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Normale Version: Sonette aus der Ferne (14)
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Heinrich Greif
1907 – 1946



SONETTE AUS DER FERNE

I.

Daß nicht das deutsche Volk, nur eine Bande
Von Peinigern des deutschen Volks die Welt
Mit Unheil übersät und Deutschlands Schande
Verschuldet habe — das zu glauben, fällt

So manchem heute schwer. Denn durch die Lande
Europas rast, vom deutschen Volk gestellt,
Millionenköplig, eine Mörderbande,
Die ihren Peinigern die Treue hält.

Und dennoch bleibt es wahr, daß dieser Krieg
Mit der Entmündigung des Volks begann,
Das heute hochmutblöd die Welt bekriegt.

Im eignen Land besiegt, jagt es nach Sieg,
Bis es erkennt, daß es nur siegen kann,
Wenn es in diesem Kriege unterliegt.

*) Dieses Zitat stammt aus dem Armeebefehl, den Stalin als
Volkskommissar für Verteidigung am 23. Februar 1942 erlassen
hat. (Der Herausgeber M. V.)


II.

Ihr, die Ihr von der Welt in heil’gem Hasse
Eroberer, Banditen, Unterdrücker,
Von Euren Führern aber Weltbeglücker,
Der Menschheit Blüte, Recken, Edelrasse

Geheißen werdet, seid doch nur die Masse,
Die immer, wenn sie ihre Hand dem Werke
Der Unterdrückung Fremder leiht, der Stärke
Der eignen Unterdrücker dient. O lasse

Sich keiner täuschen! Was Ihr Böses tut,
Das tut Ihr Euch. Indes Ihr leiden macht,
Schlägt Euch das Leiden fest in seine Bande.

Und ebenso verströmt Ihr Euer Blut
Wie Eure Opfer. Nur — o welche Nacht! —
Habt Ihr zu alledem auch noch die Schande.


III.

Hab’ ich mit Euch auch wirklich nichts gemein,
Ihr Deutschen, die Ihr Deutschlands Namen schändet?
Kann ich mit meiner Rettung glücklich sein,
Wenn Euer Weg in Tod und Grauen endet?

Seid Ihr nicht Deutschland? Wenn Ihr Deutschland seid,
Muß auch in mir ein Stück von Euch noch leben.
Doch auch in Euch muß dann im Lauf der Zeit
Ein Stück von mir sich gegen Euch erheben.

Wärt Ihr nicht Deutschland, ja, was wärt Ihr dann?
Und welches Land sollt’ ich dann Deutschland nennen?
Untilgbar wäre, was uns heute trennt,

Und ohne Hoffnung riefe ich Euch an.
O, lieber will ich mich in Euch erkennen,
Als daß Ihr niemals Euch in mir erkennt.

IV.

Ich spreche zu Euch aus der Ferne — weit
Bin ich von Euch entfernt in Raum und Zeit.
Ich spreche zu Euch aus dem großen Land,
Das Eures Führers Horden überwand.

Ich spreche zu Euch aus des Volkes Geist,
Das allen Völkern Weg und Richtung weist.
Ich spreche aus der Welt Gemeinsamkeit
In Eure weltverlorne Einsamkeit.

Doch auch aus Euch, Ihr Fernen, spreche ich:
Aus Euern Zweifeln, Eurer Schweigsamkeit,
Aus Eurer Angst und Not, aus Euerm Leid,

Aus Eurer Zukunft und Vergangenheit.
Ich bin Euch näher, als Ihr selbst es seid.
Die Qualen Eurer Stummheit räche ich.


V.

Wodurch seid Ihr geworden, was Ihr seid:
Das Rätsel und der Schrecken einer Welt?
Durch eine Bande, die Euch niederhält?
Durch eines „großen Mannes“ Schlechtigkeit?

Nein, es verdarb Euch eine stärk’re Macht:
Ein Weltsystem, das, schon dem Tod geweiht,
Noch Krisen, Kriege und Verführer speit,
Hat Euch besonders reich damit bedacht.

Die Bande aber und der „große Mann“
Sind ebenso das Werkzeug Eurer Taten,
Wie Ihr das Werkzeug ihrer Taten seid.

Sie freilich können Eurer nicht entraten.
Doch Ihr fangt Euer Werk erst wirklich an.
Wenn Ihr von diesem Werkzeug Euch befreit

VI.

Wodurch bin ich geworden, was ich bin?
Als Deutscher wurde ich wie Ihr geboren.
Doch habe ich mich nicht wie Ihr verloren
An Mord und Raub und blutigen Gewinn.

Bin ich vor meinem Volke auserwählt?
Bin ich ein Einzelner, der seine Hände
In eitel Unschuld wäscht und der am Ende
In der Geschichte seines Volks nicht zählt?

Nein, was ich bin, das bin ich nicht durch mich.
Und was ich denke, denk’ ich nicht allein.
Was heute aus mir spricht, verwirklicht sich
Und wird schon morgen Euer Kampfruf sein.

Der Anblick Eurer Schmach hat mich entfacht
Und Euer Schweigen mich beredt gemacht.


VII.

Zwischen Euch und mir steht der Verderber
Deutschlands, dem Ihr Treue bis zum Tod
Feierlich gelobt habt. Eure Not
Hat er gut genutzt — der Todeswerber.

Doch ich trete mit der Wucht der Fragen
Zwischen ihn und Euch. Habt Ihr die Pflicht,
Weiter ihm zu folgen? Ist es nicht
Eure Pflicht, Euch von ihm loszusagen?

Seid Ihr Deutschland weniger verpflichtet
Als dem Scharlatan, der es vernichtet?
Hinterging er Euch noch nicht genug?

