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Altherrensommer-Tenzone
#1
(03.10.2016, 00:16)ZaunköniG schrieb: Altherrensommer


Die Sonne fällt zur Zeit in bunten Streifen
durchs Laub. Ich widersteh', es live zu bloggen, -
seh andern zu beim walken, skaten, joggen.
Den Kragen hoch, lass ich die Blicke schweifen:

Die Halme, die die Mähdrescher nicht greifen,
verfaulen nun im Rain. Im schwarzen Roggen
spannt sich ein Spinnennetz. Die Klatschmohndoggen
geknickt und aufgepickt; die überreifen

geplatzten Trauben vor den Landgasthöfen,
verschmähen, wie es scheint, sogar die Stare.
Sind die schon fort? So muss es sein. und siehe:
Ein Steinwurf weiter qualmen schon die Öfen
und würzig legt der Rauch sich in die Haare.
Ich sollte auch mal joggen, - doch die Knie...



.


Zum obigen Sonett von 2019 hat sich nun eine Tenzone entwickelt.
Die erste Antwort:



(03.10.2016, 00:16)Jan Hendrik Rübel schrieb: Selbstbildnis als alter Mann

Es ist nicht immer leicht, das abzustreifen,
was mich aus fremden mitleidsvollen Blicken
erreicht. Es bleibt, mich in mich selbst zu ducken-
indifferenter Geist um abzuschweifen-

nicht zuzulassen dass die Blicke greifen,
von der Idee entschieden abzurücken,
dass alles Menschliche mich angeht. Brücken
kann man auch hochziehen. Alter lässt dich reifen,

wenn du ein Wein bist. Doch der Mensch verfällt.
Mein Spiegelbild ist nicht mehr nur Betrachter,
es blickt mich an: so vorwurfsvoll und kalt,

taxiert mich und verwirft mich wie ein Schlachter
ein abgehangenes Stück Fleisch. Zu alt.
Ich bin schon fort und doch von dieser Welt


und meine Erwiederung:




Ja klar, es häufen sich die Zipperlein
und öfter fehlt erforderliche Kraft.
Ein Plan ist schnell gemacht, doch schwer geschafft;
An Stelle jugendlicher Träumereien

tritt eine stoische Beharrlichkeit.
Hab ich eine Lektion gelernt, dann diese:
Es hat doch jedes Alter seine Krise.
Wir wissen heut', man hat nicht ewig Zeit,

doch noch genug, sie sinnvoll zu gestalten.
Das Knie, na klar, - und doch spür ich den Drang
mich zu bewegen (nicht mehr ganz so wild).

Auf auf! Es wäre doch ein schönes Bild:
Zwei Bestager im Sonnenuntergang
am Berg, durch nichts und niemand aufzuhalten!




.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#2
(03.10.2016, 00:16)Jan Hendrik Rübel schrieb:   
Es scheint am Berg sich Nebel festzuhalten,
ein Schleier trotz des steten Höhenwindes,
ein filigranes Etwas, so als stünd' es
in innerer Verbindung zu dem kalten

zerklüfteten Gestein mit Resten alten
Schnees. An ihren dunklen Rändern rinnt es
in kleinen Bächen durch den Felsen. Sind es
die Wasseradern die den Nebel halten?

Wir sind in einer Welt aus Schnee und Stein
entfernen uns mit jedem Höhenmeter
von allem Menschlichen und uns versiegt

die Sprache. Nur der Atem geht mit steter
Regelmäßigkeit. Wir gehen ein
in eine Wolke, die sich um uns legt



Die Schönheit dieses Nebels, dieses Eises,
musst du mir dann im Tal nochmal erklären.
Ich weiß, ich sollte mich jetzt nicht beschweren,
doch war da eben nicht noch Midlife-Crisis?

Dir mag es helfen, sich mal auszupowern,
doch muss es immer gleich der Gipfel sein?
Gern kehrte ich nochmal im Gasthof ein,
statt mich von den gelegentlichen Schauern

bis auf die Knochen zu erfrischen. Dies muss
wohl Karma sein. Die Lust am Euphemismus
hab' ich ja selbst geschürt. Und es ist wahr:

Es liegen eng beisammen Schmerz und Lust
Wenn dir der Körper schmerzt, ist er noch da..
Zu selten macht man sich das noch bewusst.



