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Sonette eines Deutschen

I.


Seit jene unterm Schein des Rechtes raubten,
Mit Waffen schlugen, dem die Wehr gefallen,
Entsanken uns die Worte, die wir glaubten,
Mißtraun wir zweifelnd selber uns und allen.

Denn ob, gedenkend unsrer bessren Stunden,
Wir leicht uns feiern, einsam spiegelnd loben,
Sind wir nicht dennoch insgeheim verbunden
Den bösen Geistern, die in jenen toben?

Sind wir nicht alle eines Bodens Kinder,
Die argen Brüder und die klugen, zarten -
Desselben Blutes, Richter wir und Sünder,
Wie Gift und Rose Gabe eines Garten?

Der Seele Frieden wurde uns genommen,
Nun sich die Wütenden vermengt den Frommen.


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II.

Des Schierlings Kraut, der Stamm der zarten Rose
Gedeihn wohl nachbarlich auf gleichem Grunde.
Doch trennen beide die verschiednen Lose -
Wie könnt die Blume blühn, den Tod im Munde?

Wir aber müssen also nahe dulden
Die giftgen Lügner und des Worts Verräter,
Daß uns zuletzt entgleitet ihr Verschulden -
Wer ist noch rein und wer ist Übeltäter?

Wo stehn die Tapfren alle, die wir lieben
Und tausend Treue nicht, auf die wir zählen?
Ward dieses unsrer Stirne eingeschrieben,
Daß wir die Brüder und die Schwestern schmälen?

Am Ende kein Geschlecht trug tiefres Leid.
Wer hat uns Arme mit uns selbst entzweit?


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III.

So wie den Wald Novembersturm entlaubt,
Im Schnee die letzten Rosen stumm erkalten,
Hat jäher Stoß den Frieden uns geraubt,
Der Unschuld zarte Blüte zwiegespalten.

Vor solchem Eiswind sinken alle Blätter,
Vor einem scharfem Blasen die Millionen.
Gebeugten Haupts stehn wir im Sturz der Wetter
Und demutsvoll im Wirbel der Dämonen.

Des Baums Geduld, der Blume leise Klagen
Verbürgen wohl den späten Sieg des Märzen.
So solln wir still die Schuld der Zeiten tragen
Als wär's verdiente Bürde, Reu im Herzen.

O Leid des Herbstes, das den Lenz verschünt.
O Opfer schwer, das dies Geschlecht entsühnt.


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IV.

Darf ich im Spiegel noch mein Antlitz schaun
Wie früher, Aug in Auge, Licht im Licht?
Darf ich getrost den eignen Zügen traun,
Der eigne Blick dem eignen Angesicht?

Bin ich es selbst, der stündlich Lügen sprach,
Die halb nur mein und halb mir anbefohlen?
Warum, o sag, häng ich dem Zweifel nach,
Als hätt ich selber mir mein Bild verhohlen?

O falsches Glas! Ich bin's nicht den du zeigst -
Und bin ich's doch? Wer von uns beiden trog?
Weh mir, Verschwiegenes! Da du glänzt und schweigst,
Sag du mit Ernst: ich bin es nicht, der log.

Bald schwindet schmerzlich eigne Zwiegestalt
In Gram ermüdet und in Kummer alt.


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V.

Wer häufte solche Schmach auf unser Haupt,
Daß uns Versunkene der Erdkreis schmäht?
Wr hat der Waffen Ehre uns geraubt,
Da schon der Tod die dritte Runde mäht?

Wer schlug mit wilden Flammen der Empörung
Das stille Heim im Tal, das eigne Herz?
Ans letzte Mark der Seele griff Zerstörung
Mit kalter Hand wie Blütenfrost im März.

Sind wir gleich jenen auch des Mordes schuldig,
Der tausendfachen Greuel der Tyrannei?
Wir wenden's nicht. Wir können nur geduldig
Erbitten, daß uns Gott noch gnädig sei.

