Es singt das Meer
I.
Es singt das Meer – und macht mich trüb und froh,
Wie wechselnd Bilder sich an Bilder schieben,
Es singt von dem, was schwand, und was geblieben,
Ein flutend Überall und Nirgendwo
Von Traum und Tag. Verschwiegne Wunder so
Der Tiefe klingt es, - Schönheit, die wir lieben.
Es singt von jenem, der den Faust geschrieben,
Von Titian und Michel Angelo.
Es singt das Meer von Christus dem Versöhner,
Von Indien singt es und dem weisen Büßer,
Es singt von Liebe mir, die Wunden heilt.
Und seine Fläche schimmert um so schöner,
Und seine weisen klingen um so süßer,
Da noch im Tiefen das Geheimnis weilt.
II.
Ich stehe in der Halle lichter Weite,
In der die gelben Geigenöne schwirren
Und veilchendunkle Chelloseufzer irren,
Weißsilbern geben Glöckchen das Geleite.
Das ist, als ob sich bunt ein Teppich breite
Von seiden über laute Lebenswirren,
Von fern nur hör ich noch die Waffen klirren,
Da jählings schrillt zerplatzend eine Saite.
Und alles schweigt, - und alles sucht verloren,
Bis endlich rein und klar die Dominante
Die Töne sieghaft führend aufwärts quoll.
Wie Schicksal pocht es an der Zukunft Toren,
Wie weiche Wellen wiegt sich das Andante,
Beethovens ew’ge Fünfte in C-moll.
III.
Es singt das Meer – mit all den ungeweckten
Millionen Stimmen, die im Tiefen ruh’n.
...
Sie sind von Seelen, die zum Licht sich reckten.
Ich möchte steigen zu den Nieentdeckten
Zum Grunde nieder, so wie Taucher tun,
Und löste mir die Füße aus den Schuh’n
Geweihten Grund zu treten, unbefleckten.
Und dort im Dämmerlicht der großen Stile
Gesellt zu seltsam wachem Blütenleben
Belauschte ich der fremden Herzen Schlagen
Viel Rätsel lernend wie einst die Sybille.
Ich aber würde ihnen Kunde geben
Von unsres Lebens lauten Sonnentagen.
IV.
Es singt das Meer – aus seiner ernsten Tiefe
Von allem Leid, das auf der Menschheit lastet,
Von aller meiner Sehnsucht, die nicht rastet,
Und wenn sie hunderttausend Stunden liefe
In dunklen Nächten, die ich gern durchschliefe,
Durch die sich meine müde Seele tastet.
Euch Liebste sucht sie, ob ihr nicht mir faßtet
Die Hand, - ob nicht ein Engel riefe
Am ew’gen Tor, mich ladend zu den Weiten,
Wo reine Geister wohnen in dem Hellen,
Wo Liebe nur der Liebe Antlitz schaut.
Ich möchte gern zu solchem Himmel schreiten
Auf goldner Straße, wie sie über Wellen
Die Abendsonne im Versinken baut.
V.
Ich liege schlummerlos in dunklen Nächten
Und lebe sie im Suchen der Gedanken,
Die sich um Längstvergangnes klammernd ranken,
Daß sie mir meine Toten wieder brächten.
Welch holder Wahn, daß einstmals die Gerechten
Entsündigt vor des Weltgerichtes Schranken
Sich froh gesellen zu den weißen schlanken
Beschwingten Engeln, die mit Liebesmächten
Die Welt durhstrahlen! – Ich nicht kann es glauben,
Doch glaub ich innig an der Liebe Kraft,
Daß sie Gestorbnes neu erwecken mag.
So kann euch, Liebste, mir der Tod nicht rauben,
Denn meine Liebe schafft in jeder Nacht
Als Rufer euch den Auferstehungstag.
VI.
So innig glaub ich an der Liebe Kraft,
Die nicht gestorben ist in Kreuzesqualen,
Und die – bedeckt mit tausend Wundenmalen –
Doch tausendfältig neues Leben schafft.
Es ist ein Riß, der in der Menschheit klafft,
Mit Herzen rechnen sie als wie mit Zahlen,
Und gierig hat der Schlachtentod die fahlen
Zerrißnen Leiber in die Nacht gerafft.
Des Hasses werk! Doch glaub ich, daß auf Erden
Die Liebe sieghaft ihm den Kranz entwindet,
Des Diesseits Kind, daheim nicht nur in Reichen
Der Träume, - Menschen werden Brüder werden,
Ein Band wird sein, das Volk dem Volk verbindet,
Die Liebe einst uns in des Friedens Zeichen.
VII.
Es singt das Meer, ich kann es nicht mehr hören,
Denn ferne bin ich den geliebten Fluten.
Ich weiß, es singt davon, wie Menschen bluten,
Ich weiß, es singt von Heeren, die zerstören.
Ich weiß, am Uferrande stehen Föhren
Auf steilem Hang, verrinnende Minuten
Begießen sie mit Früh- und Abendgluten,
Und zitternd lauschen sie den Wellenchören.
Es singt das Meer, es singt das Lied der Zeit,
Ich weiß es wohl, ich kenne seine Weise,
Das dunkle schwere schicksalsvolle Lied.
Wann sind wir von des Hasses Druck befreit?
Die Möwe stößt herab, indes die Kreise
Im hohen Blau ein schwarzer Adler zieht.