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Sonett für María
#1
Es war schon Herbst in Ost-Berlin,
der Tag war regennass und grau,
da kam von Süden eine Frau,
und siehe da: Die Sonne schien.

Ihr Wort war Tat, war Poesie,
und in der dicken Großstadtluft
lag süßer, schwerer Rosenduft,
als hell von fern ein Falke schrie.

Als wir gelobten: "Nunca más!"
Die Welt, wie einst Ramona schrieb,
sei niemals mehr regiert vom Hass.

Ich hatte sie von Herzen lieb,
die Frau von den Canarias,
von der uns noch ein Lachen blieb.
Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.
(Matthias Claudius)
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#2
Hallo Halbe Frau,

Du entwirfst da ein sehr schönes Bild, und obwohl du nur 4-hebig mit recht schlichten Satzstrukturen arbeitest läuft der Text der rund.
Der Geier Fraß wirkt allerdings wie ein Fremdkörper im ansonsten stimmigen Gedicht.
Und: Sind die Canarias reimgeschuldet oder ist das der spanische Ausdruck?

LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#3
Hallo Halbe Frau,

ich stimme Zaunkönig zu. Der Text läuft schön rund, vermutlich auch deswegen weils eben keine "komplizierten" SAtzstrukturen gibt.

Inhaltlich ist die Stelle mit dem Rosenduft und dem Falken schon pathosverdächtig, aber es kriegt die Kurve bei mir, um nicht zu sülzen. Ein kleiner Rhythmusbruch ist bei dem Falken aber da. Liegt daran, dass "von" nicht unbedingt eine Silbe ist, die Gewicht tragen will. "als weit, von weit ein Falke schrie ?"

"der Geier Fraß" ist wohl eine Anspielung auf die Internationale und die Gesinnung der Frau von den Kanaren? Könnte passen zum heroischen "nunca mas" und "Ost-Berlin". Aber da ist dein Text definitiv "dünner" in meinen Augen.

Gruß

Sneaky
Never sigh for a better world it`s already composed, played and told
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#4
Hallo ZaunköniG,

ja, "der Geier Fraß" hat Sneaky richtig interpretiert. Dieses Gedicht ist einer Dichterin aus Teneriffa gewidmet, die ich bei einem Treffen der "Poetas del Mundo" in Berlin kennen lernte. Anliegen dieser Poeten aus aller Welt ist es, für die Menschlichkeit einzutreten, und naturgemäß ist ein Großteil ihrer Dichtung politisch.

"der Geier Fraß" scheint eine Schwachstelle im Text zu sein. Dieser Ausdruck wirkt wohl allzu plakativ. "Hass" würde sich z. B. weitaus besser reimen, da dieses Wort, ebenso wie "más" kurz gesprochen wird. "sei niemals mehr regiert vom Hass" fällt mir spontan ein, klingt jedoch etwas bemüht, wie ich finde. Ich ändere die Stelle mal entsprechend und denke noch darüber nach.

"Las Islas Canarias" oder kurz "Las Canarias" bezeichnet im Spanischen die Kanarischen Inseln.

Lieben Gruß
Halbe Frau

***

Hallo Sneaky,

ja, es stimmt. Nicht "von" sollte betont werden, sondern "weit". Ich ändere es am besten in in "als hell von fern ein Falke schrie".

Lieben Gruß
Halbe Frau
Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.
(Matthias Claudius)
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#5
Hallo Halbe Frau,

Daß die Geier-Fraß-Stelle aus der Internationale stammt, - das war eine Bildungslücke meinerseits.
Wenn Sneaky (auch Wessi) die erkannt hat, ist das wohl nicht zu weit her geholt. Ein solches Zitat darf dann ruhig plakativ sein, oder muß es vielleicht sogar damit es wieder erkannt wird.
Unpassend wäre allerdings ausgerechnet einer Autorin einen fremden Text in die Feder zu legen.

Die neue Zeile stellt sicher noch nicht das Optimum dar, aber sie fällt auch nicht aus dem Kontext.
Eine Alternative Formulierung:

Die Welt, wie einst Ramona schrieb,
besiege einmal ihren Hass.

Denn der Hass steht ja nicht außerhalb der Welt, aber ich kenne Ramona nicht und ihre Sicht der Dinge.
Ideal wäre an der Stelle wohl ein Original Ramona-Zitat.

LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#6
Hallo ZaunköniG,

stimmt, die Stelle ist noch nicht optimal, aber ich überlege noch. Wichtig ist mir, "niemals mehr", die deutsche Übersetzung von "nunca más", darin zu bewahren.

Mit diesen Worten hat es folgende Bewandtnis:

"Nunca más!" – unter dieser Parole wurden in Argentinien 1983 die Menschenrechtsverletzungen während der Diktatur angeprangert. Ramona, Anführerin der zapatistischen Bewegung, griff die Worte 1994 in einer weltweit beachteten Rede wieder auf, indem sie der indigenen Bevölkerung auf dem Zócalo von Mexico City zurief: "Nunca más un México sin nosotros! – Nie wieder ein Mexiko ohne uns!" Zehn Jahre später verunglückte Ramona tödlich, doch ihre Worte blieben in den Köpfen präsent.

Auf unserem Treffen hatte ich ein Gedicht (kein Sonett) über Ramona vorgetragen, durch das sich die Parole wie ein roter Faden zog. Als ich mich setzte, riefen María und ein paar Andere mir zu: "Nunca más!" Das fand ich sehr ergreifend.

Lieben Gruß
Halbe Frau
Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.
(Matthias Claudius)
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#7
Hallo Zaunkönig


Wenn Sneaky (auch Wessi) die erkannt hat, Smile

liegt das an seiner damaligen Freundin, die ein großer Fan von Hannes Wader war. Da gibts bzw. gabs eine LP die hieß "Arbeiterlieder" Wohin auch das Auge blicket / König von Preußen / Internationale fallen mir da auf die Schnelle ein. Waren aber sicher noch ein paar Lieder mehr druff.

Außerdem habe ich ein ausgezeichnetes Gedächtnis, soweit es das geschriebene oder gesungene Wort betrifft. ABer frag mich mal nach den Geburtstagen meiner Verwandten, auweia

Gruß

Sneaky
Never sigh for a better world it`s already composed, played and told
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#8
Jaaa Sneaky, ich war früher auch ein Fan von Hannes Wader! Meine Lieblingslieder kennst du vielleicht auch: "Es ist an der Zeit" und "Die Ballade von der Hanna Cash" (Brecht). Eine schöne Stimme hatte der, und jetzt ist er wohl wieder auf Tournee.

Lieben Gruß
Halbe Frau (halb Wessi, halb Ossi)
Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.
(Matthias Claudius)
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