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Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Anhaltelager Wie vieles andre hat man die Erfindung dem Inventar des Krieges abgeguckt: Barackenstadt, die Tausende verschluckt, umzäunt von Stacheldraht, der in Verbindung mit scharfem Wachdienst und so mancher Mündung von Schießmaschinen, da und dort geduckt, dafür zu sorgen hat daß keiner muckt, der Bürger ward in dieser saubern Gründung. Doch werden Menschen hierzuland nicht so wie anderwärts in Lagern konzentriert; das Wort ist undeutsch, die Bedeutung roh. Hier hält man an. Das Substantiv verliert den harten Klang. es gibt sich walzerfroh. Hier ist man - in der Sprache - kultiviert. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Bescheid Im Lauf der nächsten Tage ward die Runde, die hier der Willkür Wind zusammenblies, allmählich abgebaut. Aufruf entriß jetzt den, dann jenen dem vertrauten Bunde. Zu welchem Zweck, aus welchem weisen Grunde man übersiedelte, blieb ungewiß; doch schlug für jeden nach der Finsternis der Ungewißheit die Erlösungsstunde. So auch für dich. Wirst du vielleicht befreit? Hat dich geheime Hoffnung nicht betrogen? Du kriegst es schwarz auf weiß. Es heißt Bescheid und ist ist im Grund von A bis Z erlogen. Anhaltelager. Unbestimmte Zeit. Wohlan, du hast das schwarze Los gezogen. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Zusammenbruch War es die Qual des Abschieds von den Deinen? Ließ des Bescheides ungerechter Spruch dir augenblicklich deines Lebens Buch besudelt, wenn nicht gar zerstört erscheinen? Wie kam es über dich? Du mußtest weinen und schämtest dich zugleich: Zusammenbruch! Tränen der Wut! Und jede ward zum Fluch: Das alles büßt ihr noch, ihr großen Kleinen! Nicht dieser Tränen, nein, der Tränen all vereinter Strom, geweint in Zornesschwäche von Ungezählten; nicht ein einzelfall, nein, aller Fälle Fluchgemeinschaft räche, was ihr verbracht, daß eurer Lügen Wall im Sturm der Wahrheit bald zusammenbreche! RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Verladung Verliere nicht vor lauter Zorn den Faden! Sentimentalität ist fehl am Ort. Kein Wort zuviel, zuwenig auch kein Wort! Gefühlsverwirrung kann der Sache schaden. Im Hofe werden wir wie Vieh verladen; zwei große Grüne bilden den Transport. So führt man Menschenfracht beliebig fort in einem Staat des Rechts von Gottes Gnaden. Der Kasten ist aufs Höchstmaß vollgepfropft. Schwül drückt die Luft. Man quetscht sich auf den Bänken. Nun wird noch Polizei hereingestopft, den Schandarrest zu sichern und zu lenken. Dann geht es los. Du hast genug geklopft, empörtes Herz! Jetzt heißt es ruhig denken RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Reise Die Außenwelt ist nur durch schmale Schlitze vom Innern des Gefährtes zu erspähen. Um lang schon nicht Gesehenes zu sehen, genügt's. Du lüftest dich von deinem Sitze. Bekannte Straßen. Des Verkehrs Geblitze wirkt relativ. Doch Leute bleiben stehen. Die einen packt das rollende Geschehen, die andern, scheint es, reißen lachend Witze. Dann Vorstadt, Land. weingärten, Wälder, Hügel im Kleid des Frühlings. Trotz Benzingestank läßt du der losen Phantasie die Zügel leichtfertig schießen. Und sie weiß dir Dank: verhaltnen Lebenswünschen leiht sie Flügel; du fühlst, daß deine Welt noch nicht versank. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Ankunft So hatte diese Reise Augenblicke, wo du dahinfuhrst wie mit Sonnenpferden. Sind Augenblicke alles nicht auf erden? Wer sie verbindet, weiß den Weg zum Glücke. Doch liebt es des Objekts berühmte Tücke, jedweden Aufschwung boshaft zu gefährden: in solcher Luft kann einem übel werden noch auf des langen Weges letztem Stücke. Ein Gott hat wieder zeitgerecht Erbarmen. Der Heinrich hält im Reich des Stacheldrahtes, der Heimwehr, der Soldaten und Gendarmen. Die sogenannten Feinde dieses Staates sind sicher hier in seinen starken Armen: es ist die Sammelstadt des Hochverrates. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Quartier Man übergibt dich wie die Katz' im Sacke; so Mann für Mann, daß keiner sich verliert. Gewissenhaftest wirst du registriert als Pensionär in selbiger Baracke, Zahl achtzigvier, zugleich samt deinem Packe zum x plus erstenmale visitiert und schließlich im Saal zwanzig einquartiert. Es ist ein Saal, im trefflichen Geschmacke der Mannschaftszimmer wohnlich eingerichtet: für jeden Gast ein eisern Kavallett mit Strohsack; Deck' und Polster schön geschlichtet und ober jedes Gastes Kopf ein Brett. Eintretend fühlst du: diese Umwelt dichtet sich selbst. Sie rundet mühlos ein Sonett. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Willkommen Mit Unrecht warst du eben noch beklommen; ein Lagerleben in Gemeinsamkeit, so bangte deine Selbstversonnenheit, vermöchte deinem Schaffen nicht zu frommen. Wie herzlich aber heißt man dich willkommen! Wie teilnahmsvoll, wie freudig-hilfsbereit in freier Freundschaft, deren Gruß befreit, wirst du von Unbekannten aufgenommen! Es sind Genossen aus verschiednen Sphären, die gleichen Schicksals Unbill her verschlug, prächtige Menschen, die sich tapfer wehren, so Schweres auch ein jeder trägt und trug. O könnte dein Gedicht sie dauernd ehren! Es wäre doch des Dankes nie genug. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Lagerleben Das Leben hier - es liegt in der Natur der Zähmung und Betreuung solcher Massen - verläuft, um dreimaliges Futterfassen sich ordnend, militärisch, nach der Uhr. Spaziergang macht es leichter, der Klausur umdrahteten Bereichs sich anzupassen. Fünf Stunden täglich wird man losgelassen. Zwar zieht ein mäßig breiter Sandstreif nur längs dreier Seiten der Baracke hin und muß als Auslauf Hunderten genügen; doch hat man Sonne, sieht die Wolken fliehn, genießt die Heideluft in vollen Zügen, denkt schaudernd der Gefangenschaft in Wien und sucht mit Spiel und Sport sich zu vergnügen. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 In memoriam Das Lager war zur Zeit des Kriegs Fabrik. Hier ward in Schicht um Schicht bei Tag und Nacht von Hungerleidern Munition gemacht. Noch fesseln Riesenrauchfänge den Blick; Ruinen künden gräßliches Geschick von Ahnungslosen, fern von Front und Schlacht in einer Mausefalle umgebracht. Ein Augenzeuge ruft das Bild zurück und wer ihn hört, wird es zeitlebens schauen: Brand, explosion, Geschrei, Panik, Gedränge, die Ausgänge versperrt, verkeilte Frauen, ein Flammenmeer in unnahbarer Enge, Rettung unmöglich, nie erlebtes Grauen, verkohlter Leiber unzählbare Menge. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Ruinen Nun sieht man am benachbarten Objekt nur mehr das Fundament des Wandgemäuers und Schutt im Innern, von der Gier des Feuers an jenem Schreckenstag umsonst beleckt. Genügsam Gras und Unkraut überdeckt mit Grün und Buntheit schnellgewebten Schleiers dies Ehrenmal des Kriegs, des Ungeheuers; zahllos sind Königskerzen angesteckt. Das Rechteck ist von Sonne grell beschienen, doch bleibt dein Herz in Friedhofsstimmung schwer. Die Szene könnte der Verheißung dienen an Kind und Kindeskinder: Nimmermehr! Indessen patrouilliert auf den Ruinen ein Drahtbewachungsposten mit Gewehr. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Erholung Die Körper nur betrachtend, mußt du staunen, wie du die Menschen sich erholen siehst. Der müd und bleich Gekommene genießt halbnackend Luft und Licht trotz Wetters Launen und zählt in kurzem zu den Frischen, Braunen. Doch irrst du, wenn du aus den Körpern schließt, daß in den Seelen auch Erholung sprießt. Von Saal zu Saal verbreitet sich ein Raunen, unheimlich-heimlich, ungewollt-gewollt; oft denkst du an ein unheilkündend Beben, das in des erdengrundes Werkstatt rollt; dann wird es deutlicher, ein Widerstreben gequälter Ohnmacht, die den Quälern grollt: ein Leben ohne Freiheit ist kein Leben. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Landschaft und Verzweiflung Denn nicht nur tröstend wirkt der Blick ins Weite. Wenn Sehnsucht in die blauen Berge steigt, in Wäldern wandert, hügelab geneigt, und sich verliert in ebenem Gebreite, Befreiung aber winkt von keiner Seite, vielmehr Gewalt die scharfen Zähne zeigt und auf das Fragewort: wie lange? schweigt: dann reizt die freie Landschaft auf zum Streite. Wieviel hat jeder seelisch schon getragen! So mancher auch verlor erwerb und Brot, sieht seiner Arbeit ehrlich Glück zerschlagen und ahnt verzweifelt seiner Lieben Not. Verzweiflung führt zu plötzlichem Verzagen und scheut den letzten Ausweg nicht: den Tod. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Der Tod geht um Ein erster sucht mit schnellem Aderschnitt dem unerwünschten Dasein zu entrinnen. Er wird entdeckt und muß es neu beginnen; Blutspender fahren gleich zur Rettung mit. Ein anderer studiert den letzten Schritt sich besser aus, um Freiheit zu gewinnen, erhängt sich im Klosett und ist von hinnen, mit seinen unfaßbaren Henkern quitt. Der Leichnam wird durch ein Spaliert getragen. Erhobne Fäuste bieten ernst und stumm den Abschiedsgruß und feuchte Augen fragen: Warum dies neue Opfer? Kanzleramt, warum? Dann noch ein Lied. Und niemand kann es wagen, das Lied zu stören; denn der Tod geht um. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Forderung und Versprechen Es war nicht länger tragbar. Auch Gewalt muß sich begrenzen oder fällt in Flammen des eignen Übermaßes früh zusammen. Schlauheit verhandelt und erkennt es bald für falsch, zu unbegrenztem Aufenthalt in solchem Fegefeuer zu verdammen; und mag aus ihm die Forderung auch stammen, sie wird erwogen und gewinnt Gestalt: Die Anhaltung im Lager wird so schnell als irgend möglich jedem terminiert. Wie das? Natürlich individuell. Wer weiß, was dies Versprechen noch gebiert! Doch augenblicklich scheint der Himmel hell, weil sich der Mensch in Hoffnung gern verliert. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Termin Auch Schwerstes läßt sich leichter überwinden, wenn eine feste Frist ihm Grenzen setzt. Du siehst das Dann und weißt dich mit dem Jetzt und seinen Bitternissen abzufinden. Nicht mehr im Dunkel tappst du wie die Blinden; der sichre Tag, ob fern auch, kommt zuletzt, an dem die Furien, die dich gehetzt, im Abgrund der Vergangenheit verschwinden. So dachtest du. So denken alle wohl; denn keiner kann dem Eindruck sich entziehn. Gespräch umkreist den neuen Rätselpol und allzuleicht nur gibt sich Hoffnung hin, obschon auch Zweifel, zögernd, das Idol von Wöllersdorf entgöttern: den Termin. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Die Listen Und eines Tages werden an den Türen die Listen der Termine angeschlagen und jeder hört und liest und muß es tragen, wie viele Monde hier ihm noch gebühren - mit Vorbehalt, sich keinesfalls zu rühren; sonst packte Fürsicht kräftiger beim kragen. Je nun, man rechnet um und zählt nach Tagen; es gruselt einen, so die Zeit zu spüren. Gestohlen ist doch jegliche Sekunde von nackter Willkür, wider alles Recht! Besannt ihr euch? Erschrakt ihr ob der Kunde, wohin ihr treibt, und lenkt nun ein? Versprecht Termine? Lauert nicht im Hintergrunde des Worts die Absicht schon, daß ihr es brecht? RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 08.03.2014 Zwei Monate Persönlich könntest du mit deiner Frist - zwanzigster Juli - ganz zufrieden sein. Zwei Monate. Das Maß ist eher klein, wenn du dein Ungemach am Durchschnitt mißt. Bedenke nur und sei kein Egoist: so mancher bleibt bis in den Herbst hinein und länger noch und findet sich darein, weil endlich doch ein Ende sichtbar ist. In solcher Unterscheidung liegt System. Mag man die Fristen für das Mittel halten, Männer, die dem und jenem nicht genehm, nach Staatsräson beliebig auszuschalten, so scheint man auch zu hoffen - wie bequem und dumm zugleich! - man werde Eintracht spalten. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 09.03.2014 Neid Wohl wird ein jeder, der von hinnen scheidet und das Gehege dieses Drahtarrestes verlassen kann, um aller Wesen Bestes, die goldne Freiheit, allgemein beneidet; doch keine Miene trübt, kein Wort verleidet dem Glücklichen die Freude seines Festes, denn dies Gefühl - die Sache nur erpreßt es - es ist kein Neid, des Häßlichen entkleidet. Es ist ein Neid, der keine mißgunst kennt, nicht im Persönlichen verhaftet ist; es ist ein neid, der Freude freudig gönnt und nicht an fremder Freude freudlos frißt; es ist ein Neid, der rein und läuternd brennt, bis ob des Bruders du dich selbst vergißt. