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Normale Version: Lebensweisheit (2)
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Lebensweisheit

I.


Wer, läg’ er an der freude blüh’nden Lippen,
Hieß’ thöricht nicht, wollt’ er im Bruderkreise
Vom Feuertrank der Lust nur kosen leise
Und statt zu trinken, medizinisch nippen.

Ich lache der Gelehrten kalten Sippen,
Die peinigend Entsagen nennen weise
Und für die Rose längst dem Lebensgleise
Sich anbau’n Dornenlager von Gestrippen.

Nur eine Weisheit ist’s: die des Genusses,
Das süße Schwelgen im Bereich des Schönen,
Das neue Testament des Weins, des Kusses,

Wenn alle Herzen Glück und Freude tönen
Und ihren Liebling, zärtlichen Entschlusses,
Mit Eppich nicht zu spröde Mädchen krönen.


II.

Versteht mich recht, das ist es, was ich meine:
Ein Jeder schöpfe von der Freude Bronnen,
Vom Gottesquell der menschlich sel’gen Wonnen,
Nur flieh’ er, was erniedrigt – das Gemeine.

Kein Wölkchen trübe seines Herzens Reine,
Wie schnell ist sonst der holde Traum verronnen,
Ja schneller noch verronnen als begonnen
Und Unkraut wuchert aus dem Rest von Weine.

Was dem allsegnenden allsel’gen Gotte,
Dem einzigen durch und in sich selber Frohen,
Der Teufel mit des Hasses gift’gen Spotte:

Das ist Gemeinheit dem Genuß, dem hohen, -
Die Freude wohnt nicht in der Sünder Rotte
Und selbst die Liebe stirbt im Hauch des Rohen.


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