Anhaltelager
Wie vieles andre hat man die Erfindung
dem Inventar des Krieges abgeguckt:
Barackenstadt, die Tausende verschluckt,
umzäunt von Stacheldraht, der in Verbindung
mit scharfem Wachdienst und so mancher Mündung
von Schießmaschinen, da und dort geduckt,
dafür zu sorgen hat daß keiner muckt,
der Bürger ward in dieser saubern Gründung.
Doch werden Menschen hierzuland nicht so
wie anderwärts in Lagern konzentriert;
das Wort ist undeutsch, die Bedeutung roh.
Hier hält man an. Das Substantiv verliert
den harten Klang. es gibt sich walzerfroh.
Hier ist man - in der Sprache - kultiviert.
Bescheid
Im Lauf der nächsten Tage ward die Runde,
die hier der Willkür Wind zusammenblies,
allmählich abgebaut. Aufruf entriß
jetzt den, dann jenen dem vertrauten Bunde.
Zu welchem Zweck, aus welchem weisen Grunde
man übersiedelte, blieb ungewiß;
doch schlug für jeden nach der Finsternis
der Ungewißheit die Erlösungsstunde.
So auch für dich. Wirst du vielleicht befreit?
Hat dich geheime Hoffnung nicht betrogen?
Du kriegst es schwarz auf weiß. Es heißt Bescheid
und ist ist im Grund von A bis Z erlogen.
Anhaltelager. Unbestimmte Zeit.
Wohlan, du hast das schwarze Los gezogen.
Zusammenbruch
War es die Qual des Abschieds von den Deinen?
Ließ des Bescheides ungerechter Spruch
dir augenblicklich deines Lebens Buch
besudelt, wenn nicht gar zerstört erscheinen?
Wie kam es über dich? Du mußtest weinen
und schämtest dich zugleich: Zusammenbruch!
Tränen der Wut! Und jede ward zum Fluch:
Das alles büßt ihr noch, ihr großen Kleinen!
Nicht dieser Tränen, nein, der Tränen all
vereinter Strom, geweint in Zornesschwäche
von Ungezählten; nicht ein einzelfall,
nein, aller Fälle Fluchgemeinschaft räche,
was ihr verbracht, daß eurer Lügen Wall
im Sturm der Wahrheit bald zusammenbreche!
Verladung
Verliere nicht vor lauter Zorn den Faden!
Sentimentalität ist fehl am Ort.
Kein Wort zuviel, zuwenig auch kein Wort!
Gefühlsverwirrung kann der Sache schaden.
Im Hofe werden wir wie Vieh verladen;
zwei große Grüne bilden den Transport.
So führt man Menschenfracht beliebig fort
in einem Staat des Rechts von Gottes Gnaden.
Der Kasten ist aufs Höchstmaß vollgepfropft.
Schwül drückt die Luft. Man quetscht sich auf den Bänken.
Nun wird noch Polizei hereingestopft,
den Schandarrest zu sichern und zu lenken.
Dann geht es los. Du hast genug geklopft,
empörtes Herz! Jetzt heißt es ruhig denken
Reise
Die Außenwelt ist nur durch schmale Schlitze
vom Innern des Gefährtes zu erspähen.
Um lang schon nicht Gesehenes zu sehen,
genügt's. Du lüftest dich von deinem Sitze.
Bekannte Straßen. Des Verkehrs Geblitze
wirkt relativ. Doch Leute bleiben stehen.
Die einen packt das rollende Geschehen,
die andern, scheint es, reißen lachend Witze.
Dann Vorstadt, Land. weingärten, Wälder, Hügel
im Kleid des Frühlings. Trotz Benzingestank
läßt du der losen Phantasie die Zügel
leichtfertig schießen. Und sie weiß dir Dank:
verhaltnen Lebenswünschen leiht sie Flügel;
du fühlst, daß deine Welt noch nicht versank.
Ankunft
So hatte diese Reise Augenblicke,
wo du dahinfuhrst wie mit Sonnenpferden.
Sind Augenblicke alles nicht auf erden?
Wer sie verbindet, weiß den Weg zum Glücke.
