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Medusa II. - Poseidon an Pallas
#1
Medusa
2. Sonettenkranz

Poseidon an Pallas

I.

Dein Ideal ist eine Kopfgeburt.
Sieh hin! Sieh ihre Augen, tränennassen
Wangen, und sieh diese steifen, blassen
Hände, in ihr Elend festgezurrt; -

Du hast sie, als sie schwach war, fallen lassen.
Du tust, als hätte sie geraubt, gehurt;
hat sie denn je bei deinem Wort gemurrt?
So lehrtest du sie, deine Tugend hassen.

Sieh hin! Sieht so dein Recht, dein Adel aus?
Laß einmal deine Tugendwächter schlafen.
Kennst du ihr Herz? Du kennst kaum ihr Gesicht.

Räch dich an mir; ich halt das leichter aus.
Du konntst sie nicht beschützen; warum strafen?
Nein, Pallas, du verstehst die Menschen nicht!


II.

Nein, Pallas, du verstehst die Menschen nicht,
so wenig, wie die Menschen dich verstehen.
Sie beten, ketzen, lieben, hassen, flehen,
und sehen dir beim Lügen ins Gesicht.

Sie glaubens leicht, wenn man etwas verspricht,
und höher als Vernunft gilt, was sie sehen.
Sie sehen unsre Gaben nicht als Lehen.
Die Wahrheit ist nichts Hohes. – Eher schlicht.

Ein Fehltritt; - doch bei andren wär er läßlich!
Laß sie mit dem Schicksal sich versöhnen.
Reichen dir nicht ihre Trauermale?

Deine Rache macht euch beide häßlich:
die Göttin, und die Priesterin des Schönen.
Ich red jetzt nicht zu dir als dein Rivale.

III.

Ich red’ jetzt nicht zu dir als dein Rivale:
Es ging dir doch nicht wirklich um die Sache.
Es schmerzt, daß ich es war; Entfache
deinen Gegenzauber! Der banale

Ausfallschritt nach einem Bacchanale,
Pallas, ist’s nicht wert. Nimms sportlich! Lache!
Wo blieb das kluge Maß in deiner Rache?
Ist dieses deine Weisheit? Die totale?

Sie ist für ihren Stolz gestraft genug;
ich weiß: grad dafür hattst du sie geschätzt,
und wer sich eine Schuld anhäuft, der zahle!

Jedoch sie zahlt ja! Hältst du es für klug,
daß du den Zins so maßlos angesetzt?
Verachte nicht das Schwache, Triviale.


IV.

Verachte nicht das Schwache, Triviale,
denn Schwäche ist nicht Schuld. Sie ist Natur!
Dem Schwachen ist sie selbst genug Tortur.
Dir, Pallas, ist es leichter, darum prahle

nicht mit deiner Kunst, die Glück ist. Nur
dies Eine: Dämpfe deine radikale
Meinung von Medusa. Das Fatale
an ihr, wie auch an jeder Kreatur,

ist ihre Ungewißheit. Doch sie glaubte
an den göttlichen, an deinen Funken!
Nur sie war’s, die auf Erden für dich ficht.

Doch nun bist du’s, die ihr das Letzte raubte.
Sie ist in Schwarz und Bitternis versunken.
Es überwiegt so weit dein bißchen Licht.


V.

Es überwiegt so weit dein bißchen Licht:
das Grauen! Deine Weisheit ist so kalt.
Medusa wurd an einem Tage alt.
Es ist zum Steinerweichen. Ihr Gesicht

nun so entstellt zu sehen, und schon bald
hält jeder Maulheld über sie Gericht.
Ist das der Lohn für Schweiß und Zeit, Verzicht?
Ihr Opfer, das doch dir alleine galt?

Du kennst nicht Dank, du kennst auch kein Verzeihen.
Viel schlimmer als der Feind ist der Verräter,
doch was sind dies, deine Ideale,

die dir diese Grausamkeit verleihen?
Auch du wirst es vielleicht begreifen, später:
So wichtig wie das Opfer ist die Schale.


VI.

So wichtig wie das Opfer ist die Schale,
jedoch nicht so, wie du es gern vernimmst,
indem du ihren Wert danach bestimmst,
was in ihr lag und liegt; edle Pokale

haben ihren Wert an sich. Bezahle
Material und Kunst, und gerne nimmst
du ihn. Nein, Pallas, leugne nicht, du glimmst
doch unter deiner Rüstung. Zeig dich! Strahle!

Und Brenne für die Dinge, die du liebst.
Du mußt die Liebe nicht erst lang begründen.
Verlangt denn irgendwer von dir Bericht?

Nimm freudig, aber zähl nicht, was du gibst.
Die gröbsten, sind die Unterlassungssünden.
So wichtig wie’s Gebet, ist der, der ’s spricht.


VII.

So wichtig wie’s Gebet ist der, der ’s spricht.
Du kannst dein Maß nicht immer höher schrauben.
Sieh, wie sie nach deiner Wahrheit klauben,
die du predigst, Pallas, aber nicht

den Blinden wirst zu helfen, nicht den Tauben.
Wer ist es, der für dich den Lorbeer flicht,
für etwas Ehre und noch mehr Verzicht?
Menschen sind es, und sie müssen glauben.

Wahrheit ist so leichthin ausgesprochen,
Wissen ist ein hochgestecktes Ziel,
doch zwiebelartig schält sich Schicht für Schicht

ihre Gewißheit aus. Noch ungebrochen
zelebrierst du dieses eitle Spiel, -
nein, Pallas, du verstehst die Menschen nicht.


VIII.

Nein, Pallas, du verstehst die Menschen nicht,
denn dir ist niemand teuer oder lieb
um seinetwillen, der sich an dir rieb.
Alleine, wer nach deinem Munde spricht,

den Gleichgesinnten nur schenkst du dein Licht.
Der Mensch hat den Verstand, doch auch den Trieb,
doch dir geht’s immer nur um das Prinzip,
auch wenn die Mehrheit sicher dran zerbricht.

Es war nicht recht, den Rufmord anzuzetteln.
Schon schäumt die Schande auf in aller Munde,
wuchern die Gerüchte und Skandale.

Soll sie bei dir um Gnade für sich betteln,
für diese eine unbedachte Stunde?
Wir Götter selbst sind nicht nur Ideale.


IX.

Wir Götter selbst sind nicht nur Ideale,
ist denn dein Maßstab vollprozentig echt?
Nimm Perseus: Ist er weise? Klug? Gerecht?
Sein Blut bestimmt die Tat. Der schmale

Grat von Treue und Gemeinsinn: schlecht
begehbar. Übrig bleibt oftmals der schale
Nachgeschmack; es setzt sich der vitale
Eigennutz letztendlich durch. Verzecht

dein Anspruch, gutes Vorbild sein zu wollen.
Perseus schützt du wegen der Verwandtschaft
und du verzeihst ihm Grobheit und Ekstase.

Medusa aber wird es büßen sollen,
das was auch sonst kein Mensch von eigner Hand schafft.
Deiner Predigt, Pallas, fehlt Emphase.


X.

Deiner Predigt, Pallas, fehlt Emphase.
Deiner Lehre fehlt die Konsequenz.
Der eine kämpft um seine Existenz;
dem ist deine Vision ne Seifenblase,

für ’s nackte Leben ohne Evidenz.
Der andre trägt die wohlgeborne Nase
hoch, er blendet dich mit feiler Phrase
und sonnt sich groß in seiner Prominenz.

Was hast du dir für’n Helden ausgesucht,
in dem sich bitter Kraft und Haß vergor?
Er ist viel mehr wert, daß man ihn verflucht

als die Medusa, die sich dir verschwor.
Dein Spruch klingt heute höhnisch und verrucht:
„Es liegt an jedem selbst. Schwing dich empor!“


XI.

„Es liegt an jedem selbst. Schwing dich empor!“
Die Hoffnung für die Armen, doch den Reichen
wird manch Hindernis alleine weichen.
Verlassen, wer sich dir zum Gott erkor.

