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HBF
#1
[Bild: HBF-1.jpg]

HBF


Wie tote Blätter treiben draußen Krähen.
Sie setzen sich am kalten Bahnsteig ab.
Die grellen Messebanner hängen schlapp,
Unmotiviert die Absperrbaken stehen.

Die Rolltreppe kaputt, der Lift defekt,
Verspätungen erfährt man digital.
Natursteinblenden vor Beton und Stahl.
Es soll so sauber sein, wie im Prospekt.

Geweißte Ladenfronten; - Hier entsteht...
ein Backshop, Bootstore, ein Bulettenbräter
Convinience-Style der laufenden Dekade,
schlecht temperiertes Licht, wie ein Sekret:
Gelb, beinah milchig träuft es aus dem Äther.
Flecken auf der neuen Glas-Fassade.




.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#2
HBF


1 - Gebäudereiniger


Flecken auf der neuen Glasfassade
von Vogelkot und fetten Bratwurstfingern.
Dahinter schweift der Blick den jungen Dingern
ins Dekolleté... - Ein Wisch - und weg... Gerade

kam wieder dieses Bild: Ein Lichtreflex
und eine Silhouette an der Scheibe, -
die Schliere, der verschmierte Mayo-Klecks -
sieht der nicht auch genauso aus? Beileibe!

es ist o.k. wenn er heut Scheiben putzt.
Er steigt nie wieder in den Führerstand.
Die Fragen "Warum ich" und "Wem es nutzt"
sind ohne Antwort abgehakt. Die Hand
wischt schnell die Geister fort. Nichts mehr zu sehen.
Wie tote Blätter treiben draußen Krähen.



2 - Gebäudereiniger II


Wie tote Blätter treiben draußen Krähen,
sind bei der nächsten Zugeinfahrt zerstoben.
Wenn an der Bahnsteigkante Kinder toben
gefriert sein Herz. - Er kann sowas nicht sehen. -

Noch immer nicht - Die früheren Kollegen
schau'n gerne mal vorbei auf einen Schwatz.
Anfängliche Betroffenheit hat Platz
gemacht für Smalltalk. Nichts hilft besser gegen

die ewige Erinnerung: Ein Schatten -
dumpf ein Schlag - verfolgen ihn ins Grab.
Nur die, die einen vor der Scheibe hatten
seh'n hinter sein Gesicht - und sie verstehen.

Und wieder landet dieser Pulk von Krähen;
Sie setzen sich am kalten Bahnsteig ab.



3 - Die Krähen


Sie setzen sich am kalten Bahnsteig ab
und gehen keck Patrouille inmitten
von dutzend Beinen, spähen auf die Fritten,
stolzieren, hüpfen, ducken sich, tapp tapp
und schnapp hat eine ein Stück Brot erhascht.
Ein Prachtstück: Viel zu groß, es ganz zu schlucken.
Zwei Tauben aus gemessnem Abstand gucken;
Die Krähe schleppt das Brot aufs Dach und nascht
in Ruhe erst das Weiße, lässt die Rinde
ins Gleisbett fallen, zögernd schaun die Tauben
ob sie im Schotter diesen Brotrest finden
und lassen sich erneut den Happen rauben:
Schnell auf die Fahnenstange; - das war knapp.
Die grellen Messebanner hängen schlapp.



4 - Die Werberinnen

Die grellen Messebanner hängen schlapp,
Zwei Animiermaries mit Plastikmiene
rührn kräftig Werbung an für Bus und Schiene,
Es stinkt nach Bratenfett vom Frittenlab.

Die Farbpsychologie, die coolen Sprüche
verfangen nicht. Die Masse muss sich sputen.
Am Stehbistro treibt alle paar Minuten
ein Besen dreiste Tauben aus der Küche.

Marie die Erste lässt sich langsam gehen
und Zeit zur Pause ist jetzt sowieso.
Sie haben Glück: Der Pächter selbst schenkt aus.

"Kommt her, der erste Kaffee geht aufs Haus!"
Die erste nette Geste heute, wo
unmotiviert die Absperrbaken stehen.




