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Gedichte der Gefangenen
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Gedichte der Gefangenen
ein Sonettenkreis
Schlaflose Nacht
Metallne Schritte in die Nächte fallen,
Die Posten buckeln durch die Höfe ohne Rast.
Oh, jeder Schlag ist Herzschlag ungeheurer Last,
Die uns bedrängt mit immer scharfen Krallen.
Wir lauschen schlaflos in das starre Hallen,
Ein schwarzes Schweigen wächst im schwarzen Glast,
Deß toter Atem fröstelnd uns umfaßt,
Zermartert Blicke an die Eisengitter prallen.
Warum, mein Bruder, feindlich durch die Höfe schreiten?
Uns alle band ein Schicksal an den gleichen Pfahl,
Uns alle eint der Kreaturen tausendjährge Qual,
Uns alle wirbelt dunkler Zwang durch die Gezeiten.
Oh, Fluch gesetzter Grenzen! Menschen hassen ohne Wahl!
Du, Bruder Tod, wirst uns vereint geleiten.
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Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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Durchsuchung und Fesselung
(Dem Andenken des erschoßnen Kameraden
Dorfmeister, München)
Den nackten Leib brutalen Blicken preisgegeben,
Betastet uns ein schamlos Greifen feiler Hände,
In Fratzenbündel splittern graue Wände,
Die wie Gepfeil gen unsre Herzen streben.
Pflockt Arm und Fuß in rostige Kette,
Brennt Narben ein den magren Händen,
Ihr könnt, Ihr könnt den Leib nicht schänden,
Wir stehen frei an der verfehmten Stätte!
So standen vor uns all die Namenlosen,
Rebellen wider des Jahrhunderts Tyrannei,
Auf Sklavenschiffen meuternde Matrosen -
Der Promethiden ewig trotziger Schrei!
So standen sie an Mauern der Geweihten.
So starben sie am Rande der verheißnen Zeiten.
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Wälder
Ihr Wälder fern an Horizonten schwingend,
Vom abendlichen Hauche eingehüllt,
Wie meine Sehnsucht friedlich euch erfüllt,
Minuten Schmerz der Haft bezwingend.
Ich presse meine Stirne an die Eisensäulen,
Die Hände rütteln ihre Unrast wund,
Ich bin viel ärmer als ein armer Hund,
Ich bin des angeschoßnen Tieres hilflos Heulen.
Ihr Buchenwälder, Dome der Bedrückten,
Ihr Kiefern, Melodie der Heimat, tröstet Leid,
Wie wöbet ihr geheimnisvoll um den beglückten
Knaben der fernen Landschaft wundersames Kleid . . .
Wann werde ich, umarmt vom tiefen Rauschen,
Den hohen Psalmen eurer Seele lauschen?
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Spaziergang der Sträflinge
(Dem Andenken des erschoßnen Kameraden
Wohlmuth, München)
Sie schleppen ihre Zellen mit in stumpfen Blicken
Und stolpern, lichtentwöhnte Pilger, im Quadrat,
Proleten, die im Steinverließ ersticken,
Proleten, die ein Paragraph zertrat.
Im Eck die Wärter trag und tückisch lauern.
Von Sträuchern, halb verkümmert, rinnt ein trübes Licht
Und kriecht empor am Panzer starrer Mauern,
Betastet schlaffe Körper und zerbricht.
Vorm Tore starb der Stadt Gewimmel.
»Am Unrathaufen wird im Frühling Grünes sprießen . . .«
Denkt Einer, endet mühsam die gewohnte Runde,
Verweilt und blinzelt matt zum Himmel:
Er öffnet sich wie bläulich rote Wunde,
Die brennt und brennt und will sich nimmer schließen.
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Begegnung in der Zelle
Die Dinge, die erst feindlich zu dir schauen,
Als wären sie in Späherdienst gezwängte Schergen,
Sie laden dich zu Fahrten ein gleich guten Fergen,
Und hegen dich wie schwesterliche Frauen.
Es nähern sich dir all die kargen Dinge:
Die schmale Pritsche kommt, die blauen Wasserkrüge,
Der Schemel flüstert, daß er gern dich trüge,
Die Wintermücken wiegen sich wie kleine Schmetterlinge.
Und auch das Gitterfenster kommt, das du verloren,
Mit Augen, die sich an den schwarzen Stäben stachen,
Anstarrtest, während deine Arme hilflos brachen,
Und Köpfe der Erschoßnen wuchsen aus versperrten Toren.
Das Gitterfenster ruft: Nun, Lieber, schaue, schaue,
Wie ich aus Wolken dir ein Paradies erbaue.
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Lied der Einsamkeit
Sie wölbt um meine Seele Kathedralen,
Sie schäumt um mich wie brandend Meer,
Der Gosse sperrt sie sich wie eine Wehr,
Und wie ein Wald beschützt sie meine Qualen.
In ihr fühl' ich die Süße abendlicher Stille,
Auf leeren Stunden blüht sie maienliches Feld,
Ihr Schoß gebiert das Wunder der geahnten Welt,
Ein stählern Schwert steilt sich metallner Wille.
Sie schmiegt sich meinem Leib wie schlanker Frauen Hände,
In meine Sehnsucht perlt sie aller Märchen Pracht,
Ein sanftes Schwingen wird sie hingeträumter Nacht . . .
Doch ihre Morgen lodern Brände,
Sie sprengen Tore schwerer Alltagszelle,
Einstürzen Räume, aufwächst eisige Helle.
