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Der Verlorenen (3) - Druckversion

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Der Verlorenen (3) - ZaunköniG - 14.01.2025

Der Verlorenen


I.

Von prächt’gen Stästen geht verjährte Kunde,
Die einst die Wellen über Nacht verschlangwen;
Die Gassen sieht man noch, die breiten, langen,
Sieht Schloß und Tempel schimmern aus dem Grunde.

Auch war’s dem Schiffer oft in nächt’ger Stunde,
Als ob die Glocken aus der Tiefe klangen,
Als ob melodisch ferne Stimmen sangen
Geheime Lieder aus geheimem Munde.

Ach, Glück und Liebe sind die Herrlichkeiten,
Mein Herz das Meer, darin sie untergingen,
Kein Taucher bringt, was dort versank, mir wieder.

Ich träum’ und singe von vergang’nen Zeiten,
Der Schiffer weiß nicht, was die Glocken klingen,
Und Niemand, ach! verstehet meine Lieder.


II.

Papyrusrollen, Schriften alter Zeiten,
Hat man gegraben aus Pompeji’s Grund,
Von Purpur einst und blankem Golde bunt,
Jetzt aschenfarb, mühselig auszubreiten.

Vergebens netzt man die erlosch’nen Seiten,
Mit Kunst zu lösen ihren todten Mund;
Sie bleiben stumm, kein Zeugniß wird uns kund
Von jener Vorzeit stolzen Herrlichkeiten.

Ein Blatt nur mein! ein einziges, zerknittert,
Unscheinbar, gelb, ein schlechtes Blatt Papier;
Sie aber hat, sie selbst, es mir geschrieben!

Und wenn auf’s Blatt die Thräne niederzittert,
Wird lesbar wieder jede Silbe mir
Und wieder blüht mein Glück mir und ihr Lieben.
 

III.

Ob ich dir zürne? – Zürnt man auch dem Mai,
Dem köstlichen, da alle Quellen sprangen,
Aus jedem Laub die muntern Vcögel sangen,
Daß er uns, ach! zu schnell entschwunden sei?

So warst auch du, so hell und wolkenfrei,
In deiner Schönheit maienhaften Prangen
An meinem Himmel einst mir aufgegangen;
Wie zürnt’ ich jetzt? Der Frühling ist vorbei.

Und wie der Hirt, wenn Winterstürme wüthen,
Sich Lieder reimt von der vergang’nen Lust
Und fröhlich hofft auf neue Blüthenzeiten:

So will auch ich das Angedenken hüten
An jenen Frühling in getreuer Brust: -
Nur hoffen kann ich freilich keinen zweiten.