Sonett-Forum

Normale Version: Die Sonette
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Ernst Freiherr von Feuchtersleben
1806 - 1849



Die Sonette

1.

Und wagt ihr euch, verwegne Klanggedichte,
Mit eurem schnellverhauchenden Geflüfter,
Zur Welt, die euch der herrlichften Geschwister
So viele nahm, — daß fie auch euch vernichtet

Und kennt ihr auch die heut’gen Kunstgerichte?
Den harten Sinn bedächt’ger Form-Verwüster? —
Ihr senkt die Schwingen? euer Aug’ wird düfter?
Wie? schon geblendet? kaum am Tageslichte?

Ihr fühlt zu spät jetzt eure Nichtigkeit!
In euch ift nichts, was jene Rhadamante
Bestäche! Leider fehlt euch das Pikante,

Tendenz, Effect, Satire, Wichtigkeit,
Qual, Grauen, Jammer, hoffnungslose Liebe, —
Ich wüßte wahrlich nicht, was euch noch bliebe!



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2


Wer will das Maß der hoͤchsten Schickung meflen?
Frost tilgt die Früchte jahrelangen Schweißes,
Gram bricht fo manches Herz, und niemand weiß es
Und niemand fragt: warum? und niemand :wessen?

Die Welt ist voll getheilter Intereffen,
Ein kalt Gemüth verdrängt so oft ein heißes,
Und ah! ein Kind fill» liebevollen Fleißes,
Ein zart Gedicht, — wie bald ist es vergessen!

Und doch! der Sänger hört nicht auf zu singen,
Ein schönes Herz hört niemals auf zu lieben:
Ein Etwas ist vom ält’sten Lied geblieben,

Was nach Jahrtaufenden uns übermeistert:
Es ist der Geist, der Form gibt allen Dingen,
Es ist die Form der Dinge, die begeiitert.



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