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Medusa I. - Der Orakelspruch
#1
Medusa

Erster Kranz: Der Orakelspruch



I.

Es naht in falschem Glanz ihr Schicksalstag.
Sie sah schon manchen Mann um sie hofieren,
noch keiner mochte sie interessieren;
ein Gott soll’s sein, so lautet der Vertrag.

Was sie verlangt ist viel; der Zinsbetrag
zu teuer. Alles wird sie bald verlieren.
Sie will ihr Glück um jeden Preis probieren,
zu wissen, was die Zukunft bringen mag:

„Die gleiche Frucht wächst aus dem selben Holz“.
Sie forderte ihr Schicksal ohne Not.
Sie nimmt ihr Los und steckt es weg, entrollts,

sie deutets nicht. – nicht jetzt. – Es heißt: Verderben.
Dem einen nur fügt sie sich in sein Werben;
von ihm empfängt sie Leben, - und den Tod.


II.

Von ihm empfängt sie Leben und den Tod:
Sie schuf sein Bild nach ihrem Ideal; -
nur äußerlich – jedoch von Mal zu Mal
trifft sie es besser, bis ein wahres Od

aus der geschickten Hand ersteht. Es loht
lebendig aus geschliffenem Opal,
und alles Vorgeschaffne wirkt banal
vor diesem Götter-Bildnis. Kieselrot

der Leib gebrannt, die Geste ausdrucksstark
und echt. Athene nahm sie in die Lehre,
und diese Schülerin verheißt Ertrag

für ihre Mühen. Fleisch und Bein und Mark
spürt man in den Figuren. Ach, der Hehre...
Es naht in falschem Glanz ihr Schicksalstag.


III.

Es naht in falschem Glanz ihr Schicksalstag.
So selbstverliebt in das, was sie erschaffen:
Der starke Arm, wie sich die Muskeln straffen,
in jeder Pose, die sie wünschen mag

mit Schild und Schwert, oder mit Weinkaraffen
leuchtend rot. Es ist kein Geldbetrag
genug für ihre Kunst. Ein Holzverschlag
wird ihr zum Tempel. Mit Athenes Waffen,

mit ihrem Stolz und ihrer schnellen Zunge
verteidigt sie ihr Tun vorm eitlen Markt,
wie sie sich selbst erwehrt, die Schöne, Junge

vor aufdringlichen Werbern. Dann erstarkt
sie wie Athene selbst beim Diskutieren.
Sie sah schon manchen Mann um sie hofieren.


IV.

Sie sah schon manchen Mann um sie hofieren,
doch braucht sie keinen Mann, sie zu ernähren.
Sie hört die Komplimente und die Mähren
goldner Zukunft. Sie kann nur verlieren

bei diesem Tausch; - Man hört sie referieren
von Reinheit, Freiheit, Tugend: - „...doch die Schwären
irdischer Begierde sind die Zähren,
aus denen Leid und Leid sich generieren,

von einem Menschenalter auf das nächste.
Dies höchste Opfer sollst du Höchstem weihen,
statt es an ein Trugbild zu verlieren.

Ich kann dir deinen Unverstand verzeihen,
doch die selben Schwüre, die du schwörst, die brächste.“
Noch keiner mochte sie interessieren.


V.

Noch keiner mochte sie interessieren,
trat ihr gegenüber ohne Fehl.
Nein, nicht ein ungeschliffenes Juwel;
der Geltungssucht ne Maske, die Manieren,

die doppelzüngig jedes Wort parieren.
Sie macht aus ihrer Meinung keinen Hehl; -
Sie läßt nicht um sich schachern wie ’n Kamel.
Sie lassen sich vom Stolz leicht korrumpieren.

In stiller Stunde hat sie sich geschworen,
den Kreis von Fluch und Sünde zu durchbrechen.
Sie bleibt alleine, es sei denn der Tag

bricht an, vor allen anderen erkoren,
da Wahrheit, Schönheit, Tugend selber sprechen;
ein Gott soll ’s sein, so lautet der Vertrag.


VI.

Ein Gott soll ’s sein, so lautet der Vertrag,
doch läßt der Retter lange auf sich warten.
Athene schmeichelt ihrer schönen zarten
Schülerin. Sie führt die Hand, und Schlag

für Schlag löst sie die Götter aus dem harten
Stein, der schlafend Jahrmillionen lag.
So wächst der Baustoff ihr von Tag zu Tag
noch mehr ans Herz, der Stein in allen Arten.

In einem Lächeln sieht sie meist nur Blendung,
erstickte Liebe, wie man Kätzchen säufte,
sie lebte, wartend auf den einen Tag.

Alles Schaffen strebt ihr nach Vollendung,
doch sieht nicht, was ihr Stolz für Schulden häufte.
Sie erwartet viel: der Zinsbetrag.