Hat Euch Deutschland denn für ihn geboren?
Oder habt Ihr Treue ihm geschworen
Bis zu Deutschlands letztem Atemzug?


VIII.

Ich setze Euch nicht Euern Führern gleich.
Doch habt Ihr selbst Euch ihnen gleichgesetzt.
Ich sage: Nein, Ihr irrt Euch, denn ihr Reich
Ist nicht das Eure und es wird zerfetzt

Von Euch. Wenn Ihr das heute noch nicht wißt,
So wißt Ihr doch schon mehr, als Ihr bekennt.
Ihr zögert, weil die Angst noch in Euch ist,
Daß Euch die Welt genau so schuldig nennt

Wie jene, die in Euerm guten Namen
Europa zu versklaven sich erfrechten.
Schon vorher machten sie ja Euch zu Knechten!
Und Ihr sagt noch zu Allem Ja und Amen?

Bekennt Euch! Stürzt die blut’ge Tyrannei!
So macht Ihr Euch von allen Ängsten frei.


IX.

So geht es nicht. So wird es niemals gehen:
Mit einem solchen Führer siegt man nicht.
Ihr müßt der Wahrheit in die Augen sehen.
Die Wahrheit aber ist: So geht es nicht.

Die Wahrheit ist: Ihr habt den Krieg verloren.
Die Wahrheit ist: Ihr wart den Sieg nicht wert.
Die Wahrheit ist: Ihr hattet Euch verschworen
Zu einem Werke, das Euch tief entehrt.

Und immer näher rückt Ihr dem Verderben.
Und furchtbar droh’n Euch Rache und Gericht.
O haltet ein! Auf daß nicht Eure Erben

Von Euch berichten: „Sie verstanden nicht
Zu leben und zu kämpfen, nur zu sterben
Verstanden sie „O fürchtet den Bericht!


X.

Seid Ihr Verdammte denn, daß Ihr, verblendet,
Das Beste, was Ihr habt: Gesundheit, Blut
Und Leben, Heimatliebe, Fleiß und Mut,
Geduld und Opferfreudigkeit verschwendet

An einen Kampf, der Eure Ehre schändet
Und in des raubbesessener, wilder Wut
Schon die Entscheidung fest beschlossen ruht,
Daß er mit Eurer Niederlage endet?

Wann endlich zeigt Ihr Mut, um Euch die Ehre
Zurückzuholen? Wahn wohl schickt Ihr Heere
Der Freiheit aus? Wann zieht Ihr in den Krieg,

Um diesem Krieg ein Ende zu bereiten?
Wann werdet Ihr für Eure Sache streiten
Und Opfer bringen für den eignen Sieg?


XI.

Seid Ihr, wenn man das braune Mordgelichter,
Das Euch um Euern guten Namen brachte
Und Euch zur Geißel ganzer Völker machte,
Einst richtet, mitgerichtet oder Richter?

Noch hat die Welt die Frage nicht entschieden.
Noch wartet sie, daß Ihr sie selbst entscheidet.
Denn leidend weiß sie. daß Ihr selber leidet,
Und wünscht Euch einen ehrenvollen Frieden.

O richtet die, die Euch zum Unrecht zwangen,
Auf daß Ihr selber nicht gerichtet werdet!
Beweist der Welt, die Ihr im Wahn verheertet,

Daß Ihr dem Wahn, des eignen Landes Glück
Durch fremder Länder Unglück zu erlangen,
Entsagt. Erobert Euer Land zurück!


XII.

Da blicken sie auf Euch und fragen: Wie
War es nur möglich, daß ein Volk inmitten
Europas so verwilderte? Gelitten,
Wie Ihr gelitten, haben sie ja nie.

Sie selber trieben Euch der Wildheit zu.
Sie wußten ihren Sieg nicht zu verwenden,
Europas Streit und Jammer zu beenden,
Und. schoben Euch des Erdteils Lasten zu.

Nun, da Ihr meutertet, erwarten sie
Von Euren Freunden, die Ihr blöd und blind
Zu Euern Feinden machtet, Ihre Rettung.

Und diese, um sich selbst zu retten, sind
Gezwungen, Euch zu überwinden, die
Sie gern gerettet hätten. O Verkettung!


XIII.

Von diesem Volke überwunden, werdet
Ihr vor Euch selbst gerettet sein.
Denn wer dies Volk bekämpft, bekämpft sich selber.
Mehr noch als die Heimat dieses Volks verheertet

Ihr Eure Seelen. Was Ihr so begehrtet —
Den Sieg — habt Ihr verscherzt, als Euer Heer
Die Grenzen Rußlands überschritt. O schwer
Gefährdet sich, wer dieses Land gefährdet.

Jetzt gibt es nur noch eine Art zu siegen:
In diesem Kampfe willig unterliegen.
Das Volk, das Euch besiegt, führt Euch zurück

Zu Euerm Wesen und zu Euerm Glück
Und — mag Euch heute auch noch Angst erfüllen —
Vollstreckt als Sieger Euern wahren Willen.


XIV.

(Februar/April 1942)

Wollt Ihr, bis and’re Völker Eure Ketten
Zerschlagen, warten? Selber keine Hand
Für Eure Freiheit rühren? Euer Land
Nicht selber vor dem Untergange retten?

Wollt Ihr von denen, die Euch tief zu hassen
Das Recht wohl hätten, da Ihr sie bedroht.
Doch denen Völkerhaß ein streng Gebot
Verbietet, Euch die Freiheit schenken lassen,

Statt, kämpfend gegen Euern wahren Feind,
In diesem Kampfe mit der Welt vereint,
Euch Eure Freiheit selber zu erringen?

Wie viele Opfer habt Ihr schon gebracht
Für Eurer Henker blutbefleckte Macht!
Für Eure Freiheit wollt Ihr keine bringen?




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