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Roche-Carré
Flecken auf der neuen Glasfassade.
Der Bio-Bäcker hat schon resigniert;
die teure Eingangstür mit Lack beschmiert.
Ein frommer Wunsch, blindwütige Tirade:
"Das Roche- Carée wird nicht gentrifiziert!"
Vorm Krieg entstand vom Bau- und Sparverein
der rote Wohnkomplex aus Klinkerstein.
Hier wurden Gastarbeiter einquartiert;
Es zogen Künstler und Studenten ein,
mit wenig Geld, doch um so mehr Ideen.
Die Clubs, die Kioske, die Trödelläden
verschwinden alle. Einmal trifft es jeden.
Verkehr fließt nur hindurch, nicht mehr hinein;
Im Takt der Ampeln bleibt das Lichtmeer stehen.
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01
Im Takt der Ampeln bleibt das Lichtmeer stehen
und Schatten recken sich auf zu Gespenstern.
Man ahnt dort Mütter an den obren Fenstern,
die regelmäßig nach den Kindern sehen.
Längst abgelaufen die gesetzte Frist,
doch Abendbrot ist irgendwie grad doof.
Mit Groschen schangeln sie im Gang zum Hof,
spiel'n Hinkelkästchen oder Gummitwist.
Sie malen Schiffe, rot mit Ziegelbruch,
dann ruft die Mutter schließlich doch noch. Schade.
"Hopp, hopp - wir essen gleich! Jetzt ist genuch!"
hört man sie schelten mit gespielter Strenge.
Zurück bleibt dort nur Dunkelheit und Enge,
Flecken auf der neuen Glasfassade.
02
Flecken auf der neuen Glasfassade,
dem Backstein rund drei Meter vorgesetzt.
Der Nippes des 1-Euro-Shops ist jetzt
vor Regen gut geschützt. Die Wäschelade
ist schon vor rund drei Wochen ausgezogen.
Ganz wacker hält sich das Repair-Café.
Wie sind die Pläne damals hochgeflogen!
Man wollte "Frischen Wind mit neuer Kraft",
so hieß das Motto der Genossenschaft.
Vielleicht hat man zu zaghaft investiert,
doch viel zu teuer war das Geld von Dritten.
Was läuft sind Jeans, Kosmetik oder Fritten.
Der Biobäcker hat schon resigniert.
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03
Der Bio-Bäcker hat schon resigniert,
nun immer schlechter von den Nachbarn meinend:
Wer Armut nicht verklärt, der wird anscheinend
von den Quartierrebellen boykottiert,
weil er das falsche Preissegment bedient.
Den Studies aus den bessren Elternhäusern,
die sich gern über Öko-Landbau äußern,
wird nach und nach die Nachbarschaft vermint.
Die Außengastro hat ihn nicht gerettet:
Die Tische auf dem Gehsteig können so nicht bleiben,
hat ihn das Ordnungsamt grad informiert.
Die letzte Gartenbank steht angekettet
vor stets beschlagenen Schaufensterscheiben;
die teure Eingangstür mit Lack beschmiert.
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04
Die teure Eingangstür mit Lack beschmiert.
Ein Feigenbaum, eine bepflanzte Wanne
mit Salbei und schwarzäugiger Susanne,
die Bank von Gamerinnen okkupiert.
Jeans und Kapuzenpulli, Aufschrift "Peace",
die eine, sie packt für den großen Marsch.
Die andere in Bonbon-Camouflage
nervös, hält's kaum auf ihrem Sitz: "Nun schieß!
Zu spät. Das war jetzt das vorletzte Leben.
Das letzte hat noch Zeit: Es ruft das echte.
Prospekte in der Bahnhofspromenade
verteilen - Für Bus und Bahn und Fahrgastrechte
und müssen sich die Kommentare geben:
Ob frommer Wunsch, blindwütige Tirade.
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Ein frommer Wunsch, blindwütige Tirade:
"Habt ihr als Zukunftsplan nicht mehr in petto,
als ein vollkommen abgeratztes Ghetto?"
Doch er muss wieder rein: Die Marmelade
hängt ihm sonst an. Die kann ein Standbein werden.
Kürbis-Quitte, Birne-Preiselbeere...
"Verdammt!" So 'n bisschen geht 's auch an die Ehre
und könnte die Identität gefährden.
"Ich bin doch selber links! doch irgendwie
ist jeder, der was schafft, gleich Bourgeoisie.
Hab' ich nicht früher auch bei Schnaps und Shit
über den Klassenkampf philosophiert?"
Er weiß es nicht, was meinen die heut' mit:
"Das Roche-Carré wird nicht gentrifiziert."
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06
"Das Roche-Carré wird nicht gentrifiziert!"
Die Stammkundschaft kommt heut mit Flyern an,
und - klar!, pinnt er sie gleich am Tresen an,
er, der gern mit der Szene kokettiert.
Dies Pumpenhaus, das wenig malerische,
erscheint ihm echt. Mit Schrott-Interieur,
gefakten Tags wird flugs aus dem Friseur
die unter Punks bekannte "Iro-Nische".
Sich auch auf Demos offen links zu zeigen
gehört zur Werbestrategie. Ein Nein
zu allem gilt ja heut als progressiv.
Die Hinterhöfe schachteln sich hier tief
im Block, der heute zwar gemeindeeigen,
vorm Krieg entstand vom Bau- und Sparverein.
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Vorm Krieg entstand vom Bau- und Sparveiein
die Häuserzeile neben der Fabrik
La Roche's. Nach Süden ging der freie Blick
auf herrschaftliche Gärten, querfeldein
nach Nord auf Wiesen und auf stille Kolke.
Die Gärten gibt es noch, die Wiesen auch,
als schmalen grünen Naherholungsschlauch
im Innenstadtrevier unter der Wolke
von immer neuen Industrieanlagen,
die sich in diese Auenlandschaft fraßen.
Die damals großzügig geplanten Straßen,
erwiesen sich schon bald als viel zu klein
und eng. Abgase und der Regen nagen
am roten Wohnkomplex aus Klinkerstein.
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