Ich musste doch mal mein neues Micro ausprobieren und habe die Teile 1 und 2 eingesprochen:

http://sonett-archiv.com/forum/audio/HBF-1-2.mp3

Und die Krähen gleich hinterher:

http://sonett-archiv.com/forum/audio/HBF-3.mp3
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#3
Hallo Zaunkönig,

für S 1 Z 3 klingt mir
"bewerben Umstieg "Grün!" auf Bus und Schiene / od bewerben den Verkehr auf Bus und Schiene besser gefallen. Für den Schluss würde ich an dem zweimal "erste" basteln. "der Pausenkaffee" oder so was in der Richtung.

Gruß

Sneaky
Never sigh for a better world it`s already composed, played and told
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#4
Hallo Sneaky,

Einen konkreten Werbeslogan anzuführen, hat was. Das lasse ich mir nochmal durch den Kopf gehen.

Die Doppelung mit "erste" in den Terzinen ist tatsächlich nicht schön. Aber "Pausenkaffee"?
Kann man machen, aber ich finde die Zeile, wie sie ist authentischer. Vielleicht kann man an Z13 etwas drehen:

Zumindest eine nette Geste, wo...

Gruß
ZaunköniG
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#5
Hallo Sneaky,

dann werde ich deinen Slogan mal übernehmen. Mit den Änderungen in den Terzinen sieht das dann so aus:


4 Die Werberinnen

Die grellen Messebanner hängen schlapp,
Zwei Animiermaries mit Plastikmiene
bewerben "Umstieg Grün!" für Bus und Schiene,
Es stinkt nach Bratenfett vom Frittenlab.

Die Farbpsychologie, die coolen Sprüche
verfangen nicht. Die Masse muss sich sputen.
Am Stehbistro treibt alle paar Minuten
ein Besen dreiste Tauben aus der Küche.

Marie die Erste lässt sich langsam gehen
und Zeit zur Pause ist jetzt sowieso.
Sie haben Glück: Der Pächter selbst schenkt aus.

"Kommt her, der erste Kaffee geht aufs Haus!"
Zumindest eine nette Geste , wo
unmotiviert die Absperrbaken stehen.


Die Werberinnen als MP3:

http://sonett-archiv.com/forum/audio/HBF-4.mp3

Und gleich das nächste hinterher:


HBF

5 - Rush Hour


Unmotiviert die Absperrbaken stehen;
ein Ärgernis für anliegende Händler.
Es tut sich nichts - Ein Zug fährt ein; die Pendler
stau'n sich am Engpass, steh'n sich auf den Zehen
mit Schirm im Auge, Trolley in den Hacken.
Husch, husch; gestresst sucht jeder seine Lücke:
"Warum muß sich der Trottel jetzt noch bücken?"
Schon schließt sich diese Wand aus nassen Jacken.

Ein Seufzer. Oder wird ein Fluch gefaucht?
Nun stoppt auch er, wird selber angeeckt.
Die Bahn verspätet sich nicht, wenn man's braucht.
Na klar: Der Zug verschwindet vom Tableau;
die Hektik nutzt nichts. Es ist sowieso
Die Rolltreppe kaputt, der Lift defekt.


http://sonett-archiv.com/forum/audio/HBF-5.mp3
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#6
Hallo Zaunkönig,

finde ich auch gut mit dem "zumindest" besser als mein Pausenkaffee Smile

das "anliegende" würde ich in anliefernde Händler tauschen.

"stehen am Engpass und sich auf den Zehen" ?

husch husch, gestresst sucht jeder freie Lücken? wobei freie Lücken auch grenzwertig gedoppelt ist.

Der HBF nimmt ordentlich Fahrt auf, bin mal gespannt auf weiteres.

Sneaky
Never sigh for a better world it`s already composed, played and told
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#7
Hallo Sneaky,

Was stört dich an den "anliegenden" Händlern? Metrisch ist "anliefernde" genauso betont.

Für fremde Händler gibt es in Hannover, und ich nehme an, dass es bei allen größeren Bahnhöfen so ist, eine Anlieferzone jenseits der Publikumsströme. Was man im Bahnhof an "Lieferverkehr" sieht ist also nur der Transport von den Lagerräumen in die Läden, was aber auch nur wenige kleinere Läden betrifft. Der Großteil wird rückseitig abgewickelt.


""stehen am Engpass und sich auf den Zehen" ?"
Das klingt mir etwas gekünstelt.
Störst du dich an den Apostrophs? Das ist ja nur ein optisches Problem. Lautlich empfinde ich die Stelle als flüssig.