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 09.03.2014 Jenseits des Drahtes Das Lager ist zwar luftdicht abgedichtet, doch funktioniert die Dichtung nicht so gut, daß man nicht wüßte, was sich draußen tut: im großen ist man immer unterrichtet. Die Roten sind noch lange nicht vernichtet, den Braunen wächst mit jedem Tag der Mut, die Schwarzen retten sich in Auslands Hut, von Rom gehalten und von Rom verpflichtet. Die Kerker sind mit mehr als tausend Jahren vollauf versorgt; ein Spruch wie "lebenslänglich" gehört schon zum alltäglichen Gebaren; ein Christentum, in Sanftmut überschwenglich, organisiert sich neue Söldnerscharen und hält des Hasses Werk für unvergänglich. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 09.03.2014 Zuwachs Das Lager auch, statt langsam sich zu leeren, wird täglich voller; Zuwachs überwiegt weitaus den Abgang, der oft ganz versiegt. Wenn sich die Gäste solchermaßen mehren, wer könnte des Gefühls sich noch erwehren, daß draußen alles sehr im Argen liegt? Muß nicht Gewalt, die doch nicht bricht noch biegt, ihr eigenstes System bankrott erklären? Gedenkt man Hunderttausende zu beugen, indem man Tausende zusammenfängt? Vermeint man einen nur zu überzeugen, den man in solchen Zwanges Jacke zwängt? Wirkt Freiheit, bringt man draußen sie zum Schweigen, nicht angehalten weiter, als man denkt? RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 09.03.2014 Barometer Tag folgt auf Tag und Woche schleicht zu Wochen. Man lernt erzwingen, daß die Zeit vergeht, treibt Sprachen, liest. Was in der Zeitung steht - und sei es nichts - wird kritisch durchgesprochen; bald sucht man in entschwundenen Epochen darüber Aufschluß, wie die Welt sich dreht, ruft Heureka und fühlt sich als Prophet; dann wieder fragt man, was die Köche kochen - und für wie viele, denn des Lagers Stand, die Zahl der esser, ist als Barometer politischen Gewitters interessant. Der Zeiger zeigt es: früher oder später kommt wieder Sturmwind. Schwüle drückt das Land. O Lüfte, schnellbeschwingt! O heiliger Äther! RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 13.03.2014 Ergebnisse So weit schon hat es Diktatur gebracht, so herrlich weit, daß dieses Landes Leid, daß seiner Knechtschaft Qual zum Himmel schreit und in Verzweiflungstaten Luft sich macht. Der Böller hat das Wort, Petarde kracht, der Fremde fühlt sich nirgends mehr gefeit noch auch der Heimische, der gern befreit vom Nachbar wäre, der ihn überwacht. Demokratie ist tot, Parteien starben; an ihrer Stelle bläht sich eine Front, die mehr verdirbt, als jene je verdarben, die noch in Freiheit rühren sich gekonnt. Im Lager freilich trennt man streng die Farben: hie rot, hie braun - vom gleichen Licht besonnt. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 13.03.2014 Besuch Besuche sind im Lagerleben selten; bewilligt sie doch nur das höchste Amt, aus dessen Geist der ganze Vormärz stammt. Man fürchtet die Berührung zweier Welten und läßt dafür die strengste Vorschrift gelten. O daß zur Freude, die Besuch entflammt, nicht Zorn, der würdelose Form verdammt, und Scham im Grund der Seele sich gesellten! An eines Manschaftstisches einem Ende placiert man dich, am anderen die Deinen. Dazwischen ein Gendarm, daß nicht ein Wort, ein heimliches, den Weg herüberfände... Wär' deine Frist nicht nah, du könntest weinen. So lachst du: noch zwölf Tage und dann fort! RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 14.03.2014 Zehn Minuten Die Sprechzeit ist auch hier mit zehn Minuten grausam begrenzt, der Reise ungeachtet. So lebt sich Rachgier aus. Sadismus trachtet Wehrlosen Untragbares zuzumuten. Doch hat noch keiner sich die Lust der Ruten straflos, wie Überhebung hofft, gepachtet; wer lächelnd schlachtete, der ward geschlachtet; wer leichthin bluten ließ, der mußte bluten. Hinweg, Gedanken! In der Liebsten Nähe ist nur für freudige Gefühle Raum; denn ob die letzte schmerzlich auch vergehe der zehn Minuten, künftig zählt es kaum: zwölf Tage noch, dann endet alles Wehe, grüngolden wieder schimmert unser Baum. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 14.03.2014 Die Uhr Wer nie Gefangenschaft am eignen Leib erlebte, Tag für Tag nicht Tage zählte; wer nie vergittert Seel' und Sinne quälte mit ungestilltem Wunsch nach Welt und Weib; wer nie im Banne des Gebotes "Bleib'!" - weil jede Möglichkeit des Fliehens fehlte - gehorchend die geschwächten Nerven stählte: der dächte wohl, sie sei nur Zeitvertreib. Doch ist sie mehr, die Pappendeckeluhr, die sich ein Grüppchen gleicher Frist ersann. Rückt auch der Zeiger jeden Abend nur ein Strichlein vor, weil Zeit nicht lügen kann, vom Zifferblatt erhält die Kreatur genaue Antwort auf die Frage: Wann? RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Kampf mit der Zeit Solch eine Uhr des Trostes hast auch du in deinem Herzen heimlich aufgehängt und drehst den Zeiger, eh' dich Schlaf umfängt, ein Strichlein weiter, deinem Datum zu. Du sündigst; denn vergangen ist im Nu die ganze Frist, die dir das Leben schenkt. Ein Tor nur, nur ein Undankbarer drängt die Zeit aus ihres Fließens gleicher Ruh'. Für draußen sind es treffliche Gesetze, daß du im Schaffen oder Schauen glühtest, den Augenblick zu halten, und die Schätze, die jeder birgt, zu heben dich bemühtest. Hier brauchst du jene Uhr, daß du im Netze nicht gegen festes Seilwerk sinnlos wütest. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Dein Tag Dein Tag ist da, der mondelang ersehnte, dein letzter und dein wieder erster Tag, der dich erlösen soll mit einem Schlag aus Seelenqual, die endlos schier sich dehnte. Viel schöner noch, als Hoffnung jemals wähnte, so schön, daß Freunde zitternd nur und zag den Zauber seines Kommens fassen mag - es fehlte bloß, daß ihn Versöhnung krönte: so schön ist dieser Tag. Sein Licht verklärt sogar die Mißgestalten der Baracken; doch ein Gedanke, ein Gefühl erschwert den Abschied, den du nimmst von Saal zu Saal: warum nicht alle? Auch beim Kofferpacken verfolgt es dich und noch beim Mittagsmahl. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Aufruf Nun heißt es warten, da sich die Zentrale den Aufruf zur Entlassung vorbehielt. Es könnte sein, daß Niedertracht empfihlt, zu zögern mit der vollen Gnadenschale, ein Opfer weiter noch am Marterpfahle zu quälen, weil darnach noch Rachlust zielt, die unbedenklich Zeit und Freiheit stiehlt. Unruhig gehst du auf und ab im Saale. Doch nein! Was dachtest du? Du hörst zwei Namen, darunter deinen, rufen. Der Gendarm freut sich mit uns und alle sagen Amen, die Uhr ist um, vergessen aller Harm. Das Leben dichtet einem manche Dramen, doch ward im Herzen selten dir so warm. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Verlängerung Dem Freudeboten folgt im Augenblick, da du zum Gehn, den Koffer in der Hand, dich anschickst, der Baracke Kommandant. Schon seine Miene weissagt wenig Glück. Er fühlt wohl selbst, es ist ein starkes Stück: die beiden Namen wurden zwar genannt, doch nur, weil man auf neue Frist erkannt. Erster August. Kein Spaß. Es heißt: zurück! Kein Spaß. Zwölf Tage länger noch gefangen. Doch dieser Wortbruch sei euch nie verziehn! Du siehst die Deinen noch in Freude bangen... Dann solche Post... Und ist Termin Termin...? Zornröte steigt dir flammend in die wangen... Du haust den Koffer um die Erde hin... RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Zorn Was hilft dein Zorn? Es kann der Sache schaden, wenn so die volle Schale überschäumt. Laß lieber, wenn dein Flügelroß sich bäumt, die Überkraft in Versen sich entladen! Nicht du bist schuld, daß wieder du den Faden des bösen Traumes, den du ausgeträumt schon wähntest, fortspinnst. Auf denn! Nicht gesäumt! Zorn ist ein Recht des Starken, des Geraden. Doch sei das Ziel des Zornes nicht persönlich; er halte sich auch fürderhin ans ganze System der Freiheitsmörder; unversöhnlich, bewaffnet mit der Wahrheit starker Lanze, so spiel' er furchtlos, edlem Vorbild ähnlich, der Schande des Jahrhunderts auf zum Tanze! RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Angst Es kann auch sein, daß nicht nur Rachelust die Strafe der Verlängerung verhängte, vielmehr darein sich ein Gefühlchen mengte, das heimlich wohnt in jeder Heldenbrust. Man munkelt schon: beginnt nicht der August mit einem Lostag, der die kriegsbedrängte Menschheit mit Umsturzbotschaft stets beschenkte? Weltfriedenstag! Da regt sich schuldbewußt das Weltgewissen. Weltangst lebt sich aus in tausend Ängsten und mit tausend Listen spürt Staatsgewalt in ihrem Kartenhaus die Sündenböcke auf, die Kommunisten, spielt überhaupt ein bißchen Katz' und Maus, visiert nach Geiseln und - verlängert Fristen. