Sonett-Forum

Normale Version: Nach Trakls "Verfall"
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Ein Sonett, das ich mit dem Grundmotiv von Trakls "Verfall" geschrieben habe.

Am Bahnhof. Nach Hause wollen


Der Bahnsteig: aufgerissen. Pflanzen: quergestreut.
Die Sonne: Stein aus Licht. Der Himmel: Wolkenstaub.
Erstarrt im Fels des Tags. Der schönste Traum vertäut
an faulem Steg. Betrauern wir den Sternenraub,
den dieser Sommer büßen soll? Der Weg ein Hall:
Das Zügerauschen bringt die Hitze wieder, bringt
die Zeit, die wir vermissen wie den goldnen Ball,
der uns beglückt: Aus dieser schalen Hitze schwingt
das Pendel unsrer Sehnsucht, doch vom Traum getrennt,
den wir uns einst erdachten. Weg: du Pflastergrab.
Der Himmel: Wolkenstaub. Was jeder schnell erkennt:
Gebüsch verdorrt am Wegesrand. Der Lichterstab
verschwindet in den Weiten. Sehnsucht: falscher Preis.
Der Bahnsteig: aufgefetzt. Gestrüpp verdorrt am Gleis.
Hallo Matthias,

Wenn ich Deinen Text mit Trakls Verfall vergleiche, so ist von deinem Vorbild nicht viel übrig gebrieben, und so würde ich es eher als eigenständige Schöpfung behandeln.
Interessant die Kombination von eher elegischem 6-Heber und stakkatohaften Satzbruchstücken, die das Eingangsmotiv "aufgerissen" gut umsetzt. im Mittelteil kommst du Trakel etwas näher.
"Der Himmel: Wolkenstaub" kommt zweimal in Text vor. Absicht? Ich halte das nicht für eine Schlüsselstelle, die man wiederholen muß.
In der Schlusszeile scheint mir "aufgefetzt" ein zu expressives Attribut, aber ich habe vielleicht nicht deine Bilder vor Augen.

In deiner "Vorstellung2 beschreibst du dich noch als Suchenden? Ich glaube du bist da auf einem guten Weg - da ist schon eine sehr eigene Stimme zu hören.

Gruß ZaunköniG
Ich hatte hier den Anspruch, ein Sonett in Alexandrinern zu schreiben, wobei sich die Zäsur an völlig unterschiedlichen Stellen befindet. Den Verfall der "klassischen" Fortbewegungsmöglichkeit - der Eisenbahn also - wollte ich damit demonstrieren. Nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich sollte sich das niederschlagen. Ich hatte dabei den Bahnhof in meiner eigenen Stadt vor Augen, konkret: den Bahnhof im Sommer. Von einigen Reisen her kenne ich das Problem. Von Trakls Gedicht sollte auch nur das Grundmotiv des Titels übrigbleiben, ich wollte sonst nicht an sein Sonett anknüpfen.
Der "Wolkenstaub" verweist darauf, dass diese Schwierigkeit nicht nur den Bahnhof betrifft. Alles ist vom Hauch des Verfalls umgeben, selbst der paradiesische "Himmel". Deshalb muss die Wiederholung auch sein.
Dieser Eindruck verstärkt sich, als dem Lyrischen Wir die Situation bewusst wird. Dass der Bahnsteig "aufgefetzt" ist, kann man als Überreaktion werten, in Anbetracht der Durchdringung des Problems ist das jedoch durchaus angebracht.
Danke für deinen Kommentar.