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Die Nacht der Gnaden - ZaunköniG - 23.02.2024 Die Nacht der Gnaden Ein Reigen Sonette I. Ein schwarzer Flor umkränzte die Gelände. Wie Boote segelten am Himmelsmeer Die letzten lauen Abendwolken her Und gossen Schattenschleier um die Wände. Das Zimmer dunkelte. Die heißen Hände Der beiden lagen willenlos und schwer In ihrem Schoß und suchten sich nicht mehr. Die leeren Worte waren längst zu Ende. Sie bebten beide. Und ein Schweigen kam Mit banger Schwüle. Er hielt sie umfangen Und flehte ohne Wort: "Sei mein! Sei mein!" Sie zitterte. Die Blüte junger Scham Wuchs purpurn über ihre blassen Wangen, Und Tränen stammelten: "Es darf nicht sein." RE: Die Nacht der Gnaden 2 - ZaunköniG - 08.07.2024 II. Da ließ er sie: "Ich will dich nicht betören. Sei du nur mein, wenn du es längst schon bist. Nicht eine Gabe sollst du mir gewähren, Gib mir nur das, was lang mein eigen ist. Sei mein, so wie sich mit den Sternenchören Der Himmel flutend in die Nacht ergießt, Und Seligkeiten werden uns gehören, Durch die der Strom der Ewigkeiten fließt. Willst du den Kelch der Sünde nicht nur nippen Und ganz dein Sein an eine Nacht verschwenden, So wird bis an die Grenze deiner Tage Ein Leuchten sprühn von ungeahnten Bränden Aus dieser Nacht!" - Wie eine bange Klage Umfing ein zartes Lächeln ihre Lippen: RE: Die Nacht der Gnaden 3 - ZaunköniG - 14.07.2024 III. "Was alle andern Schmach und Sünde nennen, Wär mir ein Pfad zu lichten Seligkeiten, Wenn nur auf meinem Mund, dem schmerzgeweihten, Die roten Male deiner Küsse brennen. Doch du bist Horcher in die Ewigkeiten, Von denen mich die dunklen Wolken trennen. Mich ließ nur Sehnsucht meine Jugend kennen Und nicht die Träume, die zum Lichte leiten. Drum will ich mich nicht deinem Willen senken, Ob auch ein jeder Puls in meinen Gliedern Mit seiner Sehnsucht dir schon angehört. Ich bin zu arm, dir Liebe zu erwidern, Und bin zu stolz, um Armut zu verschenken, Denn sieh: Ich weiß, ich bin nicht deiner wert!" RE: Die Nacht der Gnaden 4 - ZaunköniG - 16.07.2024 IV. Da sprach er sanft - und wie von Orgeldröhnen War seine Stimme wundersam bewegt -: "Wer so wie du den Glanz der Güte trägt, Ist auserwählt, ein Leben licht zu krönen. Oh fühlst du nicht, wie in verwandten Tönen In uns der rasche Takt des Blutes schlägt Und wilde Flamme in der Tiefe regt, Um sich in unserm Einklang zu versöhnen? Ich glüh in dir, du glühst in meinem Leben, Zu neuer Einheit drängt dein junger Schoß Und will den Ewigkeiten sich vermählen. Sei mein! Erst wenn uns übermächtig groß Die Schauer eigner Schöpfungslust durchbeben, Rauscht eine Welt in unsern freien Seelen." RE: Die Nacht der Gnaden 5 - ZaunköniG - 05.08.2024 V. So sprach er glühend. Und sie beide standen Im Bann des Blutes, wortlos wie verzagte Verlorne Pilger nah den lichten Landen, Wo schon das Frührot der Erfüllung tagte. Dann kam ein Seufzen ... als ob Weinen klagte ... Ein Knistern wie von sinkenden Gewanden ... Ein banger Ruf ... Und als sein Auge fragte, Ob sie der Sehnsucht wildes Wort verstanden, Ward jählings Glanz in seinen Blick getragen, Wie Glanz von Firnen ... Aus dem Dunkel blühte Gleich einer Lilie schlank und nackt ihr Leib. Da schwieg sein Herz. Er wußte nicht zu sagen, Wie ein Gebet durchdrang ihn ihre Güte, Und diese Nacht ward sie ihm Gott und Weib. RE: Die Nacht der Gnaden 6 - ZaunköniG - 11.08.2024 VI. Ihm aber war in dieser Nacht der Gnaden, Als fühlte er die Welt zum erstenmal. Er sah die Sterne auf beglänzten Pfaden Wie Boten wandeln durch den Himmelssaal, Sah weit das Leuchten über den Gestaden, Der Morgenröte purpurblassen Strahl, Fühlte die Winde, wie sie duftbeladen Sich wiegten in den Wipfeln ohne Zahl, Sah Frucht und Blüte über den Geländen Und Saat und Segen. Erst in dieser Nacht Ward ihm das Wunder aller Schöpfung wahr. Und wie ein Kind, das in die Welt erwacht, Nahm er aus diesen milden Frauenhänden Die neue Pracht, die längst sein eigen war. |