Verhängnis nimmt den Lauf. Wir Armen müssen
Für einen all und jeder allen büßen.
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VI.

Wir tragen mit die Sünde der Verdammten,
Der ungewußt Verwirrten und Vertauschten,
Der lichten Toren und der Halbentflammten,
Der Schwärmenden, am eignen Blut Berauschten.

Der Eitlen auch, der Prahler und der Sücht'gen,
Der aufgeputzten, prächtigen Kalifen,
Der Ohnemaßen und der Wissend-Flücht'gen,
Der kaum Beseelten, Hohlen, Schmalen, Schiefen.

Auf engem Raum wir all' in einem Boot,
Da eins das andre lärmend schon verklagt.
Ein falscher Griff bedeutet vieler Tod
Und allen Untergang, daß eins versagt.

Dies ist die letzte Stunde der Gefahr.
Wie könnte sie bestehen solche Schar?
VII.

Noch einmal laß uns, Herr, die Triften schauen
Darauf des Friedens zarte Lämmer grasen,
Noch einmal wandeln in den sanften Gauen
Da frohe Hirten die Schalmeien blasen -

Noch einmal lauschen auf des Kuckucks Schlagen,
Von ferner Felsenwand des Echos Hall,
Noch einmal, ach, der Winde leisem Klagen
Und im Gebüsch der süßen Nachtigall -

Noch einmal gib, daß deine hehren Lichte
Wie einst der armen Erde Tröstung spenden,
Daß feierlich die ewigen Gesiche
Die stille Bahn der Seele uns vollenden.

Dein Aug ist mild und deine Hand ist weich.
Schenk uns, den Harrenden, dein frommes Reich.



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VIII.

Noch bluten wir aus abertausend Wunden
Und unsere Seele klagt, sie sei allein.
Des Todes Nähe haben wir empfunden,
Denn der Verderber Gilde prahlt im Schein.

Wir ahnten schon den dunklen Zug der Schatten
Beim kalten Fest der Trommeln und Drommetet
Und spürten längst das innere Ermatten,
Da hundert Fahnen noch im Winde wehten.

Nun, da sie sinken, malt mit bleichen Händen
Die Nacht geheimnisvolle Feuerspuren,
Und keiner deutet an den schwarzen Wänden
Das grausige Geheimnis der Figuren.

Verruchtheit schwindet bald, zum Sterben krank,
Wie einst Belsazars Thron und Tempel sank.


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IX.

Zwar meint er wohl, er wandele im Licht,
Des Bösen blinder Anhang, die Mißbrauchten,
Da in den dumpfen, raschen Strom sie tauchten.
Ob sie nicht sehn, sie bleiben ausgericht't.

Und treiben sie auch nachtwärts sonder Glimmen,
Sie wähnen aufzusteigen und beschwören,
Daß sie der Sonne und dem Tag gehören,
In Fahrt beseligt, da sie also schwimmen.

Uns aber ziemte es, den Wahn zu mindern,
Mit Ernst das Unerbittliche zu sagen,
Ein Halt zu bieten ihren trüben Flüssen.

Doch kaum vermögen selber wir zu hindern,
Daß uns die spülenden von dannen tragen.
Weh, daß wir warten, daß wir schweigen müssen.


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X.

So taub als blind ist die Gealt der Toren.
Was hülfe es, mit Weisheit zu beschenken,
Die andrer Hirne statt der eignen denken
Lassen, hören nur mit fremden Ohren?

Und warum Bilder, wahre Gleichnisse
Den Blöden, Stumpfen, Augenlosen malen?
Sie trauen keinem. glauben nur an Zahlen
Und schreiben aufs Panier Verzeichnisse.

Noch thront am schwarzen Himmel hoch die Nacht,
Die Käuze schrein und Fledermäus' umfliegen
Lustwandelnde Gespenster aus Papier.

Die wahre Geisterschar hält stumm die Wacht
Am Tor der Seele. Käm' der Tag zum Siegen,
Wo bliebe Narrenspuk und Nachtgetier?


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