Genauso Zeile 6: was missfällt dir an meiner Formulierung?

Gruß
ZaunköniG
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#8
Hallo Zaunkönig

anliefern ist für mich aktiver, will sagen diese Tätigkeit sehe ich durch die Baken stärker "behindert" als das reine "anliegend sein".

Die Apostrophe finde ich in der Tat störend.

Und "Lücke" und Bücken in deiner Version ist kein voller Reim.

Gruß

Sneaky
Never sigh for a better world it`s already composed, played and told
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#9
HBF

06


Die Rolltreppe kaputt, der Lift defekt;
Noch ratlos, hilfesuchend, unentschlossen
steht eine Frau am Aufzug, wird umflossen
vom hektischen Geschiebe. Fast versteckt

steht bei ihr der Rollator unter prallen
Klamottentüten, wie um sich zu schämen.
Zu jung, ihr Handicap auch ernstzunehmen,
zu alt den Kavalieren zu gefallen,

wird sie vorüber gehend angeglotzt.
Das kennt sie zur Genüge - und sie trotzt
den smarten Schnöseln ein ums andre Mal.

Wo bleibt der Zug? Vom Gleis bleibt alles stumm.
Vielleicht hat sie ja Glück? - Sie blickt sich um:
Verspätungen erfährt man digital.


.

HBF

07


Verspätungen erfährt man digital, -
und mit Verspätung. Aber immerhin:
jetzt ist noch Zeit für einen Kaffee drin.
Am Tresen lehnt ein Schrat wie Rübezahl
mit schütterer, - wir nennen's mal Frisur
und einer Jacke, wohl so alt wie er.
Wie's dazu kam? Sie weiß es bald nicht mehr.
War's blanke Not? Vielleicht auch eine Spur

von Schalk, die ihm aus blauen Augen blitzte?
Mit einem kleinen Kompliment stibitzte
er sich ein Lächeln. Er ist's der final
die Tüten trägt, bepackt bis untern Hals,
und wünscht sich schönere Kulissen als
Natursteinblenden vor Beton und Stahl.



http://sonett-archiv.com/forum/audio/HBF-6-7.mp3

HBF

08



Natursteinblenden vor Beton und Stahl,
im Alurahmen eine Keks-Reklame.
Dort ein improvisierter Tisch mit Damen
der Marke Kegelschwestern; kolossal
ihr Picknick für den Umstiegsaufenthalt
mit Schinkenknackern, Gürkchen, Käsespießen.
Aus mitgebrachten Thermoskannen fließen
Kaffee und Tee, wenn auch der letztre kalt.

Bald kommt der Zug, wie schnell die Zeit doch rennt...
Noch rasch ein Blick aufs Wellness-Paradies:
Der Flyer wird bis ins Detail gecheckt
und eine kennt wen, der wohl eine kennt:
Die war schon da gewesen - und sie pries:
"So sauber soll es sein! - Wie im Prospekt!"


.

http://sonett-archiv.com/forum/audio/HBF-8.mp3


.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#10
(22.12.2016, 11:24)ZaunköniG schrieb: Bald kommt der Zug, wie schnell die Zweit doch rennt...
=> Zeit
Come build in the empty house of the stare
- Yeats -
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#11
oh Rolleyes
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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#12
HBF

09


Es soll so sauber sein, wie im Prospekt.
Der Regionalvorstand flaniert mit Schlips
und Anzug durch die Halle. - Zwanzig Tipps
zum Umgang mit der human source , man checkt

die Wahrnehmung der Slogans, Akzeptanz
der Baumaßnahmen, fordert seinen Grips
zu Neubewertung: "Diese zwanzig Tipps
vermitteln keine echte Relevanz:

Zehn Punkte. maximal! - Eine Agenda
muß kurz und knackig sein! Der Dialog
mit Mitarbeitern muß sich gründlich ändern:
Zehn Punkte! besser drei! Der Monolog
manifestiert sich hinter ihm konkret:
Geweißte Ladenfronten. Hier entsteht...



http://sonett-archiv.com/forum/audio/HBF-9.mp3



HBF

10



Geweißte Ladenfronten: Hier entsteht
Ihr Einkaufsbahnhof 2.0 - modern,
entspannt, sympathisch ... Doch man ahnt von fern
den kühlen Hauch, der durch die Gänge weht.

