Sonett-Forum

Normale Version: Eine deutsche Weihnacht
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Die Glocken klingen laut zum Weihnachtsfeste,
ein Stern blinkt hell wie eine Leuchtreklame.
Ein Fettfleck ziert das Abendkleid der Dame,
ein Rotweinklecks des Hausherrn weiße Weste.

Am Christbaum flackern letzte Kerzenreste.
Im Kripplein liegt ein Kind. Wie war sein Name?
Es ist längst tot, zu schwach war Jesses Same,
und jung zu sterben war vielleicht das Beste.

Im Garten kaut der Sohn auf der Zigarre,
stiert in die Nacht - die Nacht, in der sie wachten,
er und sein Freund, stets griffbereit die Knarre,

gemeinsam über Herrenwitze lachten,
jetzt liegt er unterm Schnee in Leichenstarre.
Und bald geht es erneut hinaus zum Schlachten.

Erste Fassung:

Die Glocken klingen laut zum Weihnachtsfeste,
ein Stern blinkt hell wie eine Leuchtreklame.
Ein Fettfleck ziert das Abendkleid der Dame,
ein Rotweinklecks des Hausherrn weiße Weste.

Am Christbaum glimmen letzte Kerzenreste,
darunter liegt ein Kind. Wie war sein Name?
Es ist längst tot, zu schwach war Gottes Same.
So jung zu sterben war vielleicht das Beste.

Im Garten kaut der Sohn auf der Zigarre,
stiert in die Nacht - die Nacht, in der sie wachten,
er und sein Freund, stets griffbereit die Knarre,

gemeinsam über Herrenwitze lachten,
jetzt liegt er unterm Schnee in Leichenstarre.
Und bald geht es erneut hinaus zum Schlachten.
Hallo Halbe Frau,

Auch Dir ein herzliches Willkomen im Forum.

Schön, daß du dich einem aktuellen Thema annimmst, allerdings denke ich daß man dort sauberer arbeiten muß als wenn man bspw. Mythen bearbeitet.

Das erste Quartett gefällt mir recht gut, wie es das hohe Fest als triviale Fressorgie entlarvt.

Das zweite Quartett finde ich nicht so gelungen.
1.: Echte Kerzen "brennen" auch auf dem letzten Zentimeter, sie "glimmen" eigentlich nur einen kurzen Moment während sie verlöschen. Vielleicht fällt dir da noch etwas anderes ein. "flackern"?
2.: Auch eingefleischte Atheisten, die Weihnachten nur als jährliches Geschenkefest zelebrieren, kennen einerseits den Namen des Kindes und würden andererseits auch nicht danach fragen.
3.: Zu schwach war Gottes Same? Wenn Du schon auf die Gottesherkunft von Jesus Bezug nimmst, so ist die nicht als Zeugungsakt wie z.B. bei den griechischen Göttern zu denken. Theologisch korrekt hat sie den heiligen Geist empfangen. Der Same scheint mir hier nur dem Reim geschuldet.
3.: Wie Du es formulierst entsteht der Eindruck, daß es noch in der Krippe gestorben ist, was mit der echten Weihnachtsgeschichte nun wirklich nichts mehr zu tun hat.
Hier könntest du evtl. statt auf Jesus selbst, stärker auf die Holzfigur hinweisen, die steiff und starr unterm Baum liegt. Da hättest du dann auch eine Parallele zur späteren Leichenstarre.

Die Schlusszeilen sind stark!
Etwas bedenklich finde ich die Z.13. Wenn die beiden gemeinsam wachten und einer nun schon auf Heimaturlaub ist, liegen da wohl mehr als 24 Stunden dazwischen.
Ist denn ein Fall bekannt wo ein gefallener deutscher Soldat nicht geborgen werden konnte?
Wie oben schon erwähnt, finde ich, daß man gerade bei aktuellen Themen sauber arbeiten muß.
Vielleicht genügt es schon, wenn man die Zeile in die Vergangenheit setzt.

LG ZaunköniG
Hallo Zaunkönig,

es war eigentlich Zufall, dass ich auf dieses Forum gestoßen bin, denn ich war auf der Suche nach Sonetten von Sneaky. Nun bin ich recht froh, denn ich bin dem Sonett verfallen, möchte mich in dieser Kunst üben und viele schöne Werke lesen.

Nun zu deiner Kritik:

Ja, du hast recht. Kerzen glimmen nur einen Moment. "Flackern" gefällt mir sehr gut, und ich werde dieses Wort gerne übernehmen.

Auch für mich ist S 2 noch unklar.

Dass die Christen im Gedicht und anderswo sich nicht mehr an den Namen des Kindes erinnern, ist im übertragenen Sinne gemeint.

Ebenso der "Same". Erst hatte ich da stehen "dieser Same" – im Sinne von der Saat, die aufgegangen ist, nämlich die Heilsbotschaft. "Gottes Same" war daraus geworden, weil nicht eindeutig erkennbar war, um welches Kind es sich handelt. So wurde die Vermutung laut, es wäre ein Kind von armen Leuten, das zum Christfest aufgebahrt ist. Insofern hast du wohl recht, wenn du schreibst, dass der Eindruck entstehen kann, das Kind sei schon in der Krippe gestorben.

