Themabewertung:
  • 0 Bewertung(en) - 0 im Durchschnitt
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
Maximilian Woloschin: Corona Astralis - Magistrale
#6
Hallo ZaunkoeniG,

ich danke Dir fuer eine sehr interessante Nachdichtung!

Meines Erachtens sind Dir die beiden Terzinen sehr gut gelungen -und insgesamt klingt die dt. Version durchaus ueberzeugend (ueber die technischen Sachen rede ich ja nicht).

Nun moechte ich die beiden Texte nochmals vergleichen:


В мирах любви — неверные кометы —
Закрыт нам путь проверенных орбит!
Явь наших снов земля не истребит, —
Полночных солнц к себе нас манят светы.
Ах, не крещён в глубоких водах Леты
Наш горький дух, и память нас томит.
В нас тлеет боль внежизненных обид —
Изгнанники, скитальцы и поэты!

Тому, кто зряч, но светом дня ослеп, —
Тому, кто жив и брошен в тёмный склеп,
Кому земля — священный край изгнанья,

Кто видит сны и помнит имена, —
Тому в любви не радость встреч дана,
А тёмные восторги расставанья!


Im Liebeskosmos gleichen wir Kometen, -- SEHR GUT!
verschlossen ist uns jede sichre Bahn. -- GUT!
Wir träumen wahr, - die Welt geht es nichts an - ???
Wir, die wir zu den Mittnachtsonnen beten; -- SEHR GUT!

Man taufte uns nicht in der tiefen Lethe:-- OK
Der Geist muß sich mit dem Gedächtnis quälen, -OK
mit alten Kränkungen, die in uns schwelen,-- OK
den Wanderern, Vertriebenen, Poeten, -- GUT!

dem Seher, der bei Tageslicht erblindet, -- SEHR GUT!
dem der lebendig in der Gruft verschwindet, -- SEHR GUT!
dem diese Welt ein heiliges Exil. -- ?!

Wer sich bewahrt hat seine Vision, -- STIMMT SO NICHT!
dem werden die Begegnungen kein Ziel: --FALSCH!
Der Abschied wird ihm dunkle Obsession. -- ?!!!!


Also: Deine Interpretation ist wesentlich anders geraten, als der Text von Woloschin. Ob dies besser oder nicht waere - das vermag ich nicht zu beurteilen, - es ist halt immer eine Geschmacksache. (Und uebrigens klingt der russische Text nicht besonders gut).

Auf jeden Fall moechte ich Dich darauf aufmerksam machen, dass deine Entscheidung fuer die „Welt“ (anstatt der russischen „Erde“) das ganze Konzept wesentlich anders darstellt.

Denn eben die „Erde“ ist fuer Woloschin anscheinend sehr wichtig. Die „Erde“ wird hier nicht nur deutlich „dekadent“, sondern schon beinahe „frauenfeindlich“ verstanden. Denn die „Erde“ ist im Russischen viel naeher und staerker mit der „Mutter-Erde“ verbunden als im Deutschen.
Die russische „Erde“ ist immer sehr, sehr weiblich. Das ist ein ausgesprochen heidnisches Symbol. Daraus resultiert wohl auch diese „Taufe“ in der Lethe - was im (damaligen) russischen Wortgebrauch fuer manche Leser schon beinahe an der Grenze zur Gotteslaesterung gestanden haette.

Die dt. „Welt“ ist dagegen im Russischen: MAENNLICH.
Darueber hinaus bedeutet dasselbe russische Wort sowohl die dt „Welt“ als auch den dt. „Frieden“. Daraus resultiert, dass die „Welt“ fuer einen russischen Dichter ein „leichtes“, ein sogar „politkorrektes“ Wort ist. Wobei die „Erde“ immer dunkel und unklar klingt, - und nicht selten an der Grenze zu den heidnischen Obszoenitaeten steht.

Darueber hinaus ist im Russischen die „Erde“ ziemlich oft ein Synonym fuer die „Heimat“. Man kann dies durchaus mit der dt. voelkischen „heilige Scholle“ usw. vergleichen.
Und in diesem Sinne hat das Gedicht von Woloschen auch eine gewisse politische Schattierung, denn er distanziert sich deutlich von der „Heimat-Erde“.

Aus dieser Deiner Wort-Auswahl zugunsten der „Welt“ kommen fuer mich auch Deine weiteren Ungenauigkeiten,-- im Vergleich zum russischen Text.

Ich moechte Dich auch darauf aufmerksam machen, dass dieses Gedicht Anfang des XX. Jahrhunderts geschrieben wurde, und dass Woloschin damals sehr nah zu den allerlei
russischen „Dekadenten“ stand.

Daraus folgt auch der gesamte „mystische“ Klang dieses Gedichtes. Im modernen Russischen moege jene damalige Plauderei als trivial, beinahe laecherlich vorkommen, - es sind ja inzwischen ueber 100 Jahre vergangen!

Allerdings: es aendert nichts am Woloschin’s Konzept. Denn seine Erde IST eben sadistisch, sie QUAELT die „Kometen“, sie ERNIEDRIGT und PEINIGT sie.

Sogar mehr: in der 3. Zeile der 1. Strophe moechte die russische Erde, woertlich genommen, gar alles VERNICHTEN -- und zwar die „Wahrheit unserer Nachts-Traeume“.

Man mag diese Bilder auch trivial nennen (von mir aus, ich bin kein grosser Freund der russischen „Dekadenten“ und „Symbolisten“).

Aber andererseits ist es auch wahr: bei Woloschin liegen die Tendenzen wesentlich anders als in Deiner Interpretation.

Und was ich frueher sagte, gilt: seine letzte Zeile ist deutlich masochistisch gefaerbt. Denn eben weil die „Erde“ (=Heimat,
= Mutterland, = Rossia, --- denn „Russland“ ist im Russischen nur und immer weiblich, wogegen die UdSSR maennlich war) so brutal sei, eben deswegen sei ein „Komet“ (fast mit Freude) bereit, diese irdische Qual zu akzeptieren und zu ertragen. Obwohl er natuerlich auch froh, sogar gluecklich waere, dieser sadistischen Erde wieder zu entfliehen... (So ungefaehr haette`s der Autor wohl gemeint, - was uebrigens sehr in der Tradition der russischen klassischen Dichtung gewesen waere.)

Und mit einer „Welt“ anstatt „Erde“ koennte man diese „tieferen“ Bedeutungen gar nicht andeuten. Denn wie gesagt: mit einer „Welt“ kann ein Russe hier nichts anfangen, dies ist ein allzu abstrakt-neutrales Wort.

Mir scheint uebrigens, dies gilt auch fuer das Deutsche. Denn es ist halt nicht dasselbe, wenn man ueber die „heimatliche Scholle“ redet - oder eben ueber die „Weltordnung zu Hause“.

Aber wie gesagt: das ist eine Geschmacksache.
Woloschin schreibt pathetisch-emphatisch, mit einer
mystisch-heidnischen Faerbung. Du versuchst dagegen, ihn kuehl und cool nachzudichten.

Warum nicht? Von mir aus!
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
RE: Maximilian Woloschin: Corona astralis - Magistrale (RU) - von ABC1803 - 07.02.2010, 13:23

Gehe zu:


Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste
Forenfarbe auswählen: