18.04.2008, 17:21
Stillleben mit Flaschen
(St. Marie, 1976)
1. Fassung
Die leeren Flaschen stolpern in den Blick,
der weiterwill, doch hängen bleibt; Gebrüll
von Mittagsglut steht hart auf diesem Müll:
der Ausschnitt, das ist Wirklichkeit, kein Trick.
Das Ende aller Zivilisation ist hier,
die Autowracks, die keiner wegräumt, Schrott.
Der einzige, der hier was holt, ist Gott.
Als einzige Erlösung bleibt das Bier.
So wars, als gestern nacht die Männer soffen,
den Abglanz fühlten einer bessren Zeit:
Jetzt liegen die Betrunknen in den Hütten.
Fürs Alltagsleben gibt’s hier nichts zu hoffen,
das weiß das alte Weib, das regungslos inmitten
der Flaschen sitzt seit einer Ewigkeit.
Stillleben mit Flaschen
(St. Marie, Provence)
2. Fassung
Auf einem Zeltplatz in der Haut-Provence:
Lavendelduft weht von den Feldern her.
Zur Mittagszeit verliert sich der Verkehr,
jetzt geht das Leben langsam, schläfrig, wie in Trance.
Vom opulenten Picknick blieben nur die Flaschen,
da jedermann es vorzog, sich nun abzukühlen.
So liegt man in den Zelten oder Wohnmobilen,
lässt sich von keinem stören oder überraschen.
Gibt’s denn ein Foto von dem schönen Essen?
Zu spät. Die Tafel aufgehoben. Ausgelassenheit
und Stimmung längst passé. Und bald ists schon vergessen.
Viel später tauchte doch ein Foto auf. Wie groß
war das Erstaunen über jene Nachbarin, die seinerzeit
das Flaschenbild belebte, selber ahnungslos.
Dirk Schindelbeck 2008