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Die Krone der Dichtkunst
#10
Lieber Zaunkönig!
Das ist alles sehr interessant für mich!
Innerhalb von Modeepochen (siehe Barock) ga es trotz der "vollgeladenen" Bilder auch sehr schöne und stilistisch mich ansprechende Sonette. Ich denke da natürlich an den virtuosen Gebrauch des Alexandriners durch Gryphius in z. B. "Der Abend".

Nach Dante A., Petrarca, Rimbaud, Rilke, Dante Rosetti, Baudelaire, Brecht, Goethe, Shakespeare u. vielen anderen, wollte ich es auch mal philologisch wissen. Nach Schlegel, Borchard, Borgstedt, einigen frühen italenischen Poetiken etc. vielen philogischen Einzelschriften, war dann für mich persönlich Peter Weinmanns "Sonett-Idealität und Sonett-Realität" (1989 Gunther Narr Verlag Tübingen, Reihe Romanica Monacensia Bd.30) sowas wie eine Erlösung von allen Formalstreitigkeiten.

Die Beweglichkeit der äußeren und inneren (je nach begründetem inhaltlichen Anliegen) Form ist auch für mich inzwischen ein wesentliches Merkmal des Sonetts.
Das inhaltliche Anliegen bestimmt letztendlich wie das Sonett beschaffen ist.
Es ist egal, ob die Synthese in Zeile 9 oder erst in Zeile 13 beginnt. Primärer erscheint mir die innere Rethorik, die Disposition von Gedanken (in teilweise kunstvollen rethorischen Figuren, sehr typisch: Anaphern>Rückbezüge). Dementsprechen kann ein Gedanke über viele Zeilen übergreifen (in der Vertiefung). Die heute übliche 4-4-3-3 bzw. 4-4-4-2 Aufteilungen waren von früher her jedenfalls nicht als starre Formen indetiert. Die Grenzen setzen die Vers-oder Argumentlängen. Man verfuhr variabel (siehe Handschriftenfotographien früher ital. Sonette in Weinmann). Ein nur "reiner" Dialog, wäre da nicht genug. Das argumentierende Moment (vor der Synthese), klare Grenzen zwischen den Argumenten. Eine lineare Erzählung wäre meiner Meinung nach sonettuntypisch.

Warum ein Sonett als Form wählen?
Um eine Fülle an Gedanken, Argumenten anzuführen und sie inhaltlich, klanglich später zu transformieren/synthestisieren, braucht es eine gewisse Kunstfertigkeit (Verdichtung,Klangmalerei etc. Argumentatiosstil...usw.) in der Sprache, Empfindsamkeit und eine "gewisse Bildung und Beweglichkeit des Geistes". (Klingt schlimm, ich weiß, aber so ist es eben...). Das Metrum ist dabei eher noch die geringste Anforderung. Die Pointierung, die klangliche Einheit/Kontrastierung, die Klarheit der Gedankengänge (es klingt immer so einfach geschrieben!), die Metrisierung durch Silbenlängen etc, machen viel von der inneren Dynamik aus. Auch innere Reflexionen eigenen sich hierfür bestens, wenn sie unterschiedliche Aspekte (scheinbar einander widerstrebend) enthalten. Dies alles auf engestem Raum unterzubringen,...eine verdammt hohe Latte! Hinzu kommt ja noch die Entscheidung welche Form des Sonettes nun wirklich zu alldem paßt! Bis hin zur Formenerweiterung (siehe die frühen Italiener, Rilke etc.)
Vieles davon habe ich in alten italienischen Sonetten (14.Jhd.) wiedergefunden. Themenbegrenzungen habe ich bisher kaum ausmachen können. Wenn das Thema die Beweglichkeit der Gedanken hergibt/entzünden kann, scheint es geeignet.

Ich denke, daß viele Moden, Überlieferungsverluste, andere Sprachkulturen, Veränderung der Bildungsethik sie bewußte Wahl für Sonettform beeinflußten. War die kunstvoll geschliffene innere Rethorik (auch emotional ausgeführte) früher (frühe Formen in Italien) sehr wichtig, wollte man später nur hübsche kleine Dinge darin unterbringen, die sonst nirgendwo unterkommen (O-Ton:Gottfired August Bürger).

Schlegel glaubte durch die Graphik Trennungen zu finden, die er gern auch als Argumentgrenze intendieren wollte...In den frühen Sonetten ist davon aber nichts zu sehen. Es gab viele Schreibweisen (in den Original-Handschriften). man verfuhr variabel. Die Grenzen setzten eher die Argumente-und leider später auch die Schreiber in einem Schriftsatz-der eher kalligraphisch begründet ist. Weinmann argumentiert und belegt auch, das die heute bekannte Schreibweise in den ersten Jahrhunderten des Sonetts nur eine unter vielen war.

Will man nun anerkennen, daß die heutigen Auffassungen zeitgemäß sind oder nicht? Die Wurzeln sind schwer zu ergründen. Viele Fragen bleiben offen. Für mich persönlich ist aber der große Moment des Sonettes immer zeitlos. Er gipfelt in der kunstfertigen Verarbeitung all dessen was ich oben (sicher lückenhaft) genannt habe. Und nur die Absicht und das Können, einen Gegenstand inhaltlich(argumentativ-syntetisierend) und sprachkünstlerisch so verarbeiten zu wollen, würde die Wahl des Sonetts (für mich) begründen. Das dies auch Übung braucht ist klar...in diesem Licht sehe ich meine eigenen, noch sehr stümperhaften Versuche. Immer wieder bemerke ich, das mir nicht nur das kunstvolle in der Sprache fehlt, sondern auch die Beweglichkeit des Geistes, die man in früheren Zeiten durch Rethorik beübte. Gute Sonette sind für mich zeitenüberbrückende (Moden/Kulturen/Stilepochen...) lyrische Monumente, die heute immernoch und wieder zu mir sprechen.

Ich hoffe, daß ich mit diesem Beitrag keinen Scheiß fabriziert habe der gar nicht hier her gehört. Verzeiht einfach großzügig (wie in einem Sonett) einem manchmal überschwänglichen Liebhaber dieser Form!
Liebe Grüße
gitano
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Die Krone der Dichtkunst - von ZaunköniG - 01.08.2009, 06:35
RE: Die Krone der Dichtkunst - von Detlef - 02.08.2009, 07:51
RE: Die Krone der Dichtkunst - von Sneaky - 02.08.2009, 09:01
RE: Die Krone der Dichtkunst - von ZaunköniG - 02.08.2009, 09:59
Fetisch des Humanismus - von ZaunköniG - 30.08.2009, 10:31
RE: Die Krone der Dichtkunst - von yaira - 03.09.2009, 10:37
RE: Die Krone der Dichtkunst - von ZaunköniG - 03.09.2009, 19:38
RE: Die Krone der Dichtkunst - von gitano - 12.10.2010, 18:54
RE: Die Krone der Dichtkunst - von ZaunköniG - 15.10.2010, 18:28
RE: Die Krone der Dichtkunst - von gitano - 15.10.2010, 20:11

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