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Normale Version: Die Kinder der Apenninen (5)
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Die Kinder der Apenninen

I.


Europas Garten athmet uns entgegen,
Betraut mit holdem Liebreiz allerorten
So überreich, daß kaum du magst mit Worten
Bezeichnen des Gefildes goldnen Segen.

Schon fühlen wir sein glühend Herz sich regen, -
Sein Pulsschlag klopft durch morsche Tempelpforten
So heiß noch wie dereinst, wo den Kohorten
Des Cäsarreichs die halbe Welt erlegen.

Stets unvergleichlich schön bleibt dieser Boden,
Geheiligt durch den Griffel der Geschichte,
Deß Monumente keine Zeit wird roden.

Die Trümmer selbst, die steinernen Berichte,
Sie flüstern durch der Bäume grüne Loden
Zum Ruhm des Lands unsterbliche Gedichte.


II.

Drei Kinder spielen dort in Gras und Staube,
Wo der Gebirgskamm schießt aus Lavaschlacken,
Ein plumper Riese, dem an Brust und Nacken
Entkeimt der Weinstock mit der süßen Traube.

Im Mandelstrauche girrt die Turteltaube
Und aus der Felsen vielgestalt’gen Zacken
Erhebt zum Schutze der geborstnen Wacken
Apollo’s Baum sich mit geweihtem Laube.

Die Kinder spielen recht nach Kinderweise:
Der Knabe dient als Roß und ohne Säumen
Beginnt auf ihm sein Schwesterchen die Reise.

Sie zittert nicht, mag noch so wild er bäumen;
Denn sorgsam hält den Trabenden im Gleise
Die andre Schwester mit Gebiß und Zäumen.


III.

O kinderzeit, du Frühling ohne Trauer,
Dir immer ähnlich, wo du auch begonnen,
Sei’s im Palaste, neben Zofen, Bronnen,
Sei’s hinter’m Zaun an halbgestürzter Mauer.

Wie rasch fliehst du, ein Vöglein aus dem Bauer,
Eh’ wir dich noch von Herzen liebgewonnen,
Geschätzt, begriffen erst, wenn schnell verronnen
Du uns verloren bleibst für alle Dauer!

Wohl steigen oft zu den so theuren Hallen
Sehnsüchtig die daraus Verbannten nieder,
Gleich Pilgern, die zum Gnadenbilde wallen;

Doch harren sie umsonst der frühen Lieder:
Die Zinnen und die Säulen sind gefallen
Und keine Hand errichtet je sie wieder.


IV.

Wir schweifen weiter durch die klassischen Gaue,
Den Wohnsitz der Legenden und der Sagen,
Und uns umfängt ein unermeßlich Klagen,
Das durch die Luft hinströmt, die sommerlaue.

Gewaltherrschaft, sie hängt die düstre Braue
Auf diese Fluren, die verschüchtert zagen...
Wir schaudern; denn an Brutus’ Erbteil nagen
Der Knechtschaft Geier mit gezückter Klaue.

So hing der Adler dir einst an der Leber,
Gefesselter Prometheus, dem verschlossen
Durch Götterrathschluß des Gebiet der Gräber.

Die grauenhaft zerrissnen Adern gossen
Blutströme auf des Lichtes milden Geber,
der Sterblichen unsterblichen Genossen.


V.

Ein trübes Bild! Kaum will es sich vereinen
Mit jenen Strophen, die vom stillen Leben
Des Menschenfrühlings uns Bericht gegeben...
Der Schmerz des Volkes trifft nicht diese Kleinen.

Darum zurück zum Hügel mit den Steinen,
Wo bei der Heerde zwischen Moos und Reben
Der Apenninen Kinder lachend schweben,
Glücklich und reich, ob sie auch arm erscheinen!

O mögen sie die Gegenwart genießen,
Die Lust des Daseins auf den Bergen droben,
Wo nicht die Thränen der Leibeignen fließen!

Vielleicht daß einst, wenn bei der Waffen Toben
Der Freiheit Blüthen prächtig sich erschließen,
Ihr Glück schon längst versunken und zerstoben!


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