Es klingt den Menschen noch von dir im Ohr;
sprichst du von Sinn? Von Wahrheit? Oder Zeichen?
Du sprichst hier, Pallas, nicht von gleich zu gleichen.
„Es liegt an jedem selbst. Schwing dich empor!“

Deine Rede sinkt zur Metaphorik.
Der Olivenbaum war ein Triumpf,
doch als du deine Lehre abgeschnurt

sank deine stärkste Waffe, die Rhetorik.
Sie klingt den Menschen nurmehr hohl und stumpf.
Als Forderung ist dieses Wort absurd.


XII.

Als Forderung ist dieses Wort absurd.
Das Schöne, Gute, Wahre und das Echte;
als ob’s die Menschheit jemals weiter brächte,
als ob die Taube nur von Frieden gurrt.

Du hast den Weg von Perseus selbst gespurt,
damit er deine Niederlage rächte.
Niederlage? Nein, Pallas, dich schwächte
keine Schwache, menschlicher Geburt.

Du hast dein eignes Laster offenbart;
das selbe, das du hochhieltst: deinen Stolz.
Dein Götteranspruch eine Seifenblase,

in die du dich mit Haupt und Herz vernarrt.
Die Wirklichkeit ist von ganz andrem Holz.
Was ist das Ergebnis solcher Phrase?


XIII.

Was ist das Ergebnis solcher Phrase?
Solln sich die Menschen nach den Göttern recken?
Deine Rüstung, Pallas, zeigt schon Flecken.
Vergiß die Nichtigkeiten, aber rase

wenn du Macht zeigst. Mische Gischt und Gase,
statt dich nur hinter Helden zu verstecken
die für dich den Feind daniederstrecken.
Sieh ihr in die Augen! Sieh’ das war sie!

Dieses Monster hast du selbst erschaffen:
Deine Wahrheit bröckelt an den Rändern.
Sieh dein Opfer, der das Blut gefror.

Schenk ihr ein Ende, du besitzt die Waffen.
Du kannst die Dinge, nicht die Regeln ändern.
So bringst du immer nur dich selbst hervor.


XIV.

So bringst du immer nur dich selbst hervor.
Du hast das Niedere in ihr bekriegt.
In ihr, sagst du, doch um so enger schmiegt
es sich an dich, Pallas, du armer Tor.

In diesem Kampf hast du dich selbst besiegt.
Vergiß, daß ich dir ehmals Rache schwor,
sieh dich nur vor den eignen Schwächen vor.
Du kannst nur geben, was auch in dir liegt.

Was gilt dein Glaube an den Fortschritt jetzt?
An Wissenschaft, Moral und Kunst? Hier galt’s!
Moral hilft nichts, wenn dir der Magen knurrt;

die alte Scharte ist heut ausgewetzt;
du siehst, auch deine Quelle trägt ihr Salz.
Dein Ideal ist eine Kopfgeburt.


XV.

Nein, Pallas, du verstehst die Menschen nicht!
Ich red jetzt nicht zu dir als dein Rivale:
Verachte nicht das Schwache, Triviale.
Es überwiegt so weit, dein bißchen Licht.

So wichtig wie das Opfer, ist die Schale.
So wichtig wie’s Gebet ist der, der’s spricht.
Nein, Pallas, du verstehst die Menschen nicht.
Wir Götter selbst, sind nicht nur Ideale.

Deiner Predigt, Pallas, fehlt Emphase.
„Es liegt an jedem selbst: Schwing dich empor!“
Als Forderung ist dieses Wort absurd.

Was ist nun das Ergebnis solcher Phrase?
So bringst du immer nur dich selbst hervor:
Dein Ideal ist eine Kopfgeburt!
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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Nachrichten in diesem Thema
Medusa II. - Poseidon an Pallas - von ZaunköniG - 19.10.2008, 13:29
RE: Medusa II.: Poseidon an Pallas - von Sneaky - 19.10.2008, 19:29
RE: Medusa II.: Poseidon an Pallas - von Sneaky - 20.10.2008, 19:12

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