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Ficken, Fressen, Fernsehn
#1
[Bild: 155.jpg]
Auf dem Marienfriedhof in Hildesheim

[Bild: 156.jpg]

[Bild: 157.jpg]

Ficken, Fressen, Fernsehn

man sieht dem spröden Stuck von weitem an,
wie sich die Jahre auf das Grabmal senken;
wie sich dies steingewordene Gedenken
in sich verschloss und starb, und irgendwann

zerbröckelte die stumme Pietät.
Im Augenblick von ausdrucksloser Schwäche
nahm sich ein Sprayer an der freien Fläche
und reißt sie aus der Singularität.

Ficken, Fressen, Fernsehn - deplaziert
und platt wie irgendetwas, provoziert
seither das Volk, das hier vorübergeht.

So viel Gedenken war seit Jahren nie.
Ein Akt von ungewollter Poesie
macht neu bewußt, daß hier ein Grabmal steht.


[Bild: 014f315c92052b0feee4e1cf2d3a13]
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#2
Hallo Zaunkönig,
hier ist dir ja wieder ein großer Wurf gelungen!!

Es gehört schon etwas dazu, sich von der Verschandelung eines müde gewordenen Monuments zu einem so schönen Sonett inspirieren zu lassen. Wie machst du das bloß?

Meine Glückwünsche!

Silja
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#3
Hallo Silja,

Vielen Dank für die Rückmeldung. Ganz sicher war ich mir nicht mit diesem Text.
Wie ich das mache?
Eine Übung in Dialektik würde ich sagen.
Natürlich hat mich die Schmiererei auch gestört, aber gerade deshalb auch Bewußtsein geschaffen für die Thematik Tod und Trauerarbeit.
Damit erfüllt sie ja die Funktion von Kunst, auch wenn sie so nicht beabsichtigt war.
Es gibt eben nicht nur unfreiwillige Komik.

LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#4
Hallo Zaunkönig,
da liegt die Interpretation mal wieder ganz in den Augen des Betrachters. Ist ja auch gut so. Schade, dass der Schmierfink dein Sonett hier sicherlich kaum finden wird.

Ist es eigentlich normal, dass man die Fotos nur dann sieht, wenn man sich eingeloggt hat?

LG Silja
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#5
Hallo Silja,

Zitat:Ist ja auch gut so. Schade, dass der Schmierfink dein Sonett hier sicherlich kaum finden wird.

Hauptsache, daß es nicht zu Nachahmung animiert.

Zitat:Ist es eigentlich normal, dass man die Fotos nur dann sieht, wenn man sich eingeloggt hat?

Eigentlich sollten die Attachments immer sichtbar sein, sind sie in anderen Beiträgen ja auch.
Das Phänomen tritt sonst nur noch bei "Inge-Rose Lippok: Einleuchtungen" und dem "Pythagoras" auf. Auch ein Thema mit mehreren Attachments. Ob es damit zu tun hat?

LG ZaunköniG

Apropos "Auge des Betrachters": Wie hattest du es denn interpretiert?

Eine kleine Änderung auf Anregung aus einem anderen Kreis.
Die Singularität ist leicht mißverständlich. Nebenbei wird noch der kleine Zeitfehler reißt -> riß korrigiert:


Ficken, Fressen, Fernsehn

man sieht dem spröden Stuck von weitem an,
wie sich die Jahre auf das Grabmal senken;
wie sich dies steingewordene Gedenken
in sich verschloss und starb, und irgendwann

zerbröckelte die stumme Pietät.
Im Augenblick von ausdrucksloser Schwäche
nahm sich ein Sprayer an der freien Fläche
und riß sie aus der Anonymität.

Ficken, Fressen, Fernsehn - deplaziert
und platt wie irgendetwas, provoziert
seither das Volk, das hier vorübergeht.

So viel Gedenken war seit Jahren nie.
Ein Akt von ungewollter Poesie
macht neu bewußt, daß hier ein Grabmal steht.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#6
hallo!

mir gefällt das sehr gut. vom thema, der sprache und der umsetzung auch. ich mag das wort "volk" irgendwie nicht so am schluss... aber mir fällt nix besseres ein. mensch wäre auch nicht ganz richtgi glaub ich. und statt dem wort "irgendetwas" fänd ich ein bild vielleicht schön, ein ironisches. vielleicht: "himmbeertörtchen".. irgend sowas... hab aber auch grad keine bsondere idee hier.
is nur so aus dem bauch raus, mein feedback. (mehr bleibt mir auhc kaum über...)
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#7
Das Volk gefällt mir an der Stelle recht gut.
Es geht doch hier um eine anonyme Masse, bzw. um einen Beliebigen Ausschnitt. "Leute" klingt mir hier zu brav. Leute kann ich mir nicht so gut provoziert vorstellen.