Über diese Strophe muss ich noch mal gründlich nachdenken. Für Anregungen bin ich dankbar.

An "steif und starr" hatte ich auch schon gedacht, doch wollte ich das Wort "starr" nicht zweimal verwenden, da es ja in der "Leichenstarre" noch mal vorkommt. Aber gut, als Parallele könnte es vielleicht gelten.

Deinen Hinweis auf Z 13 verstehe ich nicht. Ob der tote Soldat nun geborgen werden konnte oder nicht – er liegt unter dem Schnee begraben. Ich hatte nicht die Vergangenheitsform gewählt, weil sein Tod unabänderlich und für den Zurückgebliebenen allgegenwärtig ist (?).

Vielen Dank für deine nützlichen Hinweise zum Gedicht. Es ist für mich noch nicht abgeschlossen, denn auch ich sehe ich so, dass dieses Thema ein sorgfältiges Arbeiten verlangt, damit die Wirkung nicht verfehlt wird.

Lieben Gruß
Halbe Frau
Hallo Halbe Frau,

Der Tod ist unabänderlich, so weit so richtig, aber die Leichenstarre endet nach 24 bis max. 48 Stunden, und daß er ordentlich bestattet wurde geht aus deinem Text nicht hervor. Ich hatte da ein Bild vor Augen, daß er so wie er gefallen war noch immer im Feld liegt und langsam zugeschneit ist. Naja, so sehr stört mich die Stelle nicht.
Ich bin mehr gespannt, was Du aus der zweiten Strophe machst.

LG ZaunköniG
Hallo Zaunkönig,

ich habe mir noch mal Gedanken gemacht und das Gedicht geringfügig geändert. Die Änderungen habe ich in Fettdruck hervorgehoben. Nun würde mich deine Meinung dazu interessieren.

Lieben Gruß
Halbe Frau
Hallo Halbe Frau,

Bis auf das Flackern, das du übernommen hast, ändern Deine Korekturen kaum etwas an an meiner Kritik. Schade, daß man Original und Bearbeitung nicht direkt vergleichen kann. Insbesondere der Same macht mir noch Probleme, aber vielleicht gibt es einen Weg. Statt der direkten Göttlichen Herkunft (Maria Empfängnis) könntest Du dich auch auf die ältere Vorstellung der Königsabstammung berufen (Jesses Same).

In Z 12 haben mir die Herrenwitze besser gefallen, aber das ist reine Geschmacksache.

LG ZaunköniG
Hallo Zaunkönig,

ich habe das Original der bearbeiteten Fassung hinzugefügt, danke für den Hinweis.

Der "Same" lässt auch mich noch grübeln. Ich hatte ihn ja im symbolischen Sinne verwendet: Die Saat, die Gott säte ("Friede den Menschen auf Erden") ist verkümmert. Es will mir leider nicht gelingen, diese Intention in S2 deutlich zu machen. "Jesses Same" erscheint mir von der biblischen Richtigkeit her als brauchbare Alternative. Vielleicht wird mein Gedanke daraus schon deutlich, da es ja bereits im Alten Testament im Fünften Gebot heißt: "Du sollst nicht töten!"

Die Herrenwitze haben auch mir besser gefallen, jedoch stehe ich vor der Schwierigkeit, dass die Beteiligung der Deutschen an Kriegen über die Zeiten hinweg bis zum heutigen Tag ein ungelöstes Problem darstellt. Sowohl die "Knarre" (Landserdeutsch) als auch die "Herrenwitze" (gebräuchlich bis in die dreißiger Jahre) sind aber bestimmten Epochen zugeordnet.

Lieben Gruß
Halbe Frau
Hallo Halbe Frau,

Knarre und Herrenwitze würde ich auch heute noch als umgangssprachlich gelten lassen, wenn auch nicht unbedingt jugendlich/modern. Vielleicht ginge auch "Zoten", wobei der Euphemismus "Herrenwitze" besser auf die Rückblende passt. Die Witze mögen derbe und schlüpfrig gewesen sein, aber wesentlich ist doch hier die erinnerte Gemeinschaft.

LG ZaunköniG
Hallo Zaunkönig,

ja, ich denke du hast recht, zumal es sich bei dem Soldaten ja um einen "Sohn aus gutem Hause" handelt. Ich werde wieder die Herrenwitze nehmen.

Die "Knarre" finden wir auch heute noch im allgemeinen Sprachgebrauch, doch es gab sie noch nicht im Ersten Weltkrieg. Aber das sind vielleicht Haarspaltereien. Dann müsste ich ja die beiden Terzette komplett umschreiben.

Lieben Gruß
Halbe Frau
Ich denke daß "Knarre" lautmalerisch ist, nach dem Geräusch von Maschinengewehren. Tragbare MG's haben sich erst im 2. Weltkrieg etabliert.
Dein Gedicht spielt in der Gegenwart. Ein Begriff der heute noch in Gebrauch ist, passt da auch rein, egal ob er 80, 180, oder 800 Jahre alt ist.
Alternativ könntest du auch die Flinte nehmen. Fachlich ist das nicht ganz korrekt aber umgangssprachlich geht das auch, wenn du noch die passenden Reime findest.

LG ZaunköniG