Sonett-Forum
Lieder eines Pessimisten - Druckversion

+- Sonett-Forum (https://sonett-archiv.com/forum)
+-- Forum: Sonett-Archiv (https://sonett-archiv.com/forum/forumdisplay.php?fid=126)
+--- Forum: Sonette aus germanischen Sprachen (https://sonett-archiv.com/forum/forumdisplay.php?fid=394)
+---- Forum: Deutsche Sonette (https://sonett-archiv.com/forum/forumdisplay.php?fid=398)
+----- Forum: Autoren R (https://sonett-archiv.com/forum/forumdisplay.php?fid=631)
+------ Forum: Emil Rittershaus (https://sonett-archiv.com/forum/forumdisplay.php?fid=739)
+------ Thema: Lieder eines Pessimisten (/showthread.php?tid=32230)



Lieder eines Pessimisten - ZaunköniG - 18.06.2024

Lieder eines Pessimisten

I.


Ich hör’ nach Gold die Schaar der Krämer fragen,
Und jener ringt nach Ruhm und hohen Ehren.
Der Denker dringt in aller Weisheit Lehren
Und Segen, hofft er, soll sein Streben tragen.

Der Träumer klebt am Tande alter Sagen
Und will dem Denken jedes Recht verwehren;
Ein Jeder sucht den Andern zu bekehren,
Doch „Frieden“ heißt das Ziel, wonach wir jagen. –

O Welt, Cleopatra, du falsches Weib!
Im Wein der Lust zerging die Perle Frieden;
Das Glück der Erde ist ein kurzer Rausch!

Tod gegen Leben, ist’s ein schlechter Tausch? –
Ich wollt’, der Pfaffe säng’: „Begrabt den Leib!“
Und ich wär’ todt und von der Welt geschieden.

.


RE: Lieder eines Pessimisten - ZaunköniG - 09.02.2025

II.

Die Welt ist schön und blumenreich das Leben!
O, wirf sie weg, die düstern Schmerzgedanken!
Es bricht der Herbst wohl tausend Blüthenranken,
Doch wird der Lenz dir tausend and’re geben.

Noch giebt es Weiberlippen, giebt es Reben,
An denen volle, saft’ge Trauben schwanken.
Ein böser Dämon treibt mich armen Kranken
Den Sang der Klagen weinend zu erheben! –

Sei freudig, doch bedenke: Nicht zu tief
Laß deinen Blick in’s Meer herniedergleiten,
Das man die Welt, das man die Menschheit nennt.

Im Spiegel trägt’s des Himmels blaue Weiten,
Doch giebt der Freude bald den Scheidebrief,
weß Aug’ im Grund den kahlen Fels erkennt.


.


RE: Lieder eines Pessimisten - ZaunköniG - 21.02.2025

III.

Vor’m Tode sollst du Keinen glücklich preisen!
So hat’s geklungen einst von Solons Munde.
Man weiß nicht, was da bringt die nächste Stunde,
So deuten sie den Spruch des großen Weisen.

Es läßt der Gram, der Schmerz die Locken greisen. –
Als glücklich preis’ im kalten Grabesgrunde
Die Leichen, denn sie geben keine Kunde,
Nicht Widerspruch in der Lebend’gen Kreisen!

Wem hat das Glück en reinen Kelch geboten?
Wem ward sein schönstes Träumen je zur Wahrheit?
Es lügt der Hoffnung holder Rosenschimmer!

Habt je ihr in des Glücks vollkommener Klarheit
Gelebt nur eine Stunde? frag’ die Todten!
Die Schädel grinsen, sprächen gerne: „Nimmer!“


.