kammerdiener,
Der ihr von Liebe sprach; und schweigend ließ
Und lächelnd sie’s geschehn, als wär’s zum Spaße.

Zuweilen bracht er Kirschen mit, dann schien er
Ein Gott ihr und ein kleines Paradies
Ihr Hinterstübchen in der Behrenstraße.


X.

Die Chiaja dröhnt von Reitern und Karossen,
Konzert im Grünen, luft’gen Menschenscharen.
Siehst du die schöne Frau mit blonden Haaren,
Stumm an des Gatten Seite hingegossen?

Er blickt so kalt, sie traurig und verdrossen.
Die Dulderin! Kann er ihr’s nicht ersparen,
Dicht an dem Hause dort vorbeizufahren,
Wo er sein freches Liebchen eingeschlossen?

Die zeigt am Fenster sich zur Korsostunde.
Die arme junge Frau sieht stolz vorüber –
Wohin? dort nach dem Stutzer hoch zu Pferd?

Aufblitzt ein Lächeln an dem blassen Munde,
Ein Wink – ein Blick herüber und hinüber –
o Duldnerin! – Ihr seid einander wert!


XI.

Hier kannst du Gleichheit finden sondergleichen.
Sie machen Ernst mit dem erhabnen Spruche,
Wir sollten Brüder sein trotz Kains Fluche;
Zumal die Schwestern wissen’s zu erreichen.

Die Häßlichen und Hübschen, Arm’ und Reichen,
Mit Ambradüften oder Fischgeruche,
Sie lesen sämtlich nie in einem Buche
Und wissen aller Bildung auszuweichen.

Nur was man anziehn, küssen kann und essen,
Scheint wert, daß man danach Verlangen trüge,
Ob höher man geboren sei, ob tiefer.

Das Fischweib neidet nicht die Principessen.
Was die besitzen, hat sie selbst zur Gnüge:
Liebschaften, Kinder, Eis und Ungeziefer.


XII.

Ihr zählt mein schönes Kind, kaum vierzehn Jahr
Und habt ein so erwachsen kluges Lachen
Und schwatzt so allerliebst von Liebessachen,
Schon aus Erfahrung, dächte man fürwahr.

Auch ist schon einer, oder zwei sogar,
Mit Ernst beflissen, Euch den Hof zu machen;
Selbst dem Verehrer Eurer eignen schwachen
Mama bringt Euer Äugeln schon Gefahr.

Was Ihr nur tragt und tut und sprecht, hat Schick.
Ihr habt den besten Koch, den ersten Schneider,
Der frömmste Beicht’ger sorgt für Eure Tugend.

Begehrlich folgt Euch aller Männer Blick.
Ja, ihr habt alles, Signorina! Leider
Fehlt Euch nur eine Kleinigkeit: die Jugend.


XIII. – Auf Capri

Barfüßig, braun, das Haar zerzaust vom Wind,
Trieb sie ihr Eselchen mit sonderbaren
Zurufen an. Da wir gesprächig waren,
So löst’ auch ihr das Zünglein sich geschwind.

„Concetta heiß’ ich. Hier auf Capri sind
Die meisten Mädchen hübsch. Vor wenig Jahren
Kam ein Milordo übers Meer gefahren,
Der nahm zur Frau sich ein Capreser Kind.

„Was half das Glück ihr? Weil’s im Norden schneite,
Starb sie vor Frost und Heimweh, poveretta!
Der arme Herr! Tanto carina war sie!

“Man sagt, nun komm’ er wieder, sich das zweite
Zu holen.“ – Hättest Du wohl Lust, Concetta? –
Und sie, ganz ernsthaft: Eh! potrebbe darsi.


XIV. – Vom neuen Friedhof

Ich sah die Sonne still zur Küste gleiten,
Capri, die Meersphinx, in gold getaucht,
Sorrent von zartem Veilchenduft umhaucht
Und um Sankt’ Elmo Dämmrung sich verbreiten.

Kaum atmete die Luft von Zeit zu Zeiten.
Das Wölkchen, das dem Feuerberg entraucht,
Hing wie getriebnes Silber, schöngebaucht;
Kein Schatten sonst in allen Himmelsweiten.

Und in mir sprach’s: wie hoch auch Pessimisten
Beteuern, Nichtsein gelte mehr als Sein,
Hier fehlte wohl der Mut zu solcher Phrase.

Ihr, die ihr nicht mehr seid, ihr guten christen,
Um einen Blick in dieses All hinein
Gäbt ihr das Nichts wohl unter eurem Grase


XV.

„Ein Stück des Himmels, das zur Erde fiel,
Der Schöpfung Sonntagskind, ein zweites Eden,
Die Zauberin des Meers, betörend jeden,
Den je vorbeitrug seines Schiffes Kiel;

„Ein ew’ger Freudenborn, ein Leidasyl“ –
O Freund, genug der überspannten Reden!
Die blanke Larve deckt gar arge Schäden,
Gar schnöder Lüst’ und Leidenschaften Spiel!

Wohl mag dies Land des ew’gen Sonnenlichts
Ein Paradies dir dünken, zauberhelle,
Wo Schlangen locken: kommt und werdet Götter!

Doch niemand pflegt im Schweiß des Angesichts
Hier abzubüßen seine Sündenfälle,
Und sehr entbehrlich scheinen Feigenblätter.


XVI.

Hier haben wahrlich alle Menschlichkeiten
Ihr Stelldichein. An des Genusses Arm
Schlendert das süße Nichtstun durch den Schwarm,
Und toller Leichtsinn tanzt dem Paar zur Seiten.

