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Zeitreiseimpressionen eines Barockdichters
#1
Zeitreiseimpressionen eines Barockdichters



1

Prima Klima hier

Mir scheint, ich komm von fern. Wie stapelt sich der Schnee
in meinem Hirn, o Gott, von sechzehnzweiundsiebzig.
Doch diese Zukunft hier ist wundervoll und gibt sich
als Klima-Wärme-Zeit: Schon wird das Eis Gelee.

Der harte Nordpol selbst schmilzt ab zum Badesee,
und alle Welt wird Strand: Der Süden wächst und übt sich
in Generosität! Man schläft im Freien, liebt sich,
und noch im Winter geht man hin im Negligé!

Wie Echsen döst das Volk träg unter Sonnenschirmen,
wenngleich am Horizont sich Hurricane türmen:
Kommt dort ein Regenguss? Doch Schnee? Der ist von gestern.

Die Wolke schüttelt sich wie ein zu nasser Hund,
und perlt und stäubt aufs Land den süßen Wasserschund.
Da tritt die Sonne auf und lacht uns Alt-Semestern.



2

Im Porsche-Turbo auf der Auto-Bahn


O künstlich-starkes Netz! O bahnenvolles Land!
Wo führt ihr mich denn hin, ihr blech-geschwollnen Adern? -
An Berg und See vorbei zu dichten Häuser-Quadern
nach Frankfurt, nach Berlin und an den Nordsee-Strand!

Wie kurz wird jede Zeit auf diesem grauen Band!
Vorbei die Langsamkeit, das Zaubern und das Hadern!
Wie drückt die schiere Kraft aus diesen Turbo-Ladern
mich in den Sitz hinein, zerreißt mir den Verstand!

Wie rauscht es an mein Ohr! O Rausch, sei mein Gefährte!
Wie flieht die niedre Welt, wie flieht, was mich beschwerte,
und schwindet neben mir, wie roll ich drüber hin!

Die Zeit schrumpft hinten ein, die Bäume rasen schneller
dem Abend zu, das Meer der Lichter wird schon heller,
bringt selbst die Dunkelheit um Raum und Macht und Sinn.


3

Auf seine (leider unnahbare) Oboistin


Es ging die schön Lynn auf dem bestreuten Plan,
im schwarzen Köfferchen verpackt die Instrumente
wo zierlich sie den Fuß hinsetzte, Büsche trennte,
war’s um die Kiesel all, um Blum und Kraut getan.

Ich selbst, ich folgte ihr in der gewählten Bahn,
so jammerschwach, so stark, als ob ich mich nicht kennte,
dass ich dem Bodenkraut den Sohlentritt missgönnte,
so blieb ihr die Distanz und mir der schöne Wahn.

Bald nahm sie ihren Platz ein unter dichten Büschen,
um mit dem Blaseholz die Quellen zu erfrischen,
die Wellen trugen’ s fort bis in den Ozean.

Ach, Nymphe, spiele mir, verzaubre mir die Ohren,
sind gleich die Schafe fern, ich werd zum Lamm geboren
und grase in Distanz auf dem beglückten Plan.




4

Im Erlebnis-Bad


Die schlanke Astrid stand am Wasserbeckenrande,
vor ihrem Aug bewegt sich sanft die Wellenflut.
Sie zögerte, sie sah zurück, wo sie geruht,
und setzte mutig hin sich auf die Kachelbande.

Sie sprach: „Mein Bein, mein Fuß, dass ihr am Gräserstrande
euch wohl befunden habt und warm, das weiß ich gut;
nun lechzt nach Kühlung mir der heißen Glieder Blut,
die seien kurz erquickt, dann führ ich euch zu Lande.“

Sie prüfte allerliebst – o dass sie’s nicht vergaß –
ob ihr das Nylon stramm und glatt der Träger saß
und streckt den kleinen Zeh, die Welle zu ergründen –

und glitt ins Wasser ein und schwamm gleich so geschwind...
Noch glaubst Du dich allein, doch sei gewiss, mein Kind,
in diesem Becken wirst Du deine Sandbank finden!



5

Die Mode-Queen


In Düften gehst du hin und gehst in Düften um:
Der dicke Wal, er ließ den Ambra deinen Haaren,
die Rose gab ihr Blatt ins Flüssigungsverfahren,
als Öl auf ihrer Haut verweht ihr kurzer Ruhm.

Ein ganzes Blumenfeld von Delft bis Hilversum
haucht sein Jugend aus, die deine zu bewahren.
Ein Heer von Schnecken seh ich köcheln und vergaren
zu heißem Lippenrot den Lippen kalt und stumm.

Den schnellen Leopard ereilt ein schnell Geschick,
das starke Krokodil, zu langsam war’ s, zu dick,
sie ließen Haut und Herz für deinen Modepsalter.

Die Häute trägst du aus, das Herz lässt du zerknickt
und lachst die Männer aus, hättst den nur angeblickt,
der, als dein Seidenwurm, dir spänn’ den Büstenhalter.




6

Voyeur vorm Paradies


An einem Schmiedezaun kam Casimir vorbei,
herüber hing ein Ast von einem starken Baume,
daran, in Büscheln, hing die dunkelbraune Pflaume;
recht schön befand er sie, „und groß, bei meiner Treu.“

Der Vorwitz lockte ihn, was mehr im Garten sei:
„Ei,“ sprach er, „komm ich hier, wo sonst ich nur im Traume
noch hingekommen bin, zum Paradieses-Saume,
so hoff ich, gibt ein Spalt mir mehr an Blicken frei.“

Es saßen Adelheid und ihre beiden Nichten
am kurzen Weidrohrtisch, die Arbeit zu verrichten,
so die Natur verteilt und trieben Scherz um Scherz.

Wie leicht die Mädchen dort die süßen Pflaumen quälten,
als ob sie Herz um Herz dem Fleisch nach außen schälten:
„Mitleid,“ schrie Casimir, „hab auch ein Pflaumenherz!“
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