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Deutsche Sprache - schwere Sprache
#1
Ich weiß nicht welches Verhältnis andere Autoren zu ihrer Muttersprache haben, aber mir kommt es so vor als hätten speziell wir Deutschen eine heikle Einstellung. Jedenfalls kommt es immer wieder zu lebhaften Diskusionen pro und contra Fremdwörter.
Gute Gründe gibt es für beide Positionen, aber die vorgebrachten Argumente sind mitunter haarsträubend.

Da gab es z. B. mal einen deutschen (!) Anglistikprofessor, (leider ist mir der Name entfallen) der Fremdworte mit dem Argument verteidigt, daß man im Deutschen nicht zwischen "web" "net" und "network" differenzieren könne...

Hallo!?

Natürlich kennt man Gewebe, Netz und Netzwerk, letztere sind auch im EDV-Kontext durchaus gebräuchlich. Vielleicht sollte er erstmal die eigene Sprache studieren.

Womit ich mich aber nicht prinzipiell gegen Anglizismen aussprechen möchte. Wenn ein deutscher Text mit "Web" überschrieben ist, weiß jeder, daß es ums Internet geht. Ob es um Internet oder um ein textiles Gewebe geht, wird im englischen aber erst aus dem Kontext deutlich.
Die deutsche Sprache gewinnt also durchaus an Differenzierungsmöglichkeiten, aber man sollte es mit besseren Beispielen und Argumenten belegen, vor allem wenn man seine Meinung öffentlich vorbringt.


ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#2
Die Gegenseite ist mit Peinlichkeiten nicht weniger zimperlich.

Da wäre z.B. Helmuth Karasek. Nach Ranicki wohl der bekannteste deutsche Literaturkritiker. - Sprachgefühl?

Da gab es den legendären Bild-Artikel:

Zitat:Diese 10 Wörter sterben aus!
Prof. Karasek hat mit ihnen noch einmal eine Geschichte geschrieben
Wörter, die wir nie vergessen dürfen

Bestseller-Autor Professor Helmuth Karasek (73) schreibt exklusiv in BILD eine Liebeserklärung aus den zehn schönsten Wörtern (fett gedruckt), die von der Jury des bundesweiten Wettbewerbs
„Das bedrohte Wort“ gewählt wurden.

Sie klingen wie aus vergangenen Tagen:

„blümerant“ (schwindelig), „Kleinod“ (Schatz), „Labsal“ (Erfrischung, Stärkung).

Schließlich sollen unsere Enkel doch auch noch wissen, was ein „Dreikäsehoch“ (vorlautes Kind) ist.



Aus der Ferne

"Du bist mein Kleinod!", dachte er. Aber da
du weit weg bist, wird mir ganz blümerant
vor Sehnsucht. Und ich komme mir winzig
und verlassen vor wie ein Dreikäsehoch.
Nur dein Bild bleibt mir zur Labsal. Ich will dich
nicht bauchpinseln, aber du bist mein einziger
Augenstern. Weil ich dir das nur fernmündlich
sagen kann, flüchte ich in ein Lichtspielhaus.
"Sei mir hold", flüsterte er im dunklen Kino.
Und komm zu mir zurück in deinem süßesten Schlüpfer!

*


Man weiß nicht vor wem man mehr Erschrecken soll: Über die Jury, die die zehn Worte ausgewählt hat, oder über den "Bestseller-Autoren", der daraus diesen Quark zusammengepanscht hatPatsch

Ich will mich hier nicht mit Fehlern in der Handlung oder der Interpunktion aufhalten. Nur kurz meine Meinung zu den Worten:

