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Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 22.02.2014 Der Grüne Heinrich Zur Übersiedlung dient ein Autobus, ein Menschenpferch, nach seinem Lackgewand vom Volksmund "Grüner Heinrich" zubenannt, was Meister Gottfrieds Werk erdulden muß. Man fühlt sich unter sicherstem Verschluß, aus Luft und Licht in dumpfen Dunst gebannt; zudem ist dies Vehikel stark bemannt und Waffen führt es mit im Überfluß. Die Fahrt erfolgt in voller Heimlichkeit, geradezu intim, von Haus zu Haus. Der Heinrich steht in einem Hof bereit, die Mausefalle öffnet sich der Maus, schnappt zu, verführt dich eine Strecke weit und speit in einem andern Hof dich aus. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 22.02.2014 Im Grauen Haus Unheimlich starrt dein neues Heim. Du dachtest wohl nie, wenn du dem Kasten, grau und groß, draußen vorübergingst, es sei dein Los, daß du ihn auch von innen her betrachtest. Nun aber, da du schon so weit es brachtest, pariere diesen jüngsten Schicksalsstoß, sein Gutes suchend! Ist es nicht famos, daß du nicht mehr bei Licht hier übernachtest? Auch sei die Haft in diesem Haus, so heißt es, in mancher Hinsicht leichter schon erträglich, Betrieb und Wachkorps freundlicheren Geistes, Besprechung wöchentlich, Spazierganz täglich, Briefschreiben jeden Sonntag... Was beweist es? Die grauen Mauern starren unbeweglich. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 22.02.2014 Die neue Zelle Nur kein Verweilen! In der Aufnahmstelle wird über dich wie über jeden Gast genauestens ein Signalement verfaßt, für spätre Forschung eine wichtige Quelle. Dann marsch ins Brausebad - für alle Fälle: es kann ja sein, daß du zu karger Mast dir Parasiten schon erworben hast, verfemtes Mitvolk einer frischen Zelle. Die liegt im dritten Stock und ist aufs Haar getreu der anderen gespiegelt Bild, die auf der Polizei dein Obdach war. Ein wenig mehr Komfort. Groß und gefüllt der Wasserkrug. Ein Glas. Ein Blechlavoir. Und was nun wird, verhangen und verhüllt. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 22.02.2014 Spaziergang Spaziergang! Zell' um Zelle wird entriegelt. Antreten! Der Kontrollbeamte zählt, ob keiner seiner Vierunddreißig fehlt. Mit Linksum-Marsch! ist die Präsenz besiegelt. Ummauert Viereck engen Hofes zügelt den Drang nach Freiheit, der dies Haus beseelt; im größern Raum doch mitter schon gequält, fühlt jeder Wunsch von Hoffnung sich beflügelt. Man trottet zwei zu zweien, Rund' um Runde. Ein buntes Völklein. Sprechen ist erlaubt. Schicksal und Anteil gehn von Mund zu Munde. Schon knospen Baum und Strauch. Wird man belaubt und blühend sie noch sehen? Eine Stunde ist schneller hier vorüber, als man glaubt. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 22.02.2014 Die Delikte Hier mußt du bald vor einem Richter stehen, der dir erklärt, wo du vom rechten Pfad des braven Bürgers abwichst, welcher Tat man dich verdächtigt, dir den Strick zu drehen. Dazu ist der Journaldienst ausersehen. Du hörst und staunst: Empörung, Hochverrat. Zehn Jahre Mindeststrafsatz. Obligat die Haft. Berufung zwecklos. Du kannst gehen. Du gehst und murmelst: Hochverrat? Empörung? Hast du dich je in Wort und Schrift empört, so gegen Lüge, Knechtschaft und Betörung. Doch Hochverrat! Verbrechen unerhört, gilt Hohem der Verrat; und Fluch der Störung, die mutwillig des Fortschritts Kreise stört! RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 22.02.2014 Hochverrat Der Paragraph, der wohl in allen Landen mit schwerstem Kerker, wenn nicht mit dem Tod den Hochverrat, falls er mißlingt, bedroht, hat niemals noch im andern Fall bestanden. Verfassung hält in festgefügten Banden der Staaten Bau und schützt sie vor der Not der Sturmzeit: Selbsterhaltung ist Bebot. Wie aber ward Verfasung hier zuschanden? Dies Österreich ist eine Republik. Wer will das ändern früher oder später? Und demokratisch. Wird des Volks Geschick vom Volke noch bestimmt? Wo sind die Täter? Und Österreich ist deutsch. Wer hat den Blick nach Rom gerichtet? Wer ist Hochverräter? RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 22.02.2014 Ein Gleiches Im Grund genommen gibt es nur noch einen wahrhaften Hochverrat, zuallermeist begangen. Ob du seiner schuldig seist, das prüfe! Kannst du ehrlich es verneinen, begingst du den nicht, dann begingst du keinen; verrietst du nicht dich selbst und nicht den Geist, der rechten Weg zu höherm Selbst dir weist, magst ruhig vor dem Richter du erscheinen. Denn dies allein kann Hochverrat bedeuten: daß sich ein Mensch, wo's um die Mehrheit geht, um seines Vorteils willen vor den Leuten, die eben oben sind, dem Wind nach dreht und im gegebnen Zeitpunkt sich zu häuten und selbst sich zu verleugnen nicht verschmäht. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 22.02.2014 Zeitung Zwei Wochen warst du von der Außenwelt vollständig abgeschnitten. Nicht einmal ein Feigenblatt der Schande, ein Journal, das nach dem Wind von oben umgestellt in ungezählten Zeilen nur enthält, was ihm Zensur erlaubte, Macht befahl, nicht einmal solch Erzeugnis, flach und schal, war in der Ungewißheit dir gesellt. Nun darfst du eine Tageszeitung halten, um zwischen ihren Zeilen zu erspähen, wie sich die Dinge draußen umgestalten. Auch hörst du manches beim Spazierengehen, Erschautes und Erlebtes. Und in kalten Schauern erlebst und schaust du, was geschehen. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 22.02.2014 Ergebnis Die Arbeit von Jahrzehnten ist vernichtet, in einem Lande mehr in Strömen Blutes der Freiheit Traum erstickt, des höchsten Gutes, das Sehnsucht dichtend schafft und schaffend dichtet. Schon war der Finsternis Gewölk gelichtet, ein mühsam Aufbauwerk im Gang. Nun ruht es. Unchristlich Christentum hat frohen Mutes vergeßne Galgen wieder aufgerichtet. Die Kerker und Gefängnisse sind voll und müssen immer neuen Zuschub fassen. Die Reaktion gebärdet sich wie toll. Unsäglich Elend lastet auf den Massen und auf die Frage, was da werden soll, antwortet die Erfahrung: Haß lehrt hassen. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 22.02.2014 Haß Haß ist nicht gut und sei er auch begründet, doch sitzt er tief, wenn er begründet ist, sitzt tief im Volk, ein Wurm, der weiterfrißt, verhaltne Glut, die neuen Brand entzündet. Wär' das ein Volk, das Prügeln je verwindet, und wenn es auch mit mildem Maßstab mißt, die Standgerichtsurteile je vergißt, im Rundfunk zwischen Jazzmusik verkündet? Zum Blutrausch trat die Wollust der Verhöhnung; nun ist der Abgrund gähnend aufgetan, die Zukunft droht in düstrer Farbentönung, Zwietracht bleibt Losung, Bürgerfriede Wahn, verrammelt sind die Wege zur Versöhnung vom Leitspruch: Aug' um Auge, Zahn um Zahn. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 22.02.2014 Ein Gleiches Haß zehrt nicht nur am Marke dieses Landes, das nur ein Ländchen ist, ein Stück, ein Stumpf, getrennt von eines großen Volkes Rumpf, ein angekohltes Scheit des Weltenbrandes. Haß herrscht im Schmuck verschiedensten Gewandes in allen Kontinenten, giftig dumpf des Erdballs Luft verpestend; Haß ist Trumpf trotz besserm Trieb des Herzens und Verstandes. Wird nicht in allen Sprachen Haß gepredigt, Haßhandwerk allenthalben nicht gelehrt, im Keim das Pflänzchen Liebe nicht beschädigt, Entrüstung nicht, die sich dagegen wehrt, mit überlegnem Lächeln glatt erledigt? Bis Neunzehnhundertvierzehn wiederkehrt. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 22.02.2014 Gott will es Eintönig dehnt sich Tag um Tag, umwittert von Zorn und Ohnmacht, den zwei Hauptgefühlen, die in den Seelen der Gefangnen wühlen: O Welt! Warum verriegelt und vergittert? Kein Wunder, wenn im Frömmsten Rachgier zittert, den Mut am unfaßbaren Feind zu kühlen, der des Gerichtes nimmermüden Mühlen mit massenhaftem Mahlgut fühllos füttert! Wie sprach der Staatsmann-Priester? Keine Milde! Das Wort ward Erbschaft. Schwäche wäre Schwächung, brüllt nun der Epigonen ganze Gilde; es gilt der Gegner Tod und Niederbrechung in Gottes Namen, unter Gottes Bilde: Gott will es! - Still! Man holt dich zur Besprechung. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 22.02.2014 Besprechung Im Erdgeschoß ein Raum, von trübem Lichte spärlich erhellt, durch eine Beichtstuhlwand mit Gitterwerk halbiert. Diesseits das Land der zur Besprechung hergeführten Wichte, jenseits die Herrn und Damen vom Gerichte und die Besucher; liegt's doch auf der Hand: das unbelauschte Wort ist hier verbannt; man hüte seine Zunge und verzichte. Die Wand ist beiderseits so dicht besetzt, daß jedes auch die Nachbarn hört und hindert. Was man sich sagen kann, wird durchgehetzt in zehn Minuten, knapp, doch unvermindert. Du denkst an Pyramus und Thisbe. Und zuletzt fühlst du dein Los erschwert noch statt gelindert. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 22.02.2014 Metamophose So führt der Weg durch dieses Fegefeuer dich unabänderlich von Schmach zu Schmach. Noch zittert Zorn in deiner Seele nach und zeigt ergrimmte Faust dem Zellgemäuer: War's Wirklichkeit, dann war es ungeheuer, daß Mensch u Mensch durch Gitterwandung sprach. Nimm denn dies Wiedersehn im Sprechgemach als ein grotesk geträumtes Abenteuer! Regt sich nicht Eros, in Gefangenschaft noch größer, stärker, mächtiger denn je und rebelliert mit wachsend wilder Kraft? Doch Trennung mahnt den höchsten Wunsch: Vergeh'! und wandelt ihn metamorphosenhaft in tiefes Mitleid mit der Liebsten Weh. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 22.02.2014 Brief Allsonntäglich darfst du nach Hause schreiben. Vier Seiten Kleinstformat. Das Briefpapier, liniert, auch Tint' und Feder bringt man dir. Was nun? Gedanken und Gefühle treiben. Schon setzt du an - und läßt es wieder bleiben. Das Auge der Zensur durchleuchtet hier mit Röntgenblicken Seite eins bis vier; es gilt daher, sich nicht an ihr zu reiben. Ist dir das neu? Enthüllt erst im Gefängnis die Feindin freien Wortes dir ihr Wesen? Ist sie doch draußen mehr als hier Verhängnis und läßt die Welt an Wahrheit nicht genesen! Zum Brief denn. Frischen Mutes. Die Bedrängnis wird Liebe zwischen seinen Zeilen lesen. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Zensur Für die Zensur und all die andern Dinge der Dunkelmänner, die sich lang verkrochen, ist nun ein goldnes Alter angebrochen. Zerbrich dir nicht den Kopf, was es noch bringe! Nur scheinbar dreht Geschichte sich im Ringe und kehrt zurück zu früheren Epochen; das Schöpfungswort wird abermals gesprochen: es werde Licht - trotz aller Finsterlinge! Und es ward licht und wird es wieder werden, lichter denn je zuvor. Wenn auch Verbot, Zensur und Index sich wie toll gebärden, Rückfall in dunkle Mittelzeit uns droht: das zwanzigste Jahrhundert bringt auf Erden den Sieg des Lichtes nach dem Kampf ums Brot. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Nein! Es wird, es muß ein Sieg des Lichtes sein. Wenn Wissenschaft Jahrzehnt uns um Jahrzehnt den Weltbegriff zehnfach vertieft und dehnt, denn nichts ist ihr zu fern und nichts zu klein; wenn nach gerecht umfassendem Verein der Menschheit größrer, beßrer Teil sich sehnt: soll Ungeist, der im Engen stark sich wähnt, das Feld behaupten? Nein und dreimal nein! Wenn Brüder in die Stratosphäre steigen und Bruderwort im freien Äther schwingt, sollst, Bruder, du dein Knie vor Götzen beugen, verstummen, wenn in dir die Freiheit singt, sollst Geßler-Hüten Reverenz erzeigen? Nein, dreimal nein! Der Kampf ist unbedingt. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Der Richter Du merkst es: täglich wird es früher lichter und später dunkel. Wie die Zeit verrinnt! Du fühlst und weißt: dein Schicksal spinnt und spinnt, und weißt und fühlst: das Netz wird immer dichter. Wird endlich dir Erlöser, wird Vernichter ein Tag der Tage dir, die dein nicht sind? Laß ab vom Grübeln, Tor! Hier bist du blind. Tür auf. Was soll's? Man führt dich vor den Richter. Treppab. Der Mann amtiert in einer Zelle, notdürftig umgewandelt zum Büro. Es fehlt an Raum. Zu zahlreich sind die Fälle. Begrüßung folgt. Ihr Wie verlöscht das Wo. Berührt von freien Menschtums warmer Welle, fühlst du dich deines Richters seltsam froh. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Voruntersuchung Du nimmst auf einem Sessel Platz. Dein Akt liegt auf dem Tisch, gewachsen, zubereitet mit Rot- und Blaustift. In den Farben streitet Kontra mit Pro. Dein Fall ist wohl vertrackt. So wird er denn ab ovo angepackt. "Voruntersuchung." Frag' um Frage schreitet dein Leben durch, von Punkt zu Punkt, und leitet zum Hauptpunkt hin, ob dort nicht Schuld dich zwackt: ob du, als einstiger Berufssoldat für Militaria prädestiniert, nicht Anteil nahmst durch Planung, Rat und Tat, als man den Widerstand organisiert, und nichts vom Anschlag wußtest auf den Staat, nunmehr als Hochverrat qualifiziert. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Fragen und Antwort So war der Wortlaut nicht, jedoch der Sinn der Fragen, die dein Los entscheiden sollten. Du kannst verneinen; denn die Würfel rollten ohne dein Wissen und seit Anbeginn versprachst du dir von Waffen nicht Gewinn für Weltideen, die den Frieden wollten. Dein Glaube hat nicht der Gewalt gegolten: er gilt dem Geist. Du irrst vielleicht darin. Gewalt, in Land um Länder aufgerichtet, ist neu am Werk, die Völker zu belehren, daß all die Träume, die der Geist gedichtet, in einem Fall nur zu erfüllen wären: wenn unentwegt Gewalt Gewalt vernichtet bis auf den Grund, kann Geist die Welt verklären. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Recht Zum Hauptpunkt treten manche Einzelheiten, wie das schon sein muß: Fragen kreuz und quer, vornehmlich nach Bekanntschaft und Verkehr, die deiner Rüstung, fest nach allen Seiten, nicht sonderlich Verlegenheit bereiten. Das alte Ammenmärchen auch muß her, Wohnbauten wären kriegerische Wehr, strategisch ausgeheckt. Du kannst's bestreiten. Gewissenhaft, doch feindlich nicht erfüllt dein Richter die Verpflichtung seines Amtes, zu finden, was sich noch in Schleier hüllt. Noch lebt etwas wie Recht. Gewalt verdammt es zur Hörigkeit; doch unerschöpflich quillt der Born des reinen Menschtums. Ihm entstammt es. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Gewalt Wenn du im Rechteck deiner Zellenmauern, was du beim Richter dachtest, recht beschaust und mit dem Recht zu rechten dich getraust, läßt Unrecht keinen Optimismus dauern; denn Wirklichkeit umbraust mit Sturmesschauern des Rechtes Tempel, den du dichtend baust. Gewalt ist Recht. Menschtum hat abgehaust, wo Macht und Mord auf leichte Beute lauern, Besitzes Gier ein fettes Fressen wittert, willkürberauschte Söldnerscharen schalten und Hybris vor des Volkes Rache zittert. Recht ist Gewalt und willst du beider Walten besiegen, hier gewaltsam eingegittert, mußt über dich du selbst Gerichtstag halten. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Gerichtstag Gerichtstag halten übers eigne Ich! das ist es, was ein Großer Dichten nannte. So dichte denn! Den Weg ins Unbekannte zu gehen gilt's, den Rätselweg in dich. Gedanken und Gefühle melden sich, die Wille längst ins Unbewußte bannte; dein Geist, der in die Unterwelt entsandte, erweckt das Tote, das im Tag verblich. Der Lust des Schauens, dem Gestaltungstriebe gesellt sich kritisch Urteil. Nenn's Gewissen, da es doch unbenannt das Gleiche bliebe! Du kannst, du darfst sein ehrlich Wort nicht missen; was es auch spricht, das spricht es dir zuliebe: Erkenne dich! Du warst und bist zerrissen. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Zerrissenheit Zerrissen warst du immer. Schon als Kind, als denkend Kind in en Beruf gezwängt, der wesenhaft nur in Befehlen denkt und in Gehorsam, unbefriedigt und blind, sahst du die Wunder bald, die draußen sind, und fühltest selbst dich wunderbar beschenkt mit Sehnsucht, die ihr Lot ins Tiefste senkt. Dann aber wandtest du dich nach dem Wind; das heißt, du opfertest betört dein Bestes, als es am Scheideweg zu wählen galt. Ahnungen warnen, Fatum doch erpreßt es: Es geht um deinen Lebensunterhalt; Dichtung ist brotlos, dein Beruf ein Festes. Da warst du schwach und wichest der Gewalt. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Beruf Den meisten Menschen mag es so ergehen, daß sie Berufsgewalt maschinenhaft ergreift und hält mit eines Raubtiers Kraft. Wenn du dich wehrst, ist alles schon geschehen. Und wehe! wolltest du noch abseits stehen; wer nicht am zugeteilten Tagwerk schafft, wird sonder mitleid kurz hinweggerafft, drweil die andern sich ihr Glück erspähen. Was bleibt auch übrig? Mit der Zeit gewinnst du der schlimmsten Sache ihre guten Seiten beharrlich ab. Eh' du es merkst, beginnt du in fremdem Sold für fremden Sinn zu streiten und selten nur und immer seltner sinnst du dir selbst noch nach und siehst dich selbst im Weiten. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Kriegsspiel Die macht der Umwelt wirkte nicht allein auf die Gestaltung deines jungen Lebens; auch hätte Ehrgeiz dich vielleicht vergebens verlockt, dir selbst so ungetreu zu sein; zu gut durchschautest du den schönen Schein befehlsgewaltigen Sichselbsterhebens; doch stellte sich als Triebkraft strengen Strebens an Krieg und Kriegskunst Interesse ein. Das Schachspiel mit den farbigen Figuren, auf Generalstabskarten leicht bewegt, von dem die Völker bald ihr Teil erfuhren, ergriff die Phantasie, die Schlachten schlägt und ziehend ganz vergißt, welch blutige Spuren ein Zug ins Angesicht der Erde prägt. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Donnergrollen Die Jahre flogen. Auf der Stufenleiter der Auserwählten stiegst du rasch hinan und Arbeit häufte sich. Du packtest an und warst gar bald ein ziemlich Eingeweihter in alle Schwarzkunst der Kriegsvorbereiter. Schon hatte damals Diplomatenwahn die Büchse der Pandora aufgetan, schon freuten sich der Offenbarung Reiter, die Welt mit schlimmstem Schrecken zu beschenken. Doch aus den Tiefen war ein neues Wollen emporgetaucht, ein mächtig Fühlen, Denken der Massen, reichlich müd, Tribut zu zollen der Gier der Gierigen, die Staaten lenken. Der Horcher hörte doppelt Donnergrollen. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Das Echte Du warst nicht taub noch blind dem Sinn der Mächte, die um ein irdisch Glück für alle rangen. In keinem Standesvorurteil befangen, ersahst du im verwickelten Geflechte der Tageswirrnis das beständig Echte; du lauschtest Liedern, die des Jünglings Wangen einst glühen ließen und nun wieder klangen im neuen Kampf um alte Menschenrechte. Ob Pflichten auch dich in ihr Zeitmaß zwangen, der freie Dichter war in dir nicht tot; die heiligen Quellen sprudelten und sprangen, wenn nur dein Dienst ein Atemholen bot: war fördernd doch ein Stern dir aufgegangen, ein sieghaft Licht ob des Zerrissnen Not. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Dein Stern Denkst du des Sternes, der, sich selbst verzehrend, in deine Seele Sonnengluten goß; denkst du des Wunders, das sich dir erschloß, des Liebeswunders, Letztes dir gewährend, mit Schaffenskräften Schaffenskraft vermehrend, die feurig fordernd dir das Herz durchfloß; denkst du des Sternes, der als Weggenoß dir immer treu blieb, deinen Weg verklärend; des schönen Kindes, dessen Heiterkeit das Schattende von deiner Stirn verscheuchte, bald schöner noch als Frau, die dich befreit von allem, was Zerrissenheit dich deuchte: denkst ihrer du, dann liegt auf deiner Zeit, die war und ist und kommt, ein mild Geleuchte. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Nel mezzo del cammin... Nel mezzo del cammin, gezählt nach Dante, in deines Lebens Mitte ungefähr entlud sich das Gewitter, schwarz und schwer, wie vordem keines noch der Erdkreis kannte; denn Vaterland um Vaterland entsandte in Schlacht um Schlacht wetteifernd Heer um Heer und Flott' um Flotte, daß zu Land und Meer und Luft der Völker Blüte niederbrannte. Da blieb dir Einzelwesen nur die Wahl, der Forderung des Tages zu entsprechen, in deinem Wirkungskreis mit Geist und Zahl an Zahl und Geist des Feindes Kraft zu schwächen; und der beging an Mann und Material - so hieß es doch - das nämliche Verbrechen. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Keine Wahl? Doch war dir wirklich keine wahl geblieben? Frage der Fragen, nie dem Geist genehm, im Grund auch sinnlos! Denn wer weiß von dem, was einst sein Tun und Lassen angetrieben? Du warst einmal dem Satan mitverschrieben und hieltst den Pakt. Da gab es kein Problem; denn seine Macht, wärst du ihm unbequem geworden, hätte dich zu nichts zerrieben. Der Krieg, mit seinen Schrecken losgelassen, diktiert von Feind zu Feind: "Du mußt dich wehren. Nicht darfst du mich, du mußt den andern hassen. Es bleibt kein Ausweg, als sich anzupassen. Sieg ist der Feldruf oder Tod in Ehren. Ums Ganze geht's!" Da folgten ihm die Massen. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 23.02.2014 Ergebnis Zufrieden grinsend sah der grause Schnitter auf eine Ernte von Millionen Halmen. Maschinen rasten, Menschen zu zermalmen, Gas übertrumpfte der Granaten Splitter. Erschöpfung erst beschwor das Weltgewitter; schlachtmüde Felder hörten auf zu qualmen. Verlogner Übermut sang Siegespsalmen, doch auch des Sieges Nachgeschmack blieb bitter. Im Unheil ward Gemeingefühl lebendig, das Morsche barst in überlebten Ländern; der Umsturz aber, meist nur unvollständig, begnügte sich mit schwachen Unterpfändern, obgleich die Finsterlinge, schlau und wendig, nur lauerten, Geändertes zu ändern. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 24.02.2014 Konsequenzen Es war ein heißes, ungeheures Wollen, das aus den Greueln der Verwüstung stieg, ein allgemeiner Schrei: nie darf der Krieg sein blutgetränktes Banner mehr entrollen! Ein kleiner Klüngel schöpfte aus dem Vollen, als Volkesmasse darbte, starb und schwieg. Nie wieder darf es sein! Vernunft bring Sieg im Kampfe mit dem überliefert Tollen! Freiheit ist nötig auf dem Weg zur Heilung; denn ohne sie kommt Wahrheit nicht zu Wort und ohne Wahrheit schleppt sich die Verteilung der Erdengüter und der Erdenlasten, die schreiend ungerechte, weiter fort - zur Freude der vom Krieg ernährten Kasten. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 24.02.2014 Maß und Ziel Du warst nicht so naiv, um gleich zu glauben, ein goldnes Alter bräche demnächst an; zu gut nur wußtest du, es war ein Wahn, die Hofnungen so hoch hinaufzuschrauben. Des Rückschritts Gier doch, neuerdings zu rauben, was kaum erkämpft ward auf des Fortschritts Bahn, rief auch das Wort des Dichters auf den Plan. Es galt den Horchenden und den noch Tauben. Die Wege waren dunkel, klar das Ziel: auf freiem Grunde hieß es furchtlos schaffen für eine Zukunft, frei vom Kräftespiel des Kapitals und seiner Mörderwaffen, frei von Minierern auch, die schon zuviel im Garten Gottes wühlten: frei von Pfaffen. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 24.02.2014 Die innere Stimme Die innere Stimme ließ sich nicht ersticken; sie rief, sie drängte, sie gebot: Sei frei! Hilf mit, daß Freiheit daure, Friede sei! Denn nur wenn alle helfen, kann es glücken. Vergangenheit laß, wo sie liegt, im Rücken - und brich dein Leben auch darob entzwei! Soll etwa Lüge, soll dir Heuchelei den zweiten Teil mit eitlen Federn schmücken? Du gingst bisher - die Stimme sprach's - auf Krücken; nun wirf sie fort, denn draußen wird es Mai, die Brüder warten, dir die Hand zu drücken, die Winterzeit der Selbstsucht ist vorbei, schon baut Gerechtigkeit an breiten Brücken... Die Stimme war zu stark. Du nahmst Partei. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 25.02.2014 Partei Obgleich du die Gefahr dir nicht verhehltest, die schließlich jede Bindung mit sich bringt - verfolgt doch nie Gemeinschaft unbedingt die Ziele, die du unbedingt erwähltest; obgleich du wußtest, daß du wenig zähltest, wo Masse, daß Erlösung einst gelingt, um jeden Fußbreit Bodens mühsam ringt; obgleich dir Freunde sagten, daß du fehltest: nahmst du Partei. Nicht Augenblickserregung bestimmte den gewiß nicht leichten Schritt, doch war es auch nicht kühle Überlegung allein, die künftig keine Halbheit litt: nach Herz und Hirn zugleich griff die Bewegung und rief: bekenne dich! und riß dich mit. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 26.02.2014 Wandlungen Das können freilich viele nicht begreifen, daß es so etwas wie Entwicklung gibt und jeder, der das Morgen brünstig liebt, gezwungen ist, das Gestern abzustreifen. So mögt ihr Schmähung über Schmähung häufen, ihr Gestrigen, die ihr die Gleichen bliebt! All eurer Glossen Geifergift zerstiebt vor dem Gesetz: nur Wandlung bringt zum Reifen. Zwar rühmt ihr euch, ihr hättet euch gewandelt und eure Wandlung wandle nun die Welt; das Wort jedoch, in dessen Geist ihr handelt, es heißt: zurück! Zurück zur alten Knechtung! Fort mit der Freiheit, die Besitz vergällt! Zurück zur Blütezeit der Volksentrechtung! RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 28.02.2014 Probe Du urteilst hart. Doch bist du nicht befangen, nicht für der andern Weg und Ziele blind, weil sie, persönlich dir nicht wohlgesinnt, zum Aufenthalt in diesem Loch dich zwangen? Sei objektiv! Gewissheit zu erlangen, ist keine Kunst, da Taten gar geschwind an ihren Früchten zu erkennen sind. Vor dieser Probe braucht dir nicht zu bangen. Der Bürger kann dem Bürger nicht mehr trauen; denn wieder geht der Vormärz um im Land, der Spitzel Handwerk blüht, Giftmischer brauen an Lug und Trug, selbst damals unbekannt, Verordnung und Gesetz verbreiten Grauen, Gewalt ward seßhaft, freier Geist verbannt. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 28.02.2014 Bodenreiben Schweifst du zu weit nicht ab von deinem Plan, das Dasein eines Häftlings zu beschreiben? Was geht dich hier das kleine Tun und Treiben im großen Strafgefängnis draußen an? Zurück in deine vorgerißne Bahn! Die Sache will es: sachlich sollst du bleiben. Einmal die Woche heißt es Boden reiben. Am Dienstag nach dem Frühstück. Frisch heran! Ein Blechschaff kalten Wassers mit Lysol, die obligate Bürste und ein Fetzen sind dein Gerät. Es tut dir seltsam wohl, dein Wohngemach höchstselbst in Stand zu setzen. Da fällt ein Vers dir ein, ein Reim. Wie hohl! Du reimst und lernst des Lebens Prosa schätzen. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 28.02.2014 Lob des Vorigen Du wärst zum Bodenreiben nicht verpflichtet. Man stellte - gib der Wahrheit stets die Ehre! - dir aus der Strafgefangnen grauem Heere, das ewig scheuernd hier den Schmutz vernichtet und alle Arbeit streng bewacht verrichtet, man stellte dir den "Fazi" bei. Erkläre ein Philolog das Wort, das sinnvoll schwere! Liegt "facere" nicht nah? - Du hast verzichtet, als eine Gunst Bedienung anzunehmen, die von den anderen dich unterschiede; denn müßte der Gesunde sich nicht schämen, der so gesunde Arbeit träg vermiede? Im Bodenreiben, wenn auch die Bequemen es nicht verstehn, ist Seelenruh' und -friede. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 28.02.2014 Tröstliches Erleben In diesem Haus, das gar verschiedne Leute beherbergt und aus gar verschiednen Gründen - denn mannigfaltig sind der Gäste Sünden, wenn auch zum größten Teil politisch heute - erlebst du, was noch jeden hier erfreute: ein freundlich Näherkommen, Sichverbünden von Menschen, die sich draußen ferne stünden, unkundig, was ein gleich Geschick bedeute. So wird alltäglich seltenstes Geschehen: daß Fremdeste, die hier zum erstenmal einander in ihr Bruderantlitz sehen - und jeder sieht den andern schmal und fahl - in einem Blick sich wunderbar verstehen als Wesen gleicher Sehnsucht, gleicher Qual. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 01.03.2014 Visite In jeder Woche einmal ist Visite, exekutiert von einer Kommission. Stell' dich in Positur! Sie kommen schon; die offne Tür läßt Stimmen ein und Schritte. Der Höchste fragt pressiert: Beschwerde? Bitte? Die Miene vorschriftsmäßig wie der Ton. Mit deinem Nein ist husch! der Spuk davon; die Tür klappt zu und wehrt dem Hall der Tritte. Nein! Keine Bitte. Keine! Laßt euch schwören, daß ihr nach Schwachheit hier vergeblich sucht! Beschwerde? Ja! Ihr werdet eine hören, die eure Kommission nicht mehr verbucht, doch klingen soll in wilden Freiheitschören: Ihr Mörder aller Freiheit, seid verflucht! RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 01.03.2014 Reinigung So alle vierzehn Tage bringt ein Fest ins Einerlei des Alltags Abwechslung. Es ist das Fest der großen Reinigung, da man die Häftlingsgruppe baden läßt. Der Raum ist eng. Auf Bänken dicht gepreßt entledigt sich der Hüllen alt und jung und jeder Adam strebt mit frohem Schwung zu einer Brause hin, die wärmt und näßt. Im Urzustand, erst gründlich eingeseift, in heißen Rieselns regenhaftem Guß geläutert dann, zum Herrlichsten gereift, zu gegensätzlich wirksam kaltem Schluß, erfühlt auch hier der Adam und begreift der Reinlichkeit und Reinheit Hochgenuß. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 01.03.2014 Frühling Fruher denn sonst kam dieses Jammerjahr der Veilchenwecker in das Land gezogen, wenn am Spaziergang Baum und Strauch nicht logen und nicht der Amseln Botschaft Täuschung war. Selbst in der Zelle wird es offenbar: Er ist's! Das blaue Band! Der Lenzluft Wogen! Wie bringst du, Dichter, um dies Glück betrogen, ihm hier dein Bitt- und Dankesopfer dar? Zuerst den Dasnk, daß seine milde Macht sieghaft sogar bis ins Gefängnis dringt; die Bitte dann um eine letzte Schlacht, die seine Feinde auf die Kniee zwingt und nach der Knechtschaft Nacht und Niedertracht den großen Frühling neuer Freiheit bringt! RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 01.03.2014 Amnestie Der Frühling heißt der Hoffnung grüne Zeit und Ostern, der Erlösung Fest, ist nah. Kein Wunder: ein Gerücht ist plötzlich da und wird geglaubt. Erlösung sei nicht weit! Schon liege eine Amnestie bereit; soweit nur möglich, werde, was geschah, vergessen und am Tag nach Golgatha das Gros der Festgehaltenen befreit. O Kinderglaube an ein Christentum, das schon mit vielen hundert Jahren Kerker Vergeltung übte zu des Heilands Ruhm! Ein göttliches Gebot ist gut und stark, ein menschlich Standrecht besser doch und stärker - und auch ein dutzend Galgen sind kein Quark. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 01.03.2014 Ostern Und Ostern kamen: wunderbare Tage, von Bergeshöh', die freie Welt zu Füßen, den auferstandnen Frühling zu begrüßen! Denk' nicht daran, daß nicht dein Herz verzage! Was frommt dir immer wiederholte Klage? Was helfen Tränen, die aus Wut dir fließen? Du kannst auch hier das holde Fest genießen: versuch' es nur mit Goethes großer Sage! Schon sprichst du Faustens Monolog dir vor; du hebst die Schale feierlich zum Munde und setzt sie bebend ab; der Engel Chor ermutigt dich zu einem neuen Bunde. Mit Wagner dann spazierst du vor dem Tor und abends heimwärts samt dem schwarzen Hunde. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 01.03.2014 Die Lämmchen Zu Ostern dürfen nicht die Lämmchen fehlen. O seht euch an den sanften Tieren satt! Ihr findet zwei auf einem Zeitungsblatt zur Rührung und Erbauung sanfter Seelen. Schneeweiße, süße wußte man zu wählen zum Kinderpaar des Mannes, der in Stadt und Land den Frieden untergraben hat. Die Chronik wird es einst gerecht erzählen. Führt denn das immer lächelnde Gesicht des großen Kleinen selbst nicht mehr zum Ziel? Genügt in neuem Kleid die Gattin nicht? Lockt Propaganda in verruchtem Spiel das Volk mit kleinen Kindern hinters Licht - und Lämmchen? Was zuviel ist, ist zuviel. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 01.03.2014 Erster Mai Es ist nach langer Zeit zum erstenmale, daß hier der Arbeit Volk den Feiertag, den es sich schuf, nicht feiern darf und mag. in Blut ersticken seine Ideale; darnieder liegt die Internationale, durch eigne Fehler krank und manchen Schlag, dem da und dort ein Teilheer unterlag; verstummt sind die befeuernden Signale. Und nicht verstummt. Aus Zell' um Zelle tönen begeistert Rufe: Hoch der erste Mai! und andre, die zum Trotz Gewalt verhöhnen. Banale Frage, ob das Klugheit sei! Denn setzt es auch an diesem Tag, dem schönen, Spaziergangfasten: Mut nur macht ihn frei. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 01.03.2014 Mut mut ist vonnöten, Mut und Glaubenstreue, um Überwindermacht zu überwinden. Doch darf sich Mut an alte Form nicht binden; denn nur das Neuere besiegt das Neue. So schreckhaft Diktatur mit Waffen dräue, die Knebelung des Geistes muß verschwinden. Die Jugend wird den rechten Weg schon finden; o daß sie nicht des Suchens Mühsal scheue! Für alle Fronten wird der Seelenfang mit Zuckerbrot verführerisch betrieben; wenn das nicht fruchtet, hilft der Peitsche Zwang. Nur wer es trifft, in heißem Herzensdrang mehr als sich selbst sein Ideal zu lieben, bewahrt die Freiheit vor dem Untergang. RE: Gefangenschaft : 2. Gericht - ZaunköniG - 01.03.2014 Verfassung In deiner Zelle Weltverlassenheit darfst du nicht hoffen, daß es dir gelinge vorauszusehn, wie draußen sich die Dinge gestalten mögen in der Folgezeit. Einstweilen machen sich die Sieger breit, auf Tradition gestützt, als ob es ginge, daß Hokuspokus Heil dem Volke bringe, das - wenn auch stumm - nach Brot und Arbeit schreit. Doch Volkes Wille, wechselnd, wetterwendisch, sei immerdar ein ausgeträumter Traum. Autoritär, römisch-katholisch, ständisch erwuchs der Bundes-Maiverfassungsbaum für Bürger, heimattreu und vaterländisch, deutsch, doch nicht allzudeutsch im Donauraum. |