Doch liebt es des Objekts berühmte Tücke,
jedweden Aufschwung boshaft zu gefährden:
in solcher Luft kann einem übel werden
noch auf des langen Weges letztem Stücke.
Ein Gott hat wieder zeitgerecht Erbarmen.
Der Heinrich hält im Reich des Stacheldrahtes,
der Heimwehr, der Soldaten und Gendarmen.
Die sogenannten Feinde dieses Staates
sind sicher hier in seinen starken Armen:
es ist die Sammelstadt des Hochverrates.
Quartier
Man übergibt dich wie die Katz' im Sacke;
so Mann für Mann, daß keiner sich verliert.
Gewissenhaftest wirst du registriert
als Pensionär in selbiger Baracke,
Zahl achtzigvier, zugleich samt deinem Packe
zum x plus erstenmale visitiert
und schließlich im Saal zwanzig einquartiert.
Es ist ein Saal, im trefflichen Geschmacke
der Mannschaftszimmer wohnlich eingerichtet:
für jeden Gast ein eisern Kavallett
mit Strohsack; Deck' und Polster schön geschlichtet
und ober jedes Gastes Kopf ein Brett.
Eintretend fühlst du: diese Umwelt dichtet
sich selbst. Sie rundet mühlos ein Sonett.
Willkommen
Mit Unrecht warst du eben noch beklommen;
ein Lagerleben in Gemeinsamkeit,
so bangte deine Selbstversonnenheit,
vermöchte deinem Schaffen nicht zu frommen.
Wie herzlich aber heißt man dich willkommen!
Wie teilnahmsvoll, wie freudig-hilfsbereit
in freier Freundschaft, deren Gruß befreit,
wirst du von Unbekannten aufgenommen!
Es sind Genossen aus verschiednen Sphären,
die gleichen Schicksals Unbill her verschlug,
prächtige Menschen, die sich tapfer wehren,
so Schweres auch ein jeder trägt und trug.
O könnte dein Gedicht sie dauernd ehren!
Es wäre doch des Dankes nie genug.
Lagerleben
Das Leben hier - es liegt in der Natur
der Zähmung und Betreuung solcher Massen -
verläuft, um dreimaliges Futterfassen
sich ordnend, militärisch, nach der Uhr.
Spaziergang macht es leichter, der Klausur
umdrahteten Bereichs sich anzupassen.
Fünf Stunden täglich wird man losgelassen.
Zwar zieht ein mäßig breiter Sandstreif nur
längs dreier Seiten der Baracke hin
und muß als Auslauf Hunderten genügen;
doch hat man Sonne, sieht die Wolken fliehn,
genießt die Heideluft in vollen Zügen,
denkt schaudernd der Gefangenschaft in Wien
und sucht mit Spiel und Sport sich zu vergnügen.
In memoriam
Das Lager war zur Zeit des Kriegs Fabrik.
Hier ward in Schicht um Schicht bei Tag und Nacht
von Hungerleidern Munition gemacht.
Noch fesseln Riesenrauchfänge den Blick;
Ruinen künden gräßliches Geschick
von Ahnungslosen, fern von Front und Schlacht
in einer Mausefalle umgebracht.
Ein Augenzeuge ruft das Bild zurück
und wer ihn hört, wird es zeitlebens schauen:
Brand, explosion, Geschrei, Panik, Gedränge,
die Ausgänge versperrt, verkeilte Frauen,
ein Flammenmeer in unnahbarer Enge,
Rettung unmöglich, nie erlebtes Grauen,
verkohlter Leiber unzählbare Menge.
Ruinen
Nun sieht man am benachbarten Objekt
nur mehr das Fundament des Wandgemäuers
und Schutt im Innern, von der Gier des Feuers
an jenem Schreckenstag umsonst beleckt.
Genügsam Gras und Unkraut überdeckt
mit Grün und Buntheit schnellgewebten Schleiers
dies Ehrenmal des Kriegs, des Ungeheuers;
zahllos sind Königskerzen angesteckt.
Das Rechteck ist von Sonne grell beschienen,
doch bleibt dein Herz in Friedhofsstimmung schwer.
Die Szene könnte der Verheißung dienen
an Kind und Kindeskinder: Nimmermehr!
