Federzeichnungen eines Reisenden - In der verlassenen Burg - Druckversion +- Sonett-Forum (https://sonett-archiv.com/forum) +-- Forum: Sonett-Archiv (https://sonett-archiv.com/forum/forumdisplay.php?fid=126) +--- Forum: Sonette aus germanischen Sprachen (https://sonett-archiv.com/forum/forumdisplay.php?fid=394) +---- Forum: Deutsche Sonette (https://sonett-archiv.com/forum/forumdisplay.php?fid=398) +----- Forum: Autoren O (https://sonett-archiv.com/forum/forumdisplay.php?fid=629) +------ Forum: Georg von Oertzen (https://sonett-archiv.com/forum/forumdisplay.php?fid=723) +------ Thema: Federzeichnungen eines Reisenden - In der verlassenen Burg (/showthread.php?tid=12163) |
Federzeichnungen eines Reisenden - In der verlassenen Burg - ZaunköniG - 19.02.2014 I. Vorbei dem schweren Damast der Gardinen In’s Fenster schaut die Sommervesperstunde: Am Nußbaumschrank im tiefen Hintergrunde Die Löwenköpfe, glänzend warm beschienen, Verzerrn ihr Maus, indessen über ihnen Die dunklen Bilder flüstern manche Kunde Vom Hof des Kaisers, die wir aus dem Munde Großmütterleins, aus den verschmitzten Mienen Des silberlockgen Pförtners kaum erfahren. Hier liegt ein Ringlein, wem von wem gegeben? Hier eine Spieluhr, dort aus seidnen Haaren Ein Blumenkranz. Die Sonnenstäubchen weben Vergessenheit darüber hin seit Jahren, Heut diesem hier und künftig unserm Leben. RE: Federzeichnungen eines Reisenden - In der verlassenen Burg - ZaunköniG - 19.02.2014 II. Lichtgrünes Dunkel überwölkt den Rasen, Der Park ist lautlos. Müde Statuetten Ihr morsches Haupt in’s tiefe Gras herbetten, Und Schlingkraut klettert üppig um die Vasen. Fort die Bewohner, hin die Adlernasen, Die Pfauenpracht der schelmischen Coquetten, Die, spinnend ihrer süßen Anmuth Ketten, Romane lebten, nicht Romane lasen. Jetzt in der Spur der rothen Absatzschuhe Zurück zu ihren Tagen geht ein echter Sohn heutger Zeit, der aus des Todes Truhe Sich Leben schöpfet, unsres Tags Verächter. Die Wipfel ob ihm halten Mittagsruhe Und zärtlich girrt der Turteltaub Gelächter. RE: Federzeichnungen eines Reisenden - In der verlassenen Burg - ZaunköniG - 19.02.2014 III. Und wo die Äste dichter sich verschränken, Wo Farrenkraut den überwachsnen Steig Unsichtbar macht, dort mühsam durch’s Gezweig Lockt Neugier uns die Schritte hinzulenken: Zum Erbbegräbnis. Von den Ruhebänken In’s Leere starrt kein Antlitz schmerzensbleich, Zwiefach entseelt ward dieses Todtenreich, Denn ob den Leibern starb ihr Angedenken, Und düster weht der Schwermuth Moderduft. - Da knarrt ein Pfortlein, und wie Rosenprangen, Wie Bienensummen, plötzlich an die Gruft Hold plaudernd kommt das Leben hergegangen: Ein Liebespaar sich neckt, sich küßt, sich ruft, Und über Freuden Trauerweiden hangen. |