.
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#3
(03.10.2016, 00:16)Jan Hendrik Rübel schrieb:   
Es gibt so viele Sorten Müdigkeit
die ausgelaugte nach der Arbeit, die
zerschlagene nach einer Nacht, die wie
ein zäher Brei aus ungelebter Zeit

an dir vorbeizog; manchmal dämmert sie
beim Lesen über dich herein als Trübung
des Bewusstseins. Jede strenge Übung
erzeugt Ermüdung, doch es gibt auch die,

die nach der Wanderung zurück im Tal
eintritt mit Schmerzen in den Knien, wunden
Stellen an den Schultern von den Stunden

und Stunden Rucksack tragen. Triumphal
ist diese Müdigkeit, du bist dem Leben
nach all dem Eis und Schnee zurückgegeben



Triumph! - Der Stolz, auf alles, was gelungen,
ist Gipfelstürmern nicht allein zu eigen.
Beinah spirituell beginnt es aufzusteigen,
das unscheinbare Glück der Niederungen,

so unaufdringlich und ganz nah am Schweigen.
Kristallisiert dieses Gefühl im Wort?
in einem Pinselstrich? einem Akkord?
Dem Künstler, dem es dann gelingt, zu zeigen,

obwohl man kaum erahnt, wie er 's gemacht,
kann sich ein Grashalm in die Seele fügen.
Betrachten wird Erkennen und wird Beten.

Für mich ist Wanderung nicht Kampf, nicht Schlacht.
Es würde mir (und meinem Knie) genügen,
mir zwischendurch die Beine zu vertreten.




.
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#4
(03.10.2016, 00:16)Jan Hendrik Rübel schrieb: Kann sich ein Grashalm in die Seele fügen ?
Ein grünes Blatt das stadtgewohnte Auge
besänftigen? Aus allem Blühen sauge
ich wie ein Schmetterling in vollen Zügen

die Süße dieses Frühlings, der so klamm
begann und uns als Eingesperrte fand
(die Pandemie bezwingt das ganze Land
und schert uns alle über einen Kamm)

Ich werde wie ein guter Archivar
die Sonnenstrahlen sammeln und das Schäumen
des Weißdorns, der vom Sommer träumen

mag, das gelbe Feuerwerk des Ginsters,
die Explosion der Tulpen links des Fensters
und werde nicht vergessen wie es war.




Gut, doch vergiss, bei all deinem Gedenken,
nicht das, was vor dir liegt: Wir steh'n inmitten
goldgelber Birnen, Kürbisse und Quitten,
die uns die Kraft des süßen Frühlings schenken!

Die Krautflur liegt noch taunass und im Teich fett
pflügt ein Karpfen durch die Entengrütze.
Man zieht sich tiefer in die Stirn die Mütze...
Die Gärten sind von Nebel weichgezeichnet,

die Ahorne und Essigbäume loh,
so als erfüllte sich erst jetzt ihr Wesen.
Man könnte heute etwa Rilke lesen.

Du weißt: "Der Sommer war sehr groß..." und so,
doch bald kommt Frost, Erlebe noch davor
den Glast von Zinnien und Blumenrohr.


.
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#5
(03.10.2016, 00:16)Jan Hendrik Rübel schrieb: Die Gärten sind von Nebel weichgezeichnet,
die Sonne wenn sie sich dann endlich zeigt,
ein trüber Ball, der etwas müde schweigt
und Schlieren auf dem Himmel zieht wie Streichfett

Der Nebel hat die Welt ins Ephemere
entrückt ich blicke in das Land der Nymphen, 
der Irrlichter, die märchenhaften Sümpfen
entsteigen in ein Zwischen-Land der Schwere-

losigkeit. So flüchtig ist dies Land
wie Wehmut, Träume, wie Erinnerung
an eine Kindheit, flüchtig wie der Schwung

des Karussells, der dich bis an den Rand 
des Himmels trägt dich absetzt dich entlässt
in eine Welt der Eltern, streng und fest




Das hast Du schön gesagt: "Zieht sich wie Streichfett..."
Ein Sonnenaufgang buttergelb - und schief
davor die dunklen Erlen. Ein Motiv,
wie es sich auch für Ölgemälde eignet.

Es braucht wohl photographisches Gedächtnis,
denn so schnell wird die Farbe gar nicht trocken.
Hätt' ich ´s versucht, ich hätte längst die Brocken
wieder hingeworfen. Aber schlecht ist

es nicht, was all die Pleinairisten schufen.
Die Sonne steigt, die Stimmung wandelt sich
von Rembrandt oder Bilders zu Seurat.

Ich zieh hier nur mit Bleistift Strich um Strich;
Gelungenes bleibt in den Skizzen rar.
Nicht jeder, der 's versucht, ist auch berufen.