Indessen patrouilliert auf den Ruinen
ein Drahtbewachungsposten mit Gewehr.
Erholung
Die Körper nur betrachtend, mußt du staunen,
wie du die Menschen sich erholen siehst.
Der müd und bleich Gekommene genießt
halbnackend Luft und Licht trotz Wetters Launen
und zählt in kurzem zu den Frischen, Braunen.
Doch irrst du, wenn du aus den Körpern schließt,
daß in den Seelen auch Erholung sprießt.
Von Saal zu Saal verbreitet sich ein Raunen,
unheimlich-heimlich, ungewollt-gewollt;
oft denkst du an ein unheilkündend Beben,
das in des erdengrundes Werkstatt rollt;
dann wird es deutlicher, ein Widerstreben
gequälter Ohnmacht, die den Quälern grollt:
ein Leben ohne Freiheit ist kein Leben.
Landschaft und Verzweiflung
Denn nicht nur tröstend wirkt der Blick ins Weite.
Wenn Sehnsucht in die blauen Berge steigt,
in Wäldern wandert, hügelab geneigt,
und sich verliert in ebenem Gebreite,
Befreiung aber winkt von keiner Seite,
vielmehr Gewalt die scharfen Zähne zeigt
und auf das Fragewort: wie lange? schweigt:
dann reizt die freie Landschaft auf zum Streite.
Wieviel hat jeder seelisch schon getragen!
So mancher auch verlor erwerb und Brot,
sieht seiner Arbeit ehrlich Glück zerschlagen
und ahnt verzweifelt seiner Lieben Not.
Verzweiflung führt zu plötzlichem Verzagen
und scheut den letzten Ausweg nicht: den Tod.
Der Tod geht um
Ein erster sucht mit schnellem Aderschnitt
dem unerwünschten Dasein zu entrinnen.
Er wird entdeckt und muß es neu beginnen;
Blutspender fahren gleich zur Rettung mit.
Ein anderer studiert den letzten Schritt
sich besser aus, um Freiheit zu gewinnen,
erhängt sich im Klosett und ist von hinnen,
mit seinen unfaßbaren Henkern quitt.
Der Leichnam wird durch ein Spaliert getragen.
Erhobne Fäuste bieten ernst und stumm
den Abschiedsgruß und feuchte Augen fragen:
Warum dies neue Opfer? Kanzleramt, warum?
Dann noch ein Lied. Und niemand kann es wagen,
das Lied zu stören; denn der Tod geht um.
Forderung und Versprechen
Es war nicht länger tragbar. Auch Gewalt
muß sich begrenzen oder fällt in Flammen
des eignen Übermaßes früh zusammen.
Schlauheit verhandelt und erkennt es bald
für falsch, zu unbegrenztem Aufenthalt
in solchem Fegefeuer zu verdammen;
und mag aus ihm die Forderung auch stammen,
sie wird erwogen und gewinnt Gestalt:
Die Anhaltung im Lager wird so schnell
als irgend möglich jedem terminiert.
Wie das? Natürlich individuell.
Wer weiß, was dies Versprechen noch gebiert!
Doch augenblicklich scheint der Himmel hell,
weil sich der Mensch in Hoffnung gern verliert.
Termin
Auch Schwerstes läßt sich leichter überwinden,
wenn eine feste Frist ihm Grenzen setzt.
Du siehst das Dann und weißt dich mit dem Jetzt
und seinen Bitternissen abzufinden.
Nicht mehr im Dunkel tappst du wie die Blinden;
der sichre Tag, ob fern auch, kommt zuletzt,
an dem die Furien, die dich gehetzt,
im Abgrund der Vergangenheit verschwinden.
So dachtest du. So denken alle wohl;
denn keiner kann dem Eindruck sich entziehn.
Gespräch umkreist den neuen Rätselpol
und allzuleicht nur gibt sich Hoffnung hin,
obschon auch Zweifel, zögernd, das Idol
von Wöllersdorf entgöttern: den Termin.
Die Listen
Und eines Tages werden an den Türen
die Listen der Termine angeschlagen
und jeder hört und liest und muß es tragen,
wie viele Monde hier ihm noch gebühren -
mit Vorbehalt, sich keinesfalls zu rühren;
sonst packte Fürsicht kräftiger beim kragen.