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 25. Juli Gerücht springt auf, bezweifelt und geglaubt wie sonst Gerüchte. Tat des Äthers Mund, der wohlbewachte, dies auch wirklich kund? Der große Kleine sei der Macht beraubt, der Steirerkönig der Regierung Haupt! Und später dann: das Opfer todeswund; noch später: tot. Die anderen gesund und obenauf, so schlimm es ringsum staubt. Was nun des schwergeprüften Volkes harrt? Kaum Gutes. Mord hat selten noch befreit. Der Tote war der Freiheit Widerpart, doch tut der Leidensmensch dem Menschen leid. Verhimmelung und Fluch der Gegenwart verwebt zu reifem Urteil erst die Zeit. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Urständ Die Saat geht auf. Mord wird mit Mord vergütet. Der Kriege schlimmster tobt von Tal zu Tal; denn zehnfach zählt der teuren Opfer Zahl, wenn Heimat wider Heimat feindlich wütet. Furchtbar Gericht und Recht wird ausgebrütet. Die wahllos Herrschenden schreckt keine Wahl; sie wissen doch ihr staatlich Ideal von marschbereiter fremder Macht behütet. So wird der Galgen wieder Urständ feiern samt allen Schrecken aus dem Februar. Doch mag auch Diktatur ihr Sprüchlein leiern: das Vaterland, das Volk ist in Gefahr - sie kann ihr Antlitz dauernd nicht verschleiern; Geschichte malt es, wie es wirklich war. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 August Gewöhnlich wird ein Putsch nicht angesagt. So ging der Lostag ruhig auch vorüber und andre Tage folgten, trüb und trüber, je weiter so der deine sich vertagt. An deinem schwer enttäuschten Herzen nagt der Ungewißheit Wurm. Dir wäre lieber - und gingen dir darob die Augen über - man sagte, was man dir zu bieten wagt. Gemach! Vergeude nicht des Motors Kraft! Der Kluge fühlt durch Boshaft sich erheitert. Wär's nur so traurig nicht, wie fieberhaft man diese Stadt für Tausende erweitert, Scheinwerfer und MGs auf Dächer schafft und Hindernisse kriegsgemäß verbreitert! RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Umgruppierung Das Lager wird - wie sagt das Zauberwort des Weltkriegs? - umgruppiert. Im Handumdrehen, nach Farben, Hokuspokus, soll's geschehen; Befehl - und Nord ist Süd und Süd ist Nord. Nur schnell gepackt! Doch geht es lang nicht fort und lang auch heißt es dann im Regen stehen: man zählt; denn keiner darf verloren gehen. Komplett! Mißmutig rückt der Zug vom Ort. So werden Menschen hin und her getrieben! Wie schwer schleppt mancher sein nomadisch Gut und trüg es leicht doch heim zu seinen Lieben! Ein traurig Bild! Rebellisch ruft dein Blut: ein schmachvoll Bild! Behalt' es eingeschrieben in Herz und Hirn für deiner Verse Wut! RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Neues Heim Die neue Unterkunft ist schlechter nicht, doch wahrlich auch nicht besser als die alte. Zum Glücke fällt bei solchem Aufenthalte ein Plus und Minus wenig ins Gewicht, weil es am Lebensnötigsten gebricht; denn wie man auch sein Wohnloch ausgestalte, es bleibt - so spricht die Faust, die zorngeballte - ein Gitterkäfig ohne Luft und Licht. in kleinen Kammern haust man, meist zu viert, trägt auf Signal durch finstren Ganges Schlauch den Blechnapf hin zur Füllung und verliert nicht seine Zeit nur, sondern nützt sie auch - am besten wohl, indem man viel spaziert; sind vor dem neuen Heim doch Baum und Strauch. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Entlassungen Der Abgang aus dem drahtumhegten Reiche war nur vorübergehend allgemein gedrosselt. Da die Luft nun wieder rein, zumindest reiner draußen im Vergleiche zur Zeit des Erbschaftsantritts nach der Leiche, und - mag es auch des Friedhofs Ruhe sein - doch Ruhe herrscht, gibt Härte sich den Schein, als ob sie milderen Gefühlen weiche. So wird der eine fristgemäß entlassen; der andre, schon um seine Frist gebracht, nachträglich; früher noch, als er gedacht, ein dritter; wen jedoch die Götter hassen wie dich, mit dem wird kurz Prozeß gemacht: du kommst nicht vor September in Betracht. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Ad calendas graecas Erlösung, ach! wie oft schon nah geglaubt, ist ad calendas graecas nun verschoben, zu Nichts der schon bescheidne Traum zerstoben, du bliebst der Freiheit nur mehr halb beraubt, bewegtest dich, soweit es dir erlaubt, Verbot befolgend, sei es auch verschroben, und fühltest deine Kräfte neu gehoben, das Schwert vergessend über deinem Haupt. Und einen Himmel fühltest du dir offen und warst in diesem Himmel nicht allein: so bist du doppelt schmerzlich nun getroffen. Doch mag auch doppelt schwer das Schwere sein, nicht mehr auf irgendeine Frist zu hoffen: du stellst dich ad calendas graecas ein. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Verbitterung Per Auto und per Bahn mit Extrazügen wird dieses Österreich en miniature tagtäglich aufgefüllt. Man sorgt dafür, daß die Baracken weiterhin genügen: es gilt doch nur, Etagen einzufügen - Stockwerksbelag - und zwei mal zwei sind vier; es gilt doch nur, um menschlichste Gebühr an Luft und Raum Mitmenschen zu betrügen. Wohin der Weg noch führt, wer kann es wissen? Der Wöllersdorfer werden immer mehr. Manch armer Teufel wurde weggerissen von Feld und Hof, kam halbverhungert her und ist und bleibt verbittert und verbissen. Das nicht zu sein, ist heutzutage schwer. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Schlimmer Aspekt Denn das ist schwer: sich selbst zu überwinden und aus dem Haß, der jetzt die Dinge lenkt, indem er schnüffelt, anhält, einsperrt, hängt, ins Reich der Liebe rein zurückzufinden. Wie trifft es dich im innersten Empfinden: dein bißchen Schreiben wird noch eingeschränkt! Ein Brief die Woche, von Zensur beengt - da soll dem Herzen nicht die Hoffnung schwinden! Und wenn sich erst der Blick vom eignen Los, vom nichtigen, zum allgemeinen wendet, empfängt des Glaubens Kraft den stärksten Stoß; denn Selbstsucht rast, in Machtgelüst verblendet, und was auf Erden schön ist, frei und groß, wird frech durch Wort und Schrift und Tat geschändet. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Dies irae Kommt jene Zeit - und daß sie kommt, ist klar, magst du auch ihren Anbruch nicht mehr sehen - kommt jene Wendezeit im Weltgeschehen, wie sie der Rückschritt immer noch gebar: dann wird nach überwundener Gefahr, wenn Fahnen frei im Sturm der Freiheit wehen, der freie Mensch das Gestern nicht verstehen, nicht glauben können, daß es möglich war, von stolzen Aufstiegs Höhe so zu fallen. Doch war es möglich und genauso gut wird es in Zukunft wieder möglich sein, solang der Zorn der Völker nicht mit allen, mit allen Mitteln ganze Arbeit tut. Ein Dies irae will's: der Tisch sei rein. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Stunde der Befreiung Wahrscheinlich muß ein neuer Gang der waffen, der auf die neuesten Schrecken nicht verzichtet und strafend, die ihn wollten, mitvernichtet, den Unterdrückten erst die Lage schaffen, zu neuem Freiheitskampf sich aufzuraffen; denn starrt der Waffen Phalanx ungelichtet, die sich die Unterdrücker aufgerichtet, muß jeder Ansturm im Versuch erschlaffen. Nur Wahnwitz wagte sich ans Prophezeien, wann wieder, wo und wie die Welt erwache; schlägt aber einst die Stunde der Befreiung, sei sie zwar frei von aufgesparter Rache aus Zeiten überwundener Parteiung, doch unerbittlich in der heiligen Sache! RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Siegerpflicht Wenn Sieger endlich einmal weise wären, dann könnten sie, was bisher nie gelang, nach jenem fürchterlichsten Waffengang der Welt ein dauernd Friedenswerk bescheren; denn aus dem Massenmorden, Landverheeren, aus allumfassend übertriebnem Zwang des Krieges wächst der Völker Freiheitsdrang, nicht länger Langentbehrtes zu entbehren. Auf dieses Dranges Werbekraft gestützt, bereit, ein Chaos brüderlich zu klären und nur zu schaffen, was der Freiheit nützt, vermöchten sie den Schutt hinwegzukehren, den Schutt der Rüstung, die den Rückschritt schützt - wenn Sieger endlich einmal weise wären. