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Tristien (6)
#1
Tristien

I.


O stiehl dich nicht von meiner Seite fort,
Wie’s oft mir droht dein trostlos wunder Blick!
Ein blindes Rätselspiel ward das Geschick,
Doch ist der Tod ein trüglich Lösungswort.

Ja, gäb’ es über diesem Hier ein Dort,
Dir zu erneun verlornes Mutterglück,
Wer weiß, ich hielte nicht die Hand zurück,
Die steuern wollte noch dem Rettungsport.

Doch jener schlaf, der keine Träume bringt,
Nür seelenlosen Frieden, starr und still,
Ist er denn mehr als diese Trauer wert,

Drin fort und fort sein Stimmchen dich umklingt,
Sein weiches Händchen dich noch streicheln will,
Und was du hingabst, ewig dir gehört?


II.

Wir wollten in Bogheses hohem Saal
Am Zauber Tizians heut die Blicke weiden,
Und weil die Brunnen sich mit Eis bekleiden,
Hing ich den Mantel um zum erstenmal.

Was zog ich aus der Tasche da? O Qual!
Zwei winzig kleine Handschuh’, weich und seiden,
Die wollt’ er nicht mehr an den Händen leiden,
Da schon zu warm der Frühlingssonne Strahl.

Da hob ich sie ihm auf, als durch den Wald
Vergnüglich „wir zwei Männer“ uns ergingen,
Ach, ahnungslos, wie kurz der Frühling bliebe.

Und nun sein warmes Händchen starr und kalt
In ew’ger Nacht - ! Dies Höllenleid bezwingen
Kann keine „himmlische und ird’sche Liebe“


III.

Wenn ich, mein holdes Kind, wie oft geschah,
Dir vorgefabelt wundersame Sachen,
Sahst du mich an mit deinem klugen Lachen
Und sagtest: Ich versteh’ schon Spaß, Papa.

Ein Glanz umfloß dir Mund und Augen da,
Um auch die tiefste Schwermut froh zu machen.
Schon kündete sich an des Geists erwachen,
Der im Humor des Lebens Blüte sah.

das Schicksal aber hat nicht Spaß verstanden.
So unerbittlich war sein eh’rner Wille,
Daß aller Munterkeit ich längst vergaß.

Nichts, was des Lachens wert, scheint noch vorhanden
Ich horche Tag und Nacht – die Welt bleibt stille,
Und dieses Dasein ward ein schaler Spaß.


IV.

Heut nacht kam das Gebet mir in den Sinn,
Mit dem als Kind ich stets mich schlafen legte,
Und wie die Lippe sich von selbst bewegte,
Sagt’ ich das „Vaterunser“ vor mich hin.

Doch weil ich längst entwöhnt des Wahnes bin,
Das väterlich des Lebens Herr mich hegte,
Geschah’s, daß der Gedank’ in mir sich regte:
Wie gut, daß ich ein Kind des Todes bin!

So betet’ ich zu ihm: Gescheh’ dein Wille! –
Gib mir mein täglich Brot an Sorg’ und Mühe! –
Versuche du mich nicht! – Dann schwieg ich stille

Und lag in unaussprechlichem Gegrübel,
Bis ich aufdämmern sah die erste Frühe,
Da schloß ich fromm: Erlös’ uns von dem Übel!


V.

Ob in der argen Welt, wie gute Christen
Beteuern, alles sich zum Besten wende,
Ob sie nur wert sei, daß sie eilig ende,
Nach eurem Credo, werte Pessimisten,

Ob zwischen dem Erfreulichen und Tristen
In goldner Mitte sich der Ausgleich fände:
Fern sei’s von mir, daß ich mich unterstände
Schiedsrichterlichen Spruchs bei solchen Zwisten.

Ich hab’, indes ich wandelt’ hier auf Erden,
Vom Süßesten und Bittersten genossen
Und kenne dieses Daseins Stärk’ und Schwächen.

Im Einzlen hoff’ ich klüger noch zu werden,
Doch übers Ganze bin ich fest entschlossen
Superlativistisch niemals abzusprechen.


VI.

Ich habe längst in mir den Wunsch begraben,
Zu schürfen aus des Lebens Freudebronnen;
Der Ehrgeiz schwand, mich am Erfolg zu sonnen,
Und über Habsucht fühl’ ich mich erhaben.

So werd’ ich meinen Weg zu Ende traben
Gesengten Haupts, den aufrecht ich begonnen,
Und doch – noch einmal, eh’ die Frist verronnen,
Wünscht’ ich an Jugendvollkraft mich zu laben.

Denn hinter meiner Stirne fühl’ ich sacht
Ein Ungebornes ungebärdig pochen,
Das hätt’ ich gern noch rein ans Licht gebracht.

Nun bangt mir, meine Bildkraft sei gebrochen
Und nieder müss’ ich in die stumme Nacht,
Verstummt, eh’ ich mein letztes Wort gesprochen.


.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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