.
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#6
(03.10.2016, 00:16)Jan Hendrik Rübel schrieb: „Ein Sonnenaufgang buttergelb und schief“-
da muss ich an die Mittagssonne denken,
sie fing noch nicht mal an sich trüb zu senken
in einem Himmel satt von Kohlemief

und – staub. Es war im Kusbass, einer Gegend
mit Tagebergbau in Sibirien.
Der fremde Anblick des orangenen
Gestirns am braunen Himmel war bewegend,

sie schien so wund, geschunden, irgendwie
verletzt und weiter weg, ich hab es nie
vergessen können, wie ein Untergang,

der Mensch versinkt in Staub und Industrie,
die Sonne tönt nicht mehr- ihr ferner Klang
ist wie ein menschenmüder Abgesang



Ein solcher Anblick, ja, der macht sicher
was mit dem Menschen. Unser Öko-Blues
in Schwefeldioxid, in Rauch und Ruß,
beim ersten Smog-Alarm der Achtziger,

fernab von großen Industrierevieren,
erwischte uns auch auf dem falschen Fuß.
Ozonloch, Waldsterben, die schlechten News
zu Kernkraft, Krebs und zu bedrohten Tieren,

scheint heute fast wie ein Präludium
zur Klimakrise. - Doch die Luft ist besser.
fast sauber und getestet die Gewässer..

ist es da voreilig, wenn Hoffnung aufblitzt?
Nicht nur Natur treibt heut' die Menschen um
in Hambach, Duisburg oder in der Lausitz.



.
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#7
(03.10.2016, 00:16)Jan Hendrik Rübel schrieb: Die Hoffnung ist wie eine Droge, Mann-
auch jetzt vertröstet man uns auf ein morgen
und schamlos plündern wir die Umwelt, borgen
Ressourcen aus von unseren Kindern. Kann

das noch so weiter gehen ? Feuer brennen
am Amazonas, in Australien,
vernichten Wald in Kalifornien.
Was helfen uns da Hoffnungen? wir kennen

die Ursachen: die Gier nach Geld und Macht, 
die in uns allen steckt. Wie lernt man Demut?
Demut vor dem Wunder der Natur?

Wir selbst davon ein Teil, ein kleiner nur.
Wenn wir das nicht mehr lernen - gute Nacht.
Da bleibt von einer Hoffnung nur noch Wehmut





Sag sowas nicht! Der Mensch an sich ist gut,
doch ein sehr schwacher Antrieb ist die Wehmut.
Ob es was ändert, was man lässt und tut,
erkennen wir zu oft erst, wenn es wehtut.

Was kann der Einzelne auch schon erreichen,
beim, sagen wir zum Beispiel, T-Shirt-Kauf?
Schaut man auf Ökofarben oder Bleichen?
Auf Löhne und den Produktionsablauf?

Auf eine gute Energiebilanz?
Schaut man auf Arbeitsplätze hierzulande,
wenn man den Fair-Trade-Stoff aus Fernost ordert?

Die Hoffnung hat so unwirklichen Glanz
und Werbung spielt mit uns gern über Bande.
Der Einzelne ist da leicht überfordert.




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#8
(03.10.2016, 00:16)Jan Hendrik Rübel schrieb: Mit Überforderung brauchst du mir nicht
zu kommen. Man muss sich den Fragen stellen,
Entscheidungen mit Konsequenzen fällen,
selber denken ist die erste Pflicht

laut Hannah Arendt, niemand hat das Recht
nur zu gehorchen Das klingt jetzt sehr streng,
doch glaube ich, es wird bald ziemlich eng
und auch wer das nicht sehen will, verzecht

das Leben seiner Enkel. Eine reine
Unschuld gibt es nicht, die letzte Konsequenz
das ist schon wahr, und doch weiß man es meist,

auf welche Seite man sich stellt, das eine
Mal zählt eben doch. Wie man so reist.
Du fährst ja mit der Bahn und nicht im Benz,




Du bist der letzte den ich schmähen darf
und deinen Fußabdruck, den hätte ich gern -
Konzerttourneen, Flüge auch nach Fern-
Ost, Argentinien dies alles warf

mich weit nach hinten. Wie perfide, dass
die wirklich armen Menschen dieser Welt -
das ist die Mehrheit und auf sie entfällt
die kleinste Menge Emissionen - dass

sie unverhältnismäßig stark vom Klimawandel
betroffen sind und immer mehr sein werden.
Die Umwelt - Problematik die wir mehrten
tragen dunkle Früchte, unser Mündel
lassen wir verkommen. Aber auch
gerechte Wut füllt keinen Bauch.



Ein Bergbach; das sind zigmillionen Tropfen,
die hier im Schotterbett zusammenlaufen
auf ihrem Weg ins Tal. Doch will ein Haufen
Gestein auf halbem Weg das Bett verstopfen,

wie wird ein Einzeltropfen sich entscheiden?
Wird er auf linker Seite vorwärts drängen?
Wird er sich durch die engen Spalten zwängen?
Wird er im Überschwang gar nichts von beiden

versuchen und die Steine überspringen?
Was ist der beste Weg? Ich glaub' man muss es
als Ganzes seh'n. Das Bachbett gibt die Pflicht
und Freiheit und es gilt vor allen Dingen:
Der Weg des Einzeltropfen ist hier nicht
vorherzusehen, wohl aber des Flusses.


.
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