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Normale Version: Liliencron, Detlev von: Auf dem Deiche
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Detlev von Liliencron
1844 – 1909

Auf dem Deiche

I.


Es ebbt. Langsam dem Schlamm und Schlick umher
Enttauchen alte Wracks und Besenbaken,
Und traurig hüllt ein graues Nebellaken
Die Hallig ein, die Watten und das Meer.

Der Himmel schweigt, die Welt ist freudenleer.
Nachrichten, Teufel, die mich oft erschraken,
Sind Engel gegen solchen Widerhaken,
Den heut ins Herz mir wühlt ein rauher Speer.

Wie sonderbar! Ich wollte schon verzagen
Und mich ergeben ohne Manneswürde,
Da blitzt ein Bild empor aus fernen Tagen:

Auf meiner Stute über Heck und Hürde
Weit der Schwadon voran seh ich mich jagen
In Schlacht und Sieg, entlastet aller Bürde.


.
II.

Bist du es wirklich? sitz ich neben dir?
Und stoßen aneinander unsre Gläser?
Spielt irgendwo ein Flötenbläser
Sein sanftes Schäferstückchen, dir und mir?

Und sitzen in der alten Halle wir,
Am Pfeiler dort der Kranz der Ährenleser,
Noch unverwelkt die Blumen und die Gräser?
War gestern unser letztes Erntebier?

Wie Gruß aus Grüften ruft der Regenpfeifer;
Häßlich herüber schreit das Möwenheer,
Der see-enttauchten Bank Besitzergreifer.

Langweilig, öde, gleißt das Wattenmeer,
Gezwungen schläft das Schiff, der Wellenschweifer,
Und einsam ist die Erde, wüst und leer.