KleinodEin schönes Wort, aber ist es bedroht?
blümerant Ein Lehnwort aus dem Französischen. Warum steht es auf der Liste bedrohter deutscher Worte?
Dreikäsehoch Die Beispiel ist wohl der Gipfel der Stumpfheit, wenn man mir dies gepanschte Bild einmal nachsehen will. Was denn: Drei Camenbert? oder drei Brie? Der Begriff stammt aus einer Zeit, wo der Käse noch sprichwörtlich zum Bahnhof gerollt wurde. Der Umfang so eines Käserades konnte dann auch scherzhaft als Hilfsmasstab dienen um die Größe eines Kindes zu beschreiben. Der Dreikäsehoch ist nicht einfach aus der Mode gekommen, sondern hat seine Bildhaftigkeit verloren. Bitte nicht wiederwählen!
Labsal kennt man, genau wie "erquickt" nur noch aus alten Texten. Bibelzitate fallen mir da ein. Tatsächlich ein bedrohtes Wort, aber er nennt ja selbst deutsche Alternativen.
bauchpinseln Solche scherzhaften Wendungen unterliegen mehr als andere Worte der Mode. Ganz natürlich, daß solche Worte kommen und gehen.
Augenstern bedroht?
fernmündlich bedroht ja, aber schützenswert? Warum soll man für eine moderne Technik nicht auch ein modernes Wort verwenden? Mir fällt jetzt kein Satz ein, wo "fernmündlich" präziser oder gefühlvoller wäre als "telefonisch" Geht es uns um Wortschutz oder um die treffende Aussage?
Lichtspielhaus Ganz ganz früher gab es Vorführstätten für die Camera Obskura, für Schattentheater, oder es wurden künstliche Fatamorganas erzeugt. Diese Lichtspielhäuser waren auch die natürlichen Kanditaten um die ersten laufenden Bilder vorzuführen. Und anfangs waren noch nicht die erzählten Geschichten die sensation, sondern die neue Technik, die dort zum Einsatz kam. "Lichtspielhaus" erzeugt eine "Atmosphäre", die die Stimmung in den heutigen Multiplex-Kinos für mich nicht richtig beschreibt. "Lichtspielhaus" nicht vergessen, aber bitte sparsam/gezielt verwenden.
hold "hold" kommt vom "huldigen" also im Beispielsatz "Sei mir anbetungswürdig". Er betet seine Geliebte also nicht nur an, wie andere Liebende, sondern fordert sie auf, sich anbetungswürdig, tugendsam zu verhalten. Das ist ein mittelalterliches Minneideal. Mag dem hinterhertrauern, wer mag, aber mit dem alten Frauenbild, verschwinden auch die zugehörigen Atribute aus dem Sprachgebrauch. Wenn solche Worte aussterben bedeutet es keine Verarmung der Sprache, sondern daß die Sprache Schritt hält mit der Gesellschaft.
Schlüpfer Wundert mich, daß dieses Wort auf der Liste steht. Ich höre und verwende es regelmäßig. Und, ähnlich wie bei fernmündlich fällt mir hier kein Satz ein, wo Schlüpfer besser platziert wäre als Slip, das ja den selben Wortstamm hat. bedroht? schützenswert?
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#3
"Brückenflower"

Unter diesem Titel ist gerade die aktuelle Anthologie-Ausschreibung der Edition L bei mir hereingeflattert. Ein Kleinverlag der wegen seines Geschäftsmodels von manchen mistrauisch beäugt wird, aber durchaus ansehnliche Bücher vertreibt.

Aber was hat die Redaktion hier geritten?

Brücken und Blumen sind zwei grundverschiedene Metaphern; die Verbindung kann je nach Kontext sehr reizvoll sein, aber wäre "Brückenblume" oder meinetwegen "Flowerbridge" nicht genug des Guten gewesen? Anglizismen in deutscher Lyrik ist ein heikles Thema. In diesem Fall könnte man an Begriffe wie Flowerpower anknüpfen. Ok.

Einen gemischt deutsch-englischen Begriff halte ich aber für ein sprachliches Fatnäpfchen.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#4
Hallo ZaunköniG,

tatsächlich ist das eine seltsame Sache. Ich finde beide Extreme etwas fehlgeleitet: Sprachpuristen vergessen gern, wie arm unsere Sprache ohne die vielen Lehnwörter wäre und manch anderer vergisst wohl leider wirklich treffende deutsche Wörter, da er lieber ein Fremdwort benutzt.

Deshalb kann ich deinen Ausführungen weitestgehend zustimmen. Nur über deine Erklärung zu "hold" bin ich gestolpert: Nach meinen Informationen ist die ursprüngliche Bedeutung des althochdeutschen Adjektivs "hold" "geneigt sein". Das neuhochdeutsche "huldigen" entwickelte sich daraus eher einseitig, da es nur noch eine Tätigkeit von einer niedriggestellten zu einer höhergestellten Person meint, "hold" aber von beiden Seiten aus gesehen werden konnte.

(ich halte mich hier an SPELLEBERG: Althochdeutsch - Mittelhochdeutsch. 1976.)


Liebe Grüße
yaira
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#5
Hallo Yaira,

Danke für deinen interessanten Einwurf. Tatsächlich ist es schwierig in der Sprache von Ursprünglichkeit zu reden, liegt doch der Ursprung der Sprache selbst im Dunkeln. Es ist also immer Ermessenssache, wie weit man da zurückgeht.
Viele Worte, insbesondere Superlative und Euphemismen schleifen sich im Laufe der Zeit ab.
Bei "hold" scheint es nun umgekehrt gewesen zu sein.
Entsprach das vielleicht einer Vorstellung höfischer Zurückhaltung, daß ein relativ trivialen Wort diesen Beiklang der Heiligkeit bekam? Nichts desto weniger ist hold wohl durch diesen Bedeutungswandel in eine Sackgasse geraten.
Aber vielleicht ist auch hier eine Renaissance möglich und sei es als Re-Import vermeintlicher Fremdworte.

LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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