Je nun, man rechnet um und zählt nach Tagen;
es gruselt einen, so die Zeit zu spüren.
Gestohlen ist doch jegliche Sekunde
von nackter Willkür, wider alles Recht!
Besannt ihr euch? Erschrakt ihr ob der Kunde,
wohin ihr treibt, und lenkt nun ein? Versprecht
Termine? Lauert nicht im Hintergrunde
des Worts die Absicht schon, daß ihr es brecht?
Zwei Monate
Persönlich könntest du mit deiner Frist -
zwanzigster Juli - ganz zufrieden sein.
Zwei Monate. Das Maß ist eher klein,
wenn du dein Ungemach am Durchschnitt mißt.
Bedenke nur und sei kein Egoist:
so mancher bleibt bis in den Herbst hinein
und länger noch und findet sich darein,
weil endlich doch ein Ende sichtbar ist.
In solcher Unterscheidung liegt System.
Mag man die Fristen für das Mittel halten,
Männer, die dem und jenem nicht genehm,
nach Staatsräson beliebig auszuschalten,
so scheint man auch zu hoffen - wie bequem
und dumm zugleich! - man werde Eintracht spalten.
Neid
Wohl wird ein jeder, der von hinnen scheidet
und das Gehege dieses Drahtarrestes
verlassen kann, um aller Wesen Bestes,
die goldne Freiheit, allgemein beneidet;
doch keine Miene trübt, kein Wort verleidet
dem Glücklichen die Freude seines Festes,
denn dies Gefühl - die Sache nur erpreßt es -
es ist kein Neid, des Häßlichen entkleidet.
Es ist ein Neid, der keine mißgunst kennt,
nicht im Persönlichen verhaftet ist;
es ist ein neid, der Freude freudig gönnt
und nicht an fremder Freude freudlos frißt;
es ist ein Neid, der rein und läuternd brennt,
bis ob des Bruders du dich selbst vergißt.
Jenseits des Drahtes
Das Lager ist zwar luftdicht abgedichtet,
doch funktioniert die Dichtung nicht so gut,
daß man nicht wüßte, was sich draußen tut:
im großen ist man immer unterrichtet.
Die Roten sind noch lange nicht vernichtet,
den Braunen wächst mit jedem Tag der Mut,
die Schwarzen retten sich in Auslands Hut,
von Rom gehalten und von Rom verpflichtet.
Die Kerker sind mit mehr als tausend Jahren
vollauf versorgt; ein Spruch wie "lebenslänglich"
gehört schon zum alltäglichen Gebaren;
ein Christentum, in Sanftmut überschwenglich,
organisiert sich neue Söldnerscharen
und hält des Hasses Werk für unvergänglich.
Zuwachs
Das Lager auch, statt langsam sich zu leeren,
wird täglich voller; Zuwachs überwiegt
weitaus den Abgang, der oft ganz versiegt.
Wenn sich die Gäste solchermaßen mehren,
wer könnte des Gefühls sich noch erwehren,
daß draußen alles sehr im Argen liegt?
Muß nicht Gewalt, die doch nicht bricht noch biegt,
ihr eigenstes System bankrott erklären?
Gedenkt man Hunderttausende zu beugen,
indem man Tausende zusammenfängt?
Vermeint man einen nur zu überzeugen,
den man in solchen Zwanges Jacke zwängt?
Wirkt Freiheit, bringt man draußen sie zum Schweigen,
nicht angehalten weiter, als man denkt?
Barometer
Tag folgt auf Tag und Woche schleicht zu Wochen.
Man lernt erzwingen, daß die Zeit vergeht,
treibt Sprachen, liest. Was in der Zeitung steht -
und sei es nichts - wird kritisch durchgesprochen;
bald sucht man in entschwundenen Epochen
darüber Aufschluß, wie die Welt sich dreht,
ruft Heureka und fühlt sich als Prophet;
dann wieder fragt man, was die Köche kochen -
und für wie viele, denn des Lagers Stand,
die Zahl der esser, ist als Barometer
politischen Gewitters interessant.