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Gefangene Mädchen
Wie kleine arme Dirnen an belebten Straßenecken
Sich schüchtern fast und wieder roh bewegen,
Im Schatten der Laternen sich erst dreister regen
Und den zerfransten Rock kokett verstecken . . .
Wie Waisenkinder, die geführt auf Promenaden,
Je zwei und zwei in allzu kurzen grauen
Verschoßnen Kleidern sehr verschämt zu Boden schauen
Und Stiche fühlen in den nackten Waden . . .
So schlürfen sie umstellt von hagren Wärterinnen,
Die warmen Hüften wiegend auf asphaltnen Kreisen,
Sie streichen heimlich mit Gebärden, leisen,
Das härne Kleid, als strichen sie plissiertes Linnen,
Und wie sich in gewölbten Händen Brüste runden,
Befällt sie Grauen ob der Last der leeren Stunden . . .
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Fabrikschornsteine am Vormorgen
(Dem Andenken des erschoßnen Kameraden
Lohmar, München)
Sie stemmen ihre schwarze Wucht in Dämmerhelle,
Gepanzert recken sie sich drohendsteil,
Sie spalten zarte Nebel wie getriebner Keil,
Daß jeder warme Hauch um sie zerschelle.
Aus ihren Mäulern kriechen schwarze Schlangen
In blasse Fernen, die ein Silberschleier hüllt.
Sie künden lautlos: »Wir sind Burg und Schild!
Die Gluten winden sich, in uns gefangen.«
Der Morgen kündet sich mit violettem Lachen,
Den Himmel füllt ein tiefes Blau,
Da gleichen sie verfrornen Posten, überwachen,
Und werden spitz und kahl und grau,
Und stehen hilflos da und wie verloren
Im lichten Äther, den ein Gott geboren.
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Die Mauer der Erschossenen
Pietá
Stadelheim 1919
Wie aus dem Leib des heiligen Sebastian,
Dem tausend Pfeile tausend Wunden schlugen,
So Wunden brachen aus Gestein und Fugen,
Seit in den Sand ihr Blut verlöschend rann.
Vor Schrei und Aufschrei krümmte sich die Wand,
Vor Weibern, die mit angeschoßnen Knien »Herzschuß!« flehten,
Vor Männern, die getroffen sich wie Kreisel drehten,
Vor Knaben, die um Gnade weinten mit zerbrochner Hand.
Da solches Morden raste durch die Tage,
Da Erde wurde zu bespienem Schoß,
Da trunkenes Gelächter kollerte von Bajonetten,
Da Gott sich blendete und arm ward, nackt und bloß,
Sah man die schmerzensreiche Wand in großer Klage
Die toten Menschenleiber an ihr steinern Herze betten.
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Der Gefangene und der Tod
(Meinem lieben Zellennachbarn Valtin Hartig)
Der Gefangene spricht:
Ich denke deinen Namen, Tod, und um mich bricht
Der Zellenbau in Trümmer, Fundamente liegen bloß,
Aus Pfosten reißen sich die schweren Eisengitter los
Und krümmen sich im maskenlosen starren Licht.
In meiner Seele gellt ein Schrei. Ein Zittern wirft verschüchterte Gebärde
Ins Blut, darin das Leben pochend schwingt -
Und wie die Kreißende um sich und um ihr Junges ringt,
So ringt mein Blut verzweifelt um den Quell der Erde.
Oh, daß ich fliehen könnte! Denn dir hilflos hingegeben,
Heißt hilflos sich zerstören. Wer sich aufgibt,
Wählt dich zum Freund. Ich aber will das Leben!
Ich will das Leben so, daß mich das Leben liebt
Und seinen Rhythmus durch mich strömt, mich Welterfüllten,
Deß trunkne Erdenlust nicht tausend Jahre stillten.
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Der Tod spricht:
Da du das Leben willst, warum Erbleichen,
Wenn meine Melodie in deiner Seele tönt?
Wer mich erträgt, der atmet wie versöhnt,
Sein Herz kann nicht mehr greller Klang erreichen.
Ist tot der Baum im Herbst der Abendweiten?
Ist tot die Blume, deren Blüte fallend sich erfüllt?
Ist tot der schwarze Stein, der glutne Kräfte hüllt?
Ist tot die Erde über Gräbern menschlicher Gezeiten?
Oh, sie belogen dich! Auch ich bin Leben,
Ein Märchen sprachen sie: der Tod sei in der Welt.
Ich bin das Ewige im Spiel der Formen, die Vollendung weben,
Dem Einen nahe, das den Sinn in Händen hält.
Ich bin der Wanderer, der überwand die tiefsten Wunden,
Und wer mich fand, der hat den Schoß der Welt gefunden.
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Pfade zur Welt
Wir leben fremd den lauten Dingen,
Die um die Menge fiebernd kreisen,
Wir wandern in den stilleren Geleisen
Und lauschen dem Verborgnen, dem Geringen.
Wir sind dem letzten Regentropfen hingegeben,
Den Farbentupfer rundgeschliffner Kieselsteine,
Ein guter Blick des Wächters auslöscht das Gemeine,
Wir fühlen noch im rohen Worte brüderliches Leben.
Ein Grashalm offenbart des Kosmos reiche Fülle,
Die welke Blume rührt uns wie ein krankes Kind,
Der bunte Kot der Vögel ist nur eine Hülle
Des namenlosen Alls, dem wir verwoben sind.
Ein Wind weht menschlich Lachen aus der Ferne,
Und uns berauscht die hymnische Musik der Sterne.
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