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September-Sonette
#1
Rudolf Borchardt
1877 - 1945



Die September-Sonette

I



Vom Tage nährt sich schon die Nacht verstohlen;
Schlaflose Stürme laufen in den Gärten
Und holen mich auf ihre blassen Fährten.
Ich binde mir die Flügel an die Sohlen

Und bin hinaus – (doch träum ich wohl). Mich holen
In ihre Reigen andere Gefährten –
Wo sah ich sie, die sich gleich Sternen mehrten
An heißen Abenden? – Ein Atemholen

Und alles hin, wie Duft. Ich bin ganz wach
Und weiß, ich geh, und sag: „Noch heute nur!“
Von Stunden ein verfließendes Gesind

Schwebt tönend fort durch Kammer, Tor und Flur.
Ich spüre vom erhobenen Gemach
Atmende Nacht und Bäume ohne Wind.



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#2
II

Atmende Nacht und Bäume ohne Wind.
Verführen mich, an deinen Mund zu denken,
Und dass die Pferde, mich hinweg zu lenken,
Schon vor dem Wagen angebunden sind;

Daß alles uns verließ, wie Wasser rinnt,
Daß von dem Lieblichsten, was wir uns schenken,
Nichts bleiben kann und weniges gedenken:
Blick, Lächeln, Hand und Wort und Angebind;

Und daß ich so einsam bekümmert liege,
Und dir so fern, wie du mir fern geblieben –
Die Silberdünste, die den Mond umflügeln,

Sind ihm so ferne nicht als ich dir fliege,
So ferne Morgenrot nicht Morgenhügeln,
Als diese Lippen deinen, die sie lieben.
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