Der Zeiger zeigt es: früher oder später
kommt wieder Sturmwind. Schwüle drückt das Land.
O Lüfte, schnellbeschwingt! O heiliger Äther!
Ergebnisse
So weit schon hat es Diktatur gebracht,
so herrlich weit, daß dieses Landes Leid,
daß seiner Knechtschaft Qual zum Himmel schreit
und in Verzweiflungstaten Luft sich macht.
Der Böller hat das Wort, Petarde kracht,
der Fremde fühlt sich nirgends mehr gefeit
noch auch der Heimische, der gern befreit
vom Nachbar wäre, der ihn überwacht.
Demokratie ist tot, Parteien starben;
an ihrer Stelle bläht sich eine Front,
die mehr verdirbt, als jene je verdarben,
die noch in Freiheit rühren sich gekonnt.
Im Lager freilich trennt man streng die Farben:
hie rot, hie braun - vom gleichen Licht besonnt.
Besuch
Besuche sind im Lagerleben selten;
bewilligt sie doch nur das höchste Amt,
aus dessen Geist der ganze Vormärz stammt.
Man fürchtet die Berührung zweier Welten
und läßt dafür die strengste Vorschrift gelten.
O daß zur Freude, die Besuch entflammt,
nicht Zorn, der würdelose Form verdammt,
und Scham im Grund der Seele sich gesellten!
An eines Manschaftstisches einem Ende
placiert man dich, am anderen die Deinen.
Dazwischen ein Gendarm, daß nicht ein Wort,
ein heimliches, den Weg herüberfände...
Wär' deine Frist nicht nah, du könntest weinen.
So lachst du: noch zwölf Tage und dann fort!
Zehn Minuten
Die Sprechzeit ist auch hier mit zehn Minuten
grausam begrenzt, der Reise ungeachtet.
So lebt sich Rachgier aus. Sadismus trachtet
Wehrlosen Untragbares zuzumuten.
Doch hat noch keiner sich die Lust der Ruten
straflos, wie Überhebung hofft, gepachtet;
wer lächelnd schlachtete, der ward geschlachtet;
wer leichthin bluten ließ, der mußte bluten.
Hinweg, Gedanken! In der Liebsten Nähe
ist nur für freudige Gefühle Raum;
denn ob die letzte schmerzlich auch vergehe
der zehn Minuten, künftig zählt es kaum:
zwölf Tage noch, dann endet alles Wehe,
grüngolden wieder schimmert unser Baum.
Die Uhr
Wer nie Gefangenschaft am eignen Leib
erlebte, Tag für Tag nicht Tage zählte;
wer nie vergittert Seel' und Sinne quälte
mit ungestilltem Wunsch nach Welt und Weib;
wer nie im Banne des Gebotes "Bleib'!" -
weil jede Möglichkeit des Fliehens fehlte -
gehorchend die geschwächten Nerven stählte:
der dächte wohl, sie sei nur Zeitvertreib.
Doch ist sie mehr, die Pappendeckeluhr,
die sich ein Grüppchen gleicher Frist ersann.
Rückt auch der Zeiger jeden Abend nur
ein Strichlein vor, weil Zeit nicht lügen kann,
vom Zifferblatt erhält die Kreatur
genaue Antwort auf die Frage: Wann?
Kampf mit der Zeit
Solch eine Uhr des Trostes hast auch du
in deinem Herzen heimlich aufgehängt
und drehst den Zeiger, eh' dich Schlaf umfängt,
ein Strichlein weiter, deinem Datum zu.
Du sündigst; denn vergangen ist im Nu
die ganze Frist, die dir das Leben schenkt.
Ein Tor nur, nur ein Undankbarer drängt
die Zeit aus ihres Fließens gleicher Ruh'.
Für draußen sind es treffliche Gesetze,
daß du im Schaffen oder Schauen glühtest,
den Augenblick zu halten, und die Schätze,
die jeder birgt, zu heben dich bemühtest.
Hier brauchst du jene Uhr, daß du im Netze
nicht gegen festes Seilwerk sinnlos wütest.
Dein Tag
Dein Tag ist da, der mondelang ersehnte,
dein letzter und dein wieder erster Tag,
der dich erlösen soll mit einem Schlag
aus Seelenqual, die endlos schier sich dehnte.