Die Eingangshalle voller Kunst, die bunter
sein soll als die abstrakten Messingdinger
bisher. - Ein Fuchs? - Ein Fink? - Ein Wolperdinger?
Die Kinder rutschen ihm den Buckel runter,

sind für Momente Feen und Drachenreiter.
"Louisa! Tom! Auf, auf! Wir müssen weiter!"
Doch Tom hat seine Schlacht noch nicht geschlagen.
"Jetzt komm!" - Fast rutscht die Hand aus; - das versteht er...

Die Ladenzeile wird belebt - in vierzehn Tagen:
Ein Backshop, Bootsstore, ein Bulettenbräter.



http://sonett-archiv.com/forum/audio/HBF-10.mp3


HBF

11


Ein Backshop, Appstore, ein Bulettenbräter;
Ein Rockkonzert steht an, ein Liga-Spiel.
Den ersten Pendlern wird es bald zu viel:
Punks, Hools, dazwischen die Familienväter,

zwei Rocker grüßen sich per Pommesgabel,
Ein Girlie-Trio schäkert, feixt und knufft sich,
das trendy Top für sieben Euro fuffzich
betont dezent den chromgepiercten Nabel.

Ein Heilsarmeeler steht, wie aus der Zeit
gefallen im Strom der Shopping-Königinnen,
Die Punks klaun eine Papp-Sheherazade,

betatschen und belecken sie. Zu zweit
bewachen Men-in-Black nun innen
Convinience-Style der laufenden Dekade.



http://sonett-archiv.com/forum/audio/HBF-11.mp3




HBF

12


Convinience- Style der laufenden Dekade;
Die Farben der Saison sind die der letzten.
Dynamisch präsentier'n sich die gehetzten
Verkäuferinnen. - Jener schmerzt die Wade; -

Dies Stehn, die Zugluft und - naja, die Jahre.
Die jüngre macht dies nur als Aushilfsjob.
Nach knapp drei Stunden fragt sie einmal, ob
nicht Zeit für'n Kaffee wär, - obwohl noch Ware

im Gang steht. Erstre hält's für unverschämt:
"Als ich so jung war..." setzt sie an, und endet:
"wart' nur nie Weihnachtszeit ab." und sie wendet
sich ihrem Bein zu, das sie sorgsam cremt.
Es träuft ins Eck, von Salbgeruch umweht
schlecht temperiertes Licht, wie ein Sekret.



http://sonett-archiv.com/forum/audio/HBF-12.mp3




HBF

13 - Security


Schlecht temperiertes Licht wie ein Sekret
beschlägt an Brüstungen aus Glas. Der Lift
ist immer noch defekt. Ein Sheriff trifft
auf Bahnbegleiter und gelangweilt steht
man an der Bratwursttheke. - Dienst ist Frust.
Die Punks, die Junks, die Ultras machen Stress;
Der Boulevard berichtet vom Prozess...
Und wer ist schuld? Man hat es ja gewusst!

Zwei Hools sind heiß, die Punker aufzumischen;
Nein, nein... - Sie gehn bestimmt nicht mehr dazwischen.
Egal: Für den Moment reicht die Präsenz.
Bald gehen sie. - Der echte Stress kommt später.
Die Stimmung hat bedrückende Tendenz.
Gelb, beinah milchig träuft es aus dem Äther.



http://sonett-archiv.com/forum/audio/HBF-13.mp3




HBF

14


Gelb, beinah milchig träuft es aus dem Äther
und eine Taube bricht sich das Genick.
Kaum jemand würdigt sie mit einem Blick.
Die Bäckerin guckt schief: "Komm, dein Job, Peter!"

Der ist schon auf dem Sprung, weil 's eh schon klar war,
denn was ein Lehrling hier als erstes lernt,
ist, wie man Kaffee kocht und Dreck entfernt.
Mit spitzen Fingern fasst er den Kadaver
und schlurft zur Restmülltonne vor dem Laden.

Den Ekel hat er sich längst abgewöhnt:
Der Schmutz wird weggewischt, getüncht, geschönt.
Der warme Nacken baumelt schräg verschoben.
Wo 's wohl passiert ist? Peter schaut nach oben:
Flecken auf der neuen Glasfassade.



http://sonett-archiv.com/forum/audio/HBF-14.mp3


.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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