Es sprach von nordischen Bedenklichkeiten
Natur sie los und bannte Reu’ und Harm.
Schwül sind die Tage und die Nächte warm –
Das Laster mag am liebsten nackend schreiten.

Nicht ist das Alter zahm, die Jugend blöde.
Ein jeder fühlt im brausenden Gewimmel
Geborgen sich und seine liebsten Sünden.

So treibt er, was er mag, und ist es schnöde,
Er denkt getrost: selbst Gottes Aug im Himmel
Weiß im Gewühl dich nicht herauszufinden.


XVII.

Auf Schritt und Tritt, wohin die Augen schweifen,
Hast du hier Reiz und Schönheit zu bestaunen.
Kommst du in grauen Locken oder brauen,
Das alte „Sieh und stirb!“ wirst du begreifen.

Es ließ der Himmel diese Perle reifen
In der humansten seiner Schöpferlaunen.
Was Spötter auch von ihren Flecken raunen,
Wird nicht den Glanz von ihrer Schale streifen.

Hier findest du zu Kauf wie im Bazare
Kunst und Natur, jedweden Schmuck des Lebens,
Daß nichts dem schwelgensten Bedürfnis fehle.

Von allem auserlesne Exemplare.
Nur einen Reiz ersehnst du hier vergebens:
Den schlichten Liebreiz einer schönen Seele.


XVIII. – Villa N.

Ich kannte dieses Haus in frühern Tagen,
Da schimmert’ es von weißen Marmorbildern,
Von goldnen Wänden, Lüstern, Wappenschildern,
Von stolzer Pracht und üppigem Behagen.

Heut weht hindurch ein Herbsthauch von Entsagen,
Der alle Farben dämpfen will und mildern,
In Haus und Park ein reizendes Verwildern,
Noch schöner fast, als da sie Schmuck getragen.

Gleich einer stolzen Seele, die sich lange
Bewußt geliebten strenggemeßner Pflichten
Und, um zu glänzen, sich bequemt dem Zwange.

Doch ihrer spotten läßt Natur mit nichten.
Unmerklich folgt das Herz dem tiefen Hange
Nach Freiheit, der es lehrt auf Prunk verzichten.


XIX. – San Martino

Wie Fürsten dieser Welt habt ihr gewohnt
Hoch über Stadt und Land und Flutgebrause,
Ihr schweigsam stolzen Büßer der Kartause,
Stumm, weil nur Gottes Wort der Mühe lohnt.

Kein Papst noch Kaiser, der so schimmernd thront,
Kunst und Natur umblühten eure Klause;
Sant’ Elmos Fort war Schirmvogt eurem Hause,
Das Schätze häufte, die der Rost verschont.

Nun hat man euch zur Welt zurückgetrieben.
Nichts mehr von all dem Glanze blieb euch eigen,
Nicht eures Kreuzgangs kühler Marmorfrieden.

Doch wenn ihr wollt, ist alles euch geblieben;
Denn wer da weiß zu schauen und zu schweigen,
Bleibt, auch entthront, ein Fürst der Welt hienieden.


XX. – das Grab Virgils am Posilip


Dich nenn’ ich wohl des Glückes Lieblingssohn
denn treulich folgend eines Größern Tritten,
Bist du Jahrhunderte hindurchgeschritten
Und glorreich der Vergessenheit entflohn.

Und wieder hob empor zu seinem Thron
Ein Größrer dich, der durch der Hölle mitten
Zum Führer dich erkor, und wieder glitten
Weltalter hin – du sprachst dem Wechsel Hohn.

Zwar was du sangst von Waffen, Hirt und Herde,
Hat nie die Welt erschüttert zaubermächtig;
Du aber bliebst der Zaubrer der Poeten.

Es liegt am zauberschönsten Fleck der Erde
Dein Grab, und zu ihm wallt die Welt andächtig,
Wie zu der Gruft der Heil’gen und Propheten.


XXI.

Du weißt es wohl, ich lebe nicht mehr gerne,
Da Jahr um Jahr so herbe Schläge brachten,
Die wohl auch härtre Schultern mürbe machten,
Und ich das Leben bitter fand im Kerne.

Nichts mehr erquickt mich, was ich schaff’ und lerne.
Ich weiß, nur wenig lohnt’s, nach Wahrheit trachten,
Und jenes Laub, wonach Poeten schmachten,
hält nicht den Blitz von Menschenhäuptern ferne.

Und doch, ob ich allein nach Ruhe strebe –
Vom Sonnenzauber dieser Stadt umglänzt,
Gesteh’ ich’s nur: hier atmen lohnt der Mühe.

Sie grüßt den müden Ringer gleich der Hebe,
Die ew’ger Jugend Nektar ihm kredenzt,
Das neues Sein im Jenseits ihm erblühe.


XXII.

Der Tag ist wonniglich, die Inseln liegen
Entschleiert wie Sirenen in der Flut.
Die Märchenstadt in San Martinos Hut
Glänzt wie ein Traum, da wir vorüberfliegen.

Wir können uns bequem im Wäglein wiegen,
Das Laub am Wege wehrt der Mittagsglut.
Fast dünkt das Leben lieblich uns und gut –
Was ist mir nur so feucht ins Aug gestiegen?

Ach, siehst du vorn an unsres Pferdes Schopfe
den Federbusch, der rastlos nickt und weht
Beim lust’gen Schellenklang im Weitertraben?

Den Schmuck trug ja das Pferdchen auch am Kopfe,
Das nun im öden Haus verlassen steht,
Seit seinen kleinen Reiter wir begraben!


.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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