Viel schöner noch, als Hoffnung jemals wähnte,
so schön, daß Freunde zitternd nur und zag
den Zauber seines Kommens fassen mag -
es fehlte bloß, daß ihn Versöhnung krönte:
so schön ist dieser Tag. Sein Licht verklärt
sogar die Mißgestalten der Baracken;
doch ein Gedanke, ein Gefühl erschwert
den Abschied, den du nimmst von Saal zu Saal:
warum nicht alle? Auch beim Kofferpacken
verfolgt es dich und noch beim Mittagsmahl.
Aufruf
Nun heißt es warten, da sich die Zentrale
den Aufruf zur Entlassung vorbehielt.
Es könnte sein, daß Niedertracht empfihlt,
zu zögern mit der vollen Gnadenschale,
ein Opfer weiter noch am Marterpfahle
zu quälen, weil darnach noch Rachlust zielt,
die unbedenklich Zeit und Freiheit stiehlt.
Unruhig gehst du auf und ab im Saale.
Doch nein! Was dachtest du? Du hörst zwei Namen,
darunter deinen, rufen. Der Gendarm
freut sich mit uns und alle sagen Amen,
die Uhr ist um, vergessen aller Harm.
Das Leben dichtet einem manche Dramen,
doch ward im Herzen selten dir so warm.
Verlängerung
Dem Freudeboten folgt im Augenblick,
da du zum Gehn, den Koffer in der Hand,
dich anschickst, der Baracke Kommandant.
Schon seine Miene weissagt wenig Glück.
Er fühlt wohl selbst, es ist ein starkes Stück:
die beiden Namen wurden zwar genannt,
doch nur, weil man auf neue Frist erkannt.
Erster August. Kein Spaß. Es heißt: zurück!
Kein Spaß. Zwölf Tage länger noch gefangen.
Doch dieser Wortbruch sei euch nie verziehn!
Du siehst die Deinen noch in Freude bangen...
Dann solche Post... Und ist Termin Termin...?
Zornröte steigt dir flammend in die wangen...
Du haust den Koffer um die Erde hin...
Zorn
Was hilft dein Zorn? Es kann der Sache schaden,
wenn so die volle Schale überschäumt.
Laß lieber, wenn dein Flügelroß sich bäumt,
die Überkraft in Versen sich entladen!
Nicht du bist schuld, daß wieder du den Faden
des bösen Traumes, den du ausgeträumt
schon wähntest, fortspinnst. Auf denn! Nicht gesäumt!
Zorn ist ein Recht des Starken, des Geraden.
Doch sei das Ziel des Zornes nicht persönlich;
er halte sich auch fürderhin ans ganze
System der Freiheitsmörder; unversöhnlich,
bewaffnet mit der Wahrheit starker Lanze,
so spiel' er furchtlos, edlem Vorbild ähnlich,
der Schande des Jahrhunderts auf zum Tanze!
Angst
Es kann auch sein, daß nicht nur Rachelust
die Strafe der Verlängerung verhängte,
vielmehr darein sich ein Gefühlchen mengte,
das heimlich wohnt in jeder Heldenbrust.
Man munkelt schon: beginnt nicht der August
mit einem Lostag, der die kriegsbedrängte
Menschheit mit Umsturzbotschaft stets beschenkte?
Weltfriedenstag! Da regt sich schuldbewußt
das Weltgewissen. Weltangst lebt sich aus
in tausend Ängsten und mit tausend Listen
spürt Staatsgewalt in ihrem Kartenhaus
die Sündenböcke auf, die Kommunisten,
spielt überhaupt ein bißchen Katz' und Maus,
visiert nach Geiseln und - verlängert Fristen.
25. Juli
Gerücht springt auf, bezweifelt und geglaubt
wie sonst Gerüchte. Tat des Äthers Mund,
der wohlbewachte, dies auch wirklich kund?
Der große Kleine sei der Macht beraubt,
der Steirerkönig der Regierung Haupt!
Und später dann: das Opfer todeswund;
noch später: tot. Die anderen gesund
und obenauf, so schlimm es ringsum staubt.