Sonett-Forum

Normale Version: Der Hunger (2)
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Heinrich Greif
1907 – 1946



DER HUNGER

I.

Alfieri: „E la fama?“
Gozzi: „E la fame?“
Georg Büchner, Vorrede
zu „Leonce und Lena“.


Einst träumtet Ihr von leicht erworbner Beute,
Geraubten Ländern und geraubtem Brot.
Doch brachte Euch der Länderraub nur Not.
Das Brot verdorrte überall. Und heute

Haust schon der Hunger auch in deutschen Landen
Und heischt von deutschen Herzen, ihm mit Heil
Zu huldigen. Der Henker hebt das Beil —
Doch macht der Hunger seine Macht zuschanden.

Es kommt ein Tag in Deutschland — er kommt bald -
Da bleibt Euch nur die Wahl: dem Henker Halt
Zu bieten oder Hungers zu verrecken.

Ihr könnt Euch nicht vor diesem Tag verstecken.
Es kommt der Tag — da greift Ihr zur Gewalt.
Der Hunger nimmt dem Henker seinen Schrecken.

II.

Gozzi: „E la fame?“
Alfieri: „E la fama?“

Der Hunger nur? Nicht auch die stete Drohung
Ehrlosen Räubertods? Die Schmach des Mords
An freien Völkern? Des gebrochnen Worts?
Die Schande der Entrechtung und Verrohung?

Der Hunger nur? Nicht auch das heiße Streben
Zu Eures Vaterlands und Euerm Ruhm
Den Wust von Lüge und Verbrechertum
Hinwegzufegen? Kühn sich zu erheben?

Der Hunger nur? Nicht auch der Ruf der Ehre?
Der Überdruß an feiger Folgsamkeit?
Das Wissen, daß nur Euer Strafgericht

An Euern Führern Euch von aller Schwere
Der Mitschuld an dem Grau’n des Kriegs befreit?
Der Hunger nur? Der Durst nach Freiheit nicht?



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