Sonett-Forum

Normale Version: Antwort an einen kitschigen Räuber
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Ein Kollege hat mir letztens erzählt, er habe Gedichte für seine Freundin geschrieben, zweifle aber an deren Authentizität. Sie seien womöglich zu kitschig und zu sehr von gelesenen Dichtern inspiriert. Ich sandte ihm ein paar Tage nach dem Gespräch folgende zwei Sonette als Antwort - Puristen seien gewarnt: sucht nicht vergebens nach Metrum, Ebenmass der Silben und herkömmlichen Reimschemen.

Schreib Gedichte, die dir nehmen,
was in deinem Herzen glüht,
was in deinem Bauche brüht,
was dir deinen Geist bemüht.

Schreib Gedichte, wenn sie geben
andern, was wie Wahrheit klingt,
andrer Schönheit klar besingt,
andern Freude gar so bringt.

Denn, lieber Freund, Gedichte sind,
was wohl jedes Menschenkind,
so glaube ich, nicht missen will.

Dies ist Beachtung - zu sein erhören.
Ist auch Zuneigung - zu sein Begehren.
So schenk sie schreibend, schweigend, still.

*

Bedenken hast du mir genannt,
die in deinem Kopf entbrannt.
Du hättest Verse abgeschrieben
und kitschig' Worte nicht vermieden.

Die Texte seien eine Widmung,
eine treue Liebesdichtung.
So frag ich dich: wen soll wer lieben?
Die Frau, du selbst, Wort, das geschrieben?

Und meine ich in gutem Glauben,
ist Sprache knapp an Elementen
und dennoch weicht sie dem Begrenzten.

Und Poesie darf Worte rauben,
solange sie sie selber setze,
Gefühl, Gesetze nicht verletze.
Hallo Pumuckel,

Stimmt schon: an ein Widmungsgedicht werden andere Maßstäbe angelegt. Der Bewidmete wird es nicht in erster Linie als Kunstwerk bewerten, sondern als Brief. Da ist Originalität nicht so wichtig wie Glaubwürdigkeit. "Autentizität" ist dabei schwer von aussen zu beurteilen.
Kein Gedicht kommt ganz ohne irgendwelche Vorlagen aus. Sonst müßte man jedesmals die ganze Sprache neu erfinden. Aber ob ein Vers seine Gefühle für die Angebetete ausdrückt und eher seine Ergriffenheit von anderen Gedichten, Liedern oder Filmen...
wer wollte das beurteilen, wenn nicht Autor selbst?

Zu Deiner vorauseilenden Selbstkritik: Metrisch läuft es doch über weite Strecken rund. Den Rest bekommt man mit etwas Übung schon hin. Grammatisch finde ich die Zeilen 12/13 im ersten Sonett ziemlich ungelenk - und da hakt es dann auch metrisch. - Das ist kein natürlicher Sprachfluß.

LG ZaunköniG
Danke für deine Antwort. Mit den Versen 12/13 hast du natürlich Recht. Ich hab da auch Varianten probiert bei der Produktion, wobei ich die Phrasen nach den Gedankenstrichen belassen wollte. Was mir am zu sein erhören / zu sein Begehren eben gefällt, ist die semantische Umwertung derselben zwei Worte (zu sein). In 12 geht es darum, dass man erhört, dass man ist. In 13 geht es darum, dass man ist, was begehrt wird. Einmal ist man, einmal hört man, aber in beidem kommt sein vor.
Hallo Pumukel,

so ganz kam die Intention nicht bei mir rüber:

"zu sein erhören." lese ich eher im Sinne von "ganz Ohr sein" also nicht unbedingt selbstbezogen.
genauso lese ich "zu sein Begehren." als "ganz Begierde sein".
Mit solcher Privatgrammatik sind Missverständnisse fast vorprogrammiert.

LG ZaunköniG