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Hoher Rat Zuweilen träumst du, daß ein Hoher Rat, ein Rat der Besten, Tüchtigsten der erde, einst Ordnung, Glück und Frieden schaffen werde. Es müßten Menschen sein nicht nur der Tat, nicht nur des Geistes, die den rechten Pfad erschauten und beschritten sonder Fährde; nicht Plan und Wirtschaft heilten die Beschwerde des kranken Körpers, fehlte Herz dem Staat, der von der Erde Tüchtigsten und Besten gelenkt, den unglückseligen Planeten von seinen immer wiederkehrenden Gebresten erlösen sollte, edelster Propheten Wunschträume nicht mit Phrasen oder Gesten verächtlich abtun, nein: den Krieg zertreten. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 September Die Zeit hat wieder einen vollen Mond der Reihe der verlornen angefügt. Kam endlich nun der letzte? Oder trügt der halbe Spruch? Du bist es schon gewohnt; doch hofft der Mensch, auch wenn es sich nicht lohnt und eignes Urteil seine Einfalt rügt, die immer wieder freudig sich belügt, obgleich Enttäuschung sie noch nie verschont. September. Kälte meldet vor der Zeit des Herbstes Kommen. Sturm peitscht Regenguß an der Baracke dürftig Mauerkleid. Trostloses Wetter! Trauriger Verschluß Lichthungriger in Zellendüsterheit! Muß man das tragen? Das und mehr. Man muß. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Man muß... Man muß der vielen tausend Jahre denken, der kerkerjahre, nur in diesem Land, dem kleinen, ausgeteilt von Unverstand, verbißnem Haß und heuchlerischen Ränken; man muß den Blick auf andre Länder lenken, wo gleichfalls Politik der starken Hand die Freiheit hinter Schloß und Riegel bannt; man muß sich tief in alles Leid versenken, das um des Geistes, der Gesinnung willen erduldet wird; man muß die Wut und Pein der Tränen, die aus bitterm Unrecht quillen, mitweinen, bis das eigne Schicksal klein, verschwindend klein wird und man sich im stillen der Schwäche schämt, nicht immer stark zu sein. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Überraschung Ein Drittel ist des neuen Monds vergangen, der Sommer wieder halb zurückgekehrt. Die Frage deiner Frist blieb ungeklärt; du gabst es auf, Gewißheit zu erlangen. Briefschreibetag. Das Blatt ist angefangen, daraus der Zensor wöchentlich erfährt, daß bittend sich dein Stolz dagegen wehrt, durch Bitten eine Gnade zu empfangen. Wie nur es fassen, daß es hart nicht klingt? Oft schläft in einem Wort der Sorge Keim, der leicht in eine wunde Seele dringt. Dann sucht sich Liebe einen düstern Reim... Es klopft. Ein Bote, der den Auftrag bringt: Zusammenpacken. Ja, Sie gehen heim. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Ernst Und diesmal scheint es wirklich ernst zu sein. Es ist doch nur ein längst erwartet Glück und übermannte dir im Augenblick Verstand und Herz. Sie waren nicht mehr dein und sind es nicht. Du packst mechanisch ein und dichtest an des Lebens nächstem Stück. Führt denn ein Weg ins Leben noch zurück? Dir schwindelt wie nach ungewohntem Wein. Dann zum Kommando der verfehmten Stadt: dort unterschreibt man - freiwillig - ein Blatt, daß man politisch sich gebessert hat. Und nochmals wird der Koffer visitiert, ob man hinaus nicht Konterbande führt. Im Koffer nicht. So bist du absolviert. RE: Gefangenschaft : 3. Anhaltelager - ZaunköniG - 15.03.2014 Abschied Dein Abschied ist ein Wunsch für die Genossen: o würde jedem doch das gleiche Heil wie heute dir, die Freiheit bald zuteil, das Tor ins Leben wieder aufgeschlossen! Dem Lager aber, blindem Haß entsprossen und eitler Machlust, nach Erfolgen geil, sei Dank gesagt; du hast so manchen Pfeil hier scharf gespitzt, so manch Sonett gegossen. ein freundlicher gendarm gibt dir Geleit bis an das Tor und öffnet den Verschluß. Du bist im Freien. Wie unheimlich weit ist doch die Welt! Wie köstlich der Genuß der ersten Schritte! Hurtig! Es ist Zeit, ja hohe Zeit. Dort kommt dein Autobus. |