Beim "irgendetwas" stelle ich mir vor, wie so ein empörter Mensch nach Luft schnappt und in der ersten Aufwallung nicht die rechten Worte findet. Die Stelle ist auch anderen schon aufgestoßen, aber ich möchte dort eigentlich keinen konkreten Vergleich. Eher schon ein weiteres Atribut, eine Steigerung zu deplaziert und platt.
Mal schauen, ob mir dazu noch etwas einfällt.

LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#8
das irgendwas fand ich dann eigentlich auch genau deshalb eh gut als ich noch drüber nachdachte. hatte ich nicht voll kapiert zuerst. volk ist für mich so autoritär irgendwie. da denk ich immer an einen könig oder so, der vom volk spricht. aber ich finds eh auch am besten oder weiss nix besseres. super gedicht.
wann immer ich eine möwe vor meinem fenster sehe weiß ich: ich bin am festland oder zumindest in festlandnähe.
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#9
...das leben, wenns 2silbig sein kann. und (da gehts auch gleich um mein sonett): ich hab mal aufgeschnappt, dass man sich das bei einsilbigen worten quasi aussuchen darf; wo die hebung ist. aber ich schau, wenn mehr zeit ist, morgen noch mal drüber.
wann immer ich eine möwe vor meinem fenster sehe weiß ich: ich bin am festland oder zumindest in festlandnähe.
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#10
Du meinst "Leben" als Ersatz für "Volk"?
"Leben ist ein substantiviertes Verb, trägt also sein Atribut gleich mit sich. Der Gegensatz zwischen Toten und Lebenden ist aber hier nicht mein Thema, das würde wohl auf eine falsche Fährte lenken, zumal ich dann auch andere Reimwörter bräuchte. Wenn das Leben vorübergeht, denke ich nicht an Passanten.

Zitat:ich hab mal aufgeschnappt, dass man sich das bei einsilbigen worten quasi aussuchen darf; wo die hebung ist.

Als leser und somit als Vortragender kannst du das fast immer, aber es geht in der Metrik auch darum die "richtige" Betonung für den Leser vorzugeben. Anders betont, verschieben sich auch inhaltlich die Gewichte, und das ist in einem guten Gedicht selten egal, auch wenn beide Betonungen einen Sinn ergeben. Wenn ein Satz nur aus einsilbigen Worten besteht würde ich, wenn der Kontext nichts anderes erzwingt, Subjekt und Objekt, am stärksten betonen.
Bei nahezu jedem Satz kannst du die Akzente verschieden setzen, aber die Frage ist, wie ihn der Leser intuitiv erfaßt. Und zwar ein fremder Leser, der noch nicht weiß, wie der Satz oder das Gedicht zu Ende geht.
Sätze aus nur einsilbigen Worten versuche ich daher, zumindest in den ersten Zeilen zu vermeiden. Das Metrum sollte auch für Nichtdichter klar erkennbar sein.

LG ZaunköniG
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#11
Wie schon an anderer Stelle geschrieben findet vom 18. bis 20 Juni wieder der Lyrik-Park auf dem Hildesheimer Marienfriedhof statt.

Für mich wäre es natürlich besonders reizvoll dieses Gedicht am Ort seiner Entstehung zu präsentieren.

Ein Objekt für die Aktion ist bereits erstellt, hier eine Aufnahme im eigenen Garten:

[Bild: 329.jpg]

Ob es tatsächlich ausgestellt wird? Ich halte euch auf dem Laufenden.
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#12
Das Objekt ist klasse. (Vielleicht noch ein Palmwedel in die rechte obere Ecke?)
An dem Sonett - das ich sehr gern gelesen habe - stört mich formal, daß

Ficken, Fressen, Fernsehn - deplaziert

ein anfangsbetonter Vers ist. Andererseits kann man natürlich argumentieren: Genau das ist es - der blöde Spruch stört das alte Grabmal, und das "falsche" Metrum stört das Sonett. Durchaus nachvollziehbar.
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#13
Hallo Sonettista,

Ich könnte jetzt leicht behaupten ich hätte die metrische Unebenheit bewußt eingebaut... Engel2
Ich empfinde sie aber als durchaus passend, wenn der kleine Ruckler den Lesefluß etwas "aufrüttelt".
Ich werde es wohl so lassen.

Liebe Grüße

ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#14
Zitat:Ob es tatsächlich ausgestellt wird? Ich halte euch auf dem Laufenden.

Bevor das in meinen anderen Projekten untergeht:

Ja, ich werde beim diesjährigen Lyrik-Park in Hildesheim dabei sein!

Eröffnung ist am Freitag den 18. Juni um 17:00 mit einem Rundgang zu den Installationen.

Vielleicht sieht man sich ja ?

LG ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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