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Normale Version: An Wilhelm Gietl (3)
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An Wilhelm Gietl

I.


Ein muntrer Bube bin ich ausgezogen,
Die junge Brust von Liebe angeschwellt;
Und früh schon schien der Stern, der's Daseyn hellt,
Der goldne Stern der Liebe mir gewogen!

Doch ach der Täuschung! bald war es entflogen
Das Traumbild, das mir Liebe zugesellt,
Und einsam irr' ich, trauernd durch die Welt,
Die um die erste Liebe mich betrogen.

O nimm mich du auf, du der's redlich meint!
Laß mich in Deinen, laß in Freundes-Armen
Die kalte, lebensmüde Brust erwarmen;

Nur du Geliebter! du, der mit mir weint,
Du bist's, mitz dem sich meine Seele eint;
Denn ach - es kennt die Liebe kein Erbarmen!


II.

Ihr wähnt, man könne nur sein Herz dem Herrn ergießen
Im Heiligthum; da sei's, wo  ihn die Andacht fände? -
Wie, glaubt ihr wohl ein schwaches Werk der Staubeshände
Kann den Unendlichen, den Ewigen umschließen?!

O sagt, wo ist die große Macht, die dort ihn bände?
Ihn, den die Völker jedes Himmelstrichs begrüßen;
Ihn, der von Anbeginn gewesen, der ohn' ende,
Den wähnet ihr in Tempels Mauern einzuschließen!

Jehova wohnt im ew'gen Lichte; nie erschaut
ein sterblich Auge Ihn, den Zeit und Raum nicht bindet;
Doch die Natur hat Er zum Tempel euch erbaut!

Vom fernen Osten an, wo früh der Morgen graut,
Bis dahin, wo der letzte Dämmerschein verschwindet:
Ist Er, der Gott der Liebe, überall verkündet! -


III.

Mitternächtlich Dunkel deckt die irdischen Gefilde,
Und kein Odem wehet; Philomele nur
Flötet ihre Lieder durch die stille Flur,
Zephirs Kosem gleich, das durch die Blütenblätter spielte;

Und das Licht der Sterne droben, ewig klar und milde
Blinkt herab auf unsres Pfades dunkle Spur: -
O wie herrlich bist du schlummernde Natur,
Ernste, tiefe Deutung liegt in deinem Schattenbilde!

Euch ihr ewig klaren, ewig hellen Sterne,
Die ihr ungestört, aus unbekannter Ferne
Auf des Daseyns steten Wechsel niederschaut:

Euch ihr Sterne haben Alle wir vertraut!
Möget ihr, wenn wir durch Dornenpfade schreiten,
Mit dem goldnen Licht der Hoffnung uns begleiten!


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