VII.

Sie erwartet viel. Der Zinsbetrag
ist unbezahlbar nach so langer Zeit.
Der Einzigartige litt Einsamkeit,
von jeher und so bis zum jüngsten Tag.

Ihr Schöpfertum nimmt sie ganz in Beschlag.
In ihrem Fach schafft sie Vollkommenheit.
Nur manchmal spricht sie mit dem Stein zu zweit
und fragt, was ihr die Mühe lohnen mag.

Ihr Blick streift noch einmal die Steingeschöpfe;
„Ans Leben glauben!“ hieß einst ihr Gebot.
Die Götter neigen, scheint’s, vor ihr die Köpfe,

und sie erkennt im Stein ihr eignes Frieren.
Sie war sich allem, was sich ihr erbot,
zu teuer. Alles wird sie bald verlieren.


VIII.

Zu teuer: Alles wird sie bald verlieren.
Sie lebte wie Athene, stolz und züchtig.
Sie ist nach Ruhm und großen Werken süchtig,
doch was sie auch erreicht, es provozieren

ihre Taten, neue Sehnsucht. Tüchtig,
strebsam geht sie vor, doch produzieren
die Hände nicht genug, sie zu kurieren.
Ihr Ziel war hoch, die Zeit jedoch so flüchtig.

Ein Kreis, wie der, dem sie entkommen wollte,
tat sich vor ihren Augen auf. Wer weiß,
wohin ihr Weg sie führt. Die Hände zieren

Risse, die sie ihrer Arbeit zollte.
Schon zweifelt sie an ihrem Schwure leis.
Sie will ihr Glück um jeden Preis probieren!


IX.

Sie will ihr Glück um jeden Preis probieren
und das Orakel heute noch befragen.
Ein dumpfes Etwas drückt ihr auf den Magen
beim Gedanken an die dichten Schlieren

Räucherwerks, und leise Zweifel nagen
schon an ihr. Was hat sie zu verlieren?
Athene selbst wird sie kompromittieren,
doch wofür soll sie sich noch länger plagen?

Doch alle Zweifel gibt sie letztlich hin;
der Abend glänzt ihr schwärzlich wie Onyx.
„Kein Glück entwächst dem Leben ohne Sinn!“

Was wär das Wesen des ersehnten Glücks?
„Es setzt voraus“, auch wenn sie hier erschrak,
„zu wissen, was die Zukunft bringen mag.“


X.

Zu wissen, was die Zukunft bringen mag;
wer will das nicht. Man deutet manchen Krakel
aus der Krähenspur. Es bleibt ein Makel
an der Sache: Frag und Wetterschlag

bricht dir das Herz. Wie giftige Tentakel
lockt das Wissen um den nächsten Tag.
Die Neugier weckt den bösen Geist: Nun sag:
Was wird aus mir: Ich frage dich, Orakel!

„Wenn du den Gegenzauber kennst, entfachne. –
Bevor das Wachs zu deiner Aura schmolz,
bezähm die Flamme, die verzehrt. Dein Stolz,

(wenn du den Spruch nicht glauben kannst, verlachne)
führt dich zum selben Ende wie Arachne.
Die gleiche Frucht wächst aus dem selben Holz.“


XI.

„Die gleiche Frucht wächst aus dem selben Holz“;
Arachne also, doch das Gleichnis hinkt.
Sie steht in keinem Wettstreit, vielmehr bringt
sie täglich ihr ein Opfer dar. Ihr Stolz

kommt von Athene selber, denn sie wollt’s,
erwählte sie, daß sie sich ihr verdingt.
Musik klingt, wenn vom Meißel Marmor springt
wie Eierschalen. – Nun, doch wer vergolt’s?

Was ihr gleich sakrosankt, blieb andern Schmuck,
um Reichtum und Geschmack zur Schau zu stellen.
So blieb es unverkäuflich. Denen bot

sie nur Geschirr zum Kauf und feinen Stuck.
Doch sollt sie sich Athene bald vergällen.
Sie forderte ihr Schicksal ohne Not.


XII.

Sie forderte ihr Schicksal ohne Not.
Sie sucht bestätigt, was sie selber weiß,
und einen Ausweg aus dem alten Kreis
des Lebens: Wachstum, Blüte, Sünde, Tod.

Sie opfert dem Orakel Salz und Brot.
Das Heiligtum gleißt vor ihr hell und heiß;
zu viel der Schmerzen, Tränen, Blut und Schweiß;
das Edle und Vollkommne war Gebot.

Der Wahrheit Flamme ruft nach ihr und züngelt,
und es bekommt viel Antwort, wer viel fragt.
Ist’s Schicksal oder Glück? Wer weiß? und sollt’s

so sein, wie’s sich die Götter ausgeklüngelt;
gewinnen kann nur, wer auch etwas wagt.
Sie nimmt ihr Los, und steckt es weg, entrollt’s ...


XIII.

Sie nimmt ihr Los und steckt es weg, - entrollt’s
- Was soll’s. – Sie kennt die Sprüche zur Genüge.
Die Skepsis zeichnet sich in ihre Züge;
der Spruch gilt ihr als Angriff auf ihrn Stolz.

„Belehrung! – Glaube nicht, daß ich mich füge!“
Noch einen weist sie ab, wie je. Sie wollt’s
nicht. Was man ihr an Gunst erweist; sie schollt’s
als nichtig, eitel, Heuchelei und Lüge.

Sie schmäht die Denker wie die Helden. Sänger
will sie nicht und keine reichen Erben.
Den einen nur, den will sie enger

binden: Nur ein Gott soll sie berührn
Ihr Los sagt ihr, wohin die Wege führn.
Sie deutet ’s nicht. Nicht jetzt. Es heißt: Verderben.


XIV.

Sie deutet’s nicht. Nicht jetzt, es heißt: Verderben.
Ein Regenschauer und im hohen Süd
die Sonne; Wie das Wetter Funken sprüht!
Ein Held, Olympionike unter derben

Bauern. Auf der Stelle will sie sterben!
Ein Gott, der hier in voller Pracht erblüht
und sie durch seine Gegenwart durchglüht.
Ihr Werk gilt ihr nun nichts mehr: eitle Scherben.

Es ist der Eine, und er sprach sie an.
Im Auge wogt der weite Ozean...
Wie sich ringsum die Wolken golden färben!

Den alten hohen Werten folgen neue:
Ihre Keuschheit tauscht sie ein für Treue.
Dem einen nur fügt sie sich in sein Werben.


XV.

Dem einen nur fügt sie sich in sein Werben,
jedoch ihr Glück bleibt kurz im Blumenfeld.
Sie ist das Mädchen, er der strahlnde Held,
stets auf dem Sprung, sich Ehre zu erwerben.

Sie will ihm so viel sagen, doch er hält
sie davon ab, spricht selber, reicht den herben
Kelch. Sie schweigt, und überlegt zu sterben.
Er spricht ihr von der großen weiten Welt.

Sie hält sich krampfhaft an dem Becher fest,
verstummt, und in ihr holprig, zitternd schlägt
ihr Herz: ein endlos fallend steinern Lot.

Ein Dolchstoß, daß er sie noch heut verläßt,
jetzt wo sich in ihr neues Leben regt.
Von ihm empfängt sie Leben, - und den Tod.
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#2
Guten Morgen Zaunkönig,

zuerst einmal: Hochachtung vor dieser Riesenarbeit!
Ich habe den Kranz sehr gern gelesen, vor allem weil er bildreich ist und das Schicksal der Medusa (Smile) anschaulich schildert.
Sprachlich, weil zuweilen Richtung Mundart, gefällt er mir nicht durchgängig; mir scheint, dass manches Sonett mit "heißer" Feder geschrieben ist. Mich stören auch die vielen Enjambements. So weit ich weiß, sind sie bei der klassischen Form, die Du ja schreibst, nicht erwünscht.
Mein großes Lob gilt dem Klang Deines Werkes, denn den hast Du Vers um Vers ganz hervorragend hingekriegt.
Mich beschäftigt eine Frage: Im Meistersonett werden alle ersten Zeilen zusammen gefasst, oder? Hier finde ich nur die Übereinstimmung der letzten und ersten Zeile, oder habe ich etwas überlesen?

Diese Kritik ist leider etwas allgemein, ich bitte um Verständnis. Deutliche Hinweise auf die bemängelten Stellen würden für mich sehr viel Zeit bedeuten, die ich viel lieber mit dem Lesen der anderen beiden Kränze verbringe; darauf freue ich mich sehr.

Trotz seiner kleinen Schwächen gefällt mir dieser Kranz sehr gut Bravo
Herzliche Grüße,
Medusa Smile
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#3
Hallo Medusa,

Ich bin eigentlich ein Freund von Enjambements. Wenn Satzende und Zeilenende regelmäßig zusammentreffen gerät ein Gedicht leicht etwas hölzern. Mag sein, daß ich nicht immer die beste Lösung gefunden habe, aber muß man dann im konkreten Fall entscheiden.

Zum Meistersonett:

Normalerweise wird das Meistersonett als 15tes angehangen. Deshalb wohl Deine Irritation. Hier ist es als erstes Sonett vorangestellt.

LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#4
Soll das ein Orakelspruch sein????
Ich dachte, das wäre nur 1 Satz!!?? Und nicht 1.000 !!
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#5
Nein, das soll ein Sonettenkranz sein.
Er heißt Orakelspruch, weil einer darin vorkommt.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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