Sonett-Forum

Normale Version: Alfred Tennyson: The Kraken
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Alfred Tennyson
1809 – 1892 Großbritannien

The Kraken

Below the thunders of the upper deep;
Far far beneath in the abysmal sea,
His antient, dreamless, uninvaded sleep
The Kraken sleepeth: faintest sunlights flee
About his shadowy sides: above him swell
Huge sponges of millennial growth and height;
And far away into the sickly light,
From many a wondrous grot and secret cell
Unnumbered and enormous polypi
Winnow with giant fins the slumbering green.
There hath he lain for ages and will lie
Battening upon huge seaworms in his sleep,
Until the latter fire shall heat the deep;
Then once by men and angels to be seen,
In roaring he shall rise and on the surface die.



Alfred Tennyson

Der Krake
Ü: Josef Riga

Jenseits der Hochsee tiefstem Donnerhall,
Ganz unten in den Grüften des Abyss,
Da schläft der Krake, traumlos, ohne Qual,
Den alten Schlaf; von düst'rer Finsternis
Umringt, in die niemals ein Lichtstrahl dringt.
Das Wasser drüber, tausend Jahre trug’s
Gewalt’ger Schwämme hochgetürmten Wuchs;
In sonderbaren Grotten aber wringt
Sich ein unzählbares Polypen-Drehn;
Tentakel schlagend es den Grund durchfurcht.
Dort wird er für Äonen noch bestehn,
Von Riesenwürmern zehrend, bis einst – jäh –
Das Letzte Feuer heizt die tiefste See;
Dann sehen Mensch und Engel ihn voll Furcht
Brüllend nach oben steigen und zergehn.
Hallo Josef,


Tennyson hat in der ersten Zeile eine interessante Perspektive gewählt.

"Below the thunders of the upper deep;" lese ich als
"Unter dem Donner der oberen Tiefe", was so wörtlich natürlich nicht geht, aber den Donner von Wellen und Brandung oben zu verorten, statt von dort oben in die See zu blicken finde ich eindringlicher. Ein ferner, nicht mehr wahrnehmbarer Wasserspiegel, eine obere Tiefe, die den Seebewohnern ein tiefer Himmel ist....

...ein Jenseits, in das der Kraken im Tode auffährt....
Der Text weckt einige eindrucksvolle Bilder.
Hallo Zaunkönig,

Du hast Recht, die Perspektive des ersten Verses ist reizvoll und ich bin mit meiner etwas banalen Lösung auch nicht besonders zufrieden und überlege noch: ..." unter dem Donner-Hallen tiefster See" ... "unter den Donner-Hallen tiefster See" ? Ich bin mir nicht sicher, wie das Bild im Deutschen funktionieren könnte.
Vielleicht ist unter upper deep so etwas wie die Hohe See, die deutsche Hochsee, zu verstehen. Den nur in der gibt es ja normalerweise auch die enormen Tiefen, die im Gedicht gemeint sind. Aber upper sea ist doch eigentlich ein Wort für einen Binnensee (upper sea-lower sea). Jedenfalls stehen die Begriffe below und upper in einem Spannungsverhältnis, das ich gerne wiedergeben möchte. Aber Tennyson wählt tatsächlich die Perspektive der Tiere, die von unten nach oben sehen; sehr komplex, das Ganze.
Habe die erste Zeile überarbeitet; klingt ein bisschen nach "Die Wacht am Rhein" ( es braust ein Ruf wie Donnerhall),

Gruß
Josef
Hallo Josef,

wenn du noch ändern willst, dann hast du in Zeile 2 Gelegenheit, denn da ist mE etwas poetische Redundanz wenn du von den Grüften des Abyss sprichst. ICh denke die Grüfte könntest du opfern und im Abyss enden. Als Beispiel nicht als vorschlag, damit du siehst was ich meine:

wo Wellen Himmel sind für den Abyss. (das ist schauerlich, ich wei0, soll aber wie gesagt nur veranschaulichen, was ich meine.)

Sneaky
Hallo Sneaky,

im Prinzip ist das ein sehr guter Vorschlag. Ich möchte aber die Grüfte aus dem einfachen Grund nicht opfern, weil sie sozusagen auf die -ebenfalls redundante- düst're Finsternis einen Binnenreim ergeben. Wennn schon Abyss und Finsternis nicht so ganz rein zusammenklingen, will ich wenigstens die beidenü-Laute noch an Bord haben. Grüfte des Abyss/düst're Finsternis.
Ursprünglich hatte ich mit einem morphologischen Zeilensprung Abyss und Düs-ternis miteinander verheiratet, aber das erschien mir doch zu hingestolpert. Ich bin mir darüber klar, dass das Anfangsbild im Deutschen nicht gut zu reproduzieren ist.
Das Gedicht, das wie ein normales Sonett beginnt, versucht ja eine gewisse "Abgründigkeit" durch sein immer mehr aus der Form geraten zu evozieren. Zunächst abab gereimt, wechselt T. zum umschließenden cddc um danach den Leser völlig aus der erwarteten Sonett-Logik herauszuschaukeln und nach 15 statt 14 Zeilen zu enden. So endlos wie das Leben des Kraken ... Das ist, finde ich, das Reizvolle an dem Gedicht, wie T. versucht, die für uns "unnormale" Existenz des Monstertieres durch eine leicht unnormale Gedichtform wiederzugeben.

Gruß
Josef
Dann lehne ich mich doch auch mal ein wenig über die Reeling....



Der Krake

Unter dem Donner obersee'scher Tiefe
kann man ihn fern im tiefsten Abgrund finden.
Der Krake, undurchdringlich traumlos, schlief
den alten Schlaf; Die Sonnenstrahlen schwinden
in seinem Schattenreich. Darüber schwellen
die Schwämme an zu Riffen, ihr Gewicht
emporzustemmen in diffuses Licht.
Doch in den Grotten, Höhlen, Spalten, Zellen,
sich Schwärme von Polypen drehn und wenden;
monströse Finnen Tang und Kelp zerteilen.
Dem Dämmer wird er noch Äonen spenden,
von Riesenwürmern träumend, wenn er schliefe,
bis letzte Feuer heizen diese Tiefe;
Dann sehn ihn Mensch und Engel aufwärts eilen
zum Wasserspiegel um dort zu verenden.
Eine sehr gute, den Text weitestgehend ausschöpfende Übersetzung, ZaunköniG.
Immer wieder beeindruckend für mich, wie viele maritime Spezialausdrücke euch Norddeutschen so zur Verfügung stehen. Das kommt auch der Authentizität des Tennyson-Textes natürlich sehr entgegen. Man riecht buchstäblich das Salzwasser.
Mit den Bildern und verwendeten Begriffen bist du sehr viel näher am Original als ich. Was mir hingegen an meiner Übersetzung besser gefällt, ist, dass es mir gelungen ist, die männlichen (stumpfen) Endreime alle wiederzugeben, was ja im Deutschen nicht so einfach ist, weil wir zu den zweisilbigen, klingenden weiblichen Reimenden aufgrund der deutschen Sprachstruktur tendieren. Ich denke, durch die männlichen Reime wird die Schilderung der stummen, geheimnisvollen Krakenwelt ganz gut untertützt.
Eine kleine Kritik trotzdem: die Formulierung, dass der Krake dort unten "zu finden" ist,
weckt bei mir die falsche Assoziation der "Erreichbarkeit". Das Untier ist aber doch eher ein mythisches (vielleicht gar nicht existierendes?) Wesen, das jedenfalls vor dem Jüngsten Tag, dem St.-Nimmerleinstag, nie zu finden und zu sehen sein wird. Und selbst, wenn er ein real existierendes biologisches Tier sein sollte, wäre er mit den human-amphibischen Mitteln des Jahres 1835 nicht erreichbar gewesen. Wenn Du das "finden" noch wegbekommen würdest, wäre die Übersetzung eine perfekte.

Gruß
Josef
Hallo Josef,

Du überrascht mich!

Ausgangspunkt war die Überlegung, wie man die Krakenperspektive in den ersten Zeilen besser ausdrücken kann. Und mit den Anfangszeilen war ich dann auch zufrieden genug um auch den ganzen Text nachzudichten. Denke aber, dass der Text im weiteren Verlauf abfällt, zumindest gegenüber deiner Fassung, die ich inhaltlich treuer empfinde.

Maritime Spezialausdrücke? Also "oberseeisch" habe ich mal eben erfunden.
Oder meinst du Tang und Schelf? Peinlich, peinlich.... Den Schelf habe ich durch Kelp ersetzt, den ich eigentlich meinte.

Tang und Kelp sind zwar keine Phänomene der Tiefsee, aber das gilt ja ganz allgemein für das Grün.

Das "finden" ist schwer wegzubekommen ohne anderen Aspekten Gewalt anzutun. Wie wäre der Konjunktiv?

"wär er in tiefsten Abgründen zu finden"


Gruß
ZaunköniG
Mir hat der Text in den letzten Tagen auch keine Ruhe gelassen. Das ist dabei herausgekommen:


Wo man die Brandung tiefster See nicht hört,
ihr Donnerhall nicht mehr hinuntersteigt,
kein Sonnenlicht uralten Schlummer stört,
dort ruht der Krake, zeitlos - um ihn schweigt
in seinem Schatten der Korall der Zeit,
der Schwammwuchs der Millenien. Zum Licht,
das krank sich zeigt von oben, ranken dicht
aus Grotten voller Wunder weit und breit
Polypen, die in dieser grünen Nacht
sich träge schlingend ihm die Wiege sind.
Dort liegt er schon seit alter Zeit und bleibt
wo er im Traum mit Riesenschlangen ringt,
bis Surturs Feuer in die Tiefe dringt.
Dann sehen Asen, Menschen ihn geschwind
brüllend aufsteigen, sterben in der Schlacht.
Hallo Sneaky,

mit den Asen und Surtur tust du bestimmt jedem Norweger einen großen Gefallen, denn die Sage vom Kraken ist wohl eine norwegische (daher auch dieses Fremdwort Kraken im Englischen. Damit machst du den Dichter natürlich zum Fan der alten germanischen Heidengötter, die beim Weltende mit Untieren kämpfen. Ob T. das wollte? Jedenfalls ist es eine fantasievolle Neu-Adaption des Textes.

Gruß
Josef


Hallo ZaunköniG,

Der Konjunktiv ist besser.
Dass aber der Krake am Ende aufwärts eilt, ist auch wieder problematisch, denn das klingt so als würde er es gerne und freiwillig und in freudiger Erwartung tun, dabei ist es eine reine Notmaßnahme, die ihn das Leben kostet.

Gruß
Josef
Hallo Josef,

ne, ich glaub auch nicht, dass Tennyson diesen nordischen Schlenker im Sinn hatte. Aber da das Gedicht schon ein wenig Ragnarök-Stimmung verbreitet (mE selbstverständlich) habe ich mich da auf Abwege führen lassen.

Sneaky