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Nachtgesichte (6)
#1
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Nachtgesichte


Abendstern

Auf grauen Reiherflügeln trug sie ihn herbei,
Die Dämmerung. Und gab den Wolken ihn zum Kinde.
Opalner Muschelwände Schirm umfing ihn linde,
Da kam der Sturm und spaltete die Perle frei.

Der Glanz brach aus. Die leere Hülle sank dem Winde,
Die Wende kam. Daß sie kein zager Ton entweih,
Zerschellt am edlern Erz des Sterns der scheue Schrei
Der kleinen Abendglocke und versiegt gelinde.

Und alles hängt ihm an, der, kostbaren Geschlechts,
Das Licht der Finsternis zu ketten lieh sich her,
Sie magisch wandelnd, jeder Kraft sich gab zum Bunde.

Die Brunnen, die nach längs hin strömten, strömten rechts,
Die Zweige, die nach längs hin rauschten, rauschen quer,
Und zwischen Tag und Nacht schwebt eine große Stunde.



Sichelmond

Das erste Dunkel kündet die bewegte Nacht,
Die wolkenleicht sich bettet in den offnen Saal
Der Welt. Der Himmel hißt sein silbernes Signal,
Das hat so manch Getier um seinen Schlaf gebracht.

Gehörntes Wesen späht nach dem verwandten Mal,
Es äugen Hirsch und Rehbock wunderlich erwacht,
Allüberall hat Laut und Regung sich entfacht,
Entsiegelt vom gewundnen Zeichen rauscht das Tal.

Wo ist der schwarzen Nächte tiefgehegter Traum?
Das zwiegespaltne Dunkel lechzt nach ganzer Helle
Und alles teilt sich flüsternd leise Botschaft zu.

Die Aufgescheuchten deckt der Himmel voller Ruh,
Sein schiefgerutschtes Krönlein überschweigt den Raum,
Nur unterm Boden raunt die Wurzel mit der Quelle.



Neumondnacht

Vom fernen Wald her reißt der Kauz drei schrille Kerben
Tief in der makellosen Stille schwarze Wand.
O rätselvolles Tier, dem Tag so unbekannt,
Welch lügenhafter Fluch verhängte, daß dein Werben,

Arglos herausgerufen übers dunkle Land,
Unheimlich durch die Nächte klagend klingt nach Sterben?
Der milde Himmel müht sich sanft der Stille Scherben,
Die abgespellt vom Ruf sind, der sich dir entwand,

Von neuem in die gute Ruhe einzufügen.
Milchweiße Sternenbüschel flimmern nah und beben
So tief herabgesenkt, als wären sie zu pflücken.

O Mensch! Nun hat es dir die Nacht anheimgegeben:
Läßt du dich von des Kauzes Lügenschrei betrügen
Oder belauscht du Sterne, die sich zu dir bücken?



Lange schwarze Nacht

Nie wandelte Gott näher als in dieser Nacht,
Da Er die Erde überkam mit seinem Schatten.
Die Horizonte löschten aus. Der Hügel Matten
Ergaben sich der Dunkelheit, die Er vollbracht.

Ohnmächtig türmt der Sandberg seine weißen Platten
Gen Himmel auf. Doch wie in einen tiefen Schacht
Stürzt seine Fläche ein, verwischt von jener Macht,
Die jede Helle läßt an Finsternis ermatten.

Dort oben strich ein Luftzug wohl um Gottes Lauf,
Der blies des Mondes rote Lampe aus. Mein Kind,
Nun halt den Atem an und schau nicht nach den Uhren!

Frag lieber du: wie lang noch steht Er dort und sinnt?
Denn während Er sich Rast vergönnt auf hohen Fluren,
Blieb hier Sein Schatten stehn und hält den Morgen auf.



Vollmond

Der Mond gräbt weiße Täler in die Schattenmulden
Und höhlt sich jeden dunklen Kelch zum goldnen Krug.
Ihn zu umwölben ist die Bucht nicht tief genug,
Die blasse Wolke zu gering, ihn zu erdulden.

In Silberschaum zersträhnt sich was ihn nicht ertrug.
Im Glauben, dem Erhabnen großen Raum zu schulden,
Macht sich die Erde weit. In himmlischem Gedulden
Hält Schaft und Stengel still, die er in Goldhaft schlug.

Der Mond ist ganz voll Schlaf. Der Mond ist angeträumt
Seit Ewigkeit von tiefen Nächten ohne Laut.
Dort hebt er wie von ungefähr aus einem Strom

Des Lichts den Birkenwald, der hoch und ausgeräumt
Sich in die Nacht hinzeichnet wie ein heller Dom.
Den hat im Schlaf der letzte Träumer ihm vertraut.



Morgenstern

Du Freudenträne Gottes um die treue Früh,
Ins dunkle All getropft, goldzitternd zu erschauen!
O halte still und bleibe noch in deinen blauen
Bergenden Wolkensäumen hangen, bleib und glüh

Noch für die tragenden, die jungen Blumenfrauen,
Die lautlos stehn in ihrer milden Muttermüh,
Daß nur ein völlig Reingeprägtes ihr entblüh,
Laß sie sich sanft in deine süße Form verschauen!

Wenn dann das große rote Licht dich übertrifft,
Wirst du erbebend in den weißen Himmel sinken
Und rasch erblassen müssen wie vergilbte Schrift.

Doch auf der Erde werden Wiesen sich entfalten
Und tauverklärt dem jungen Tag mit Silberblinken
Die keusche Saat des Sternes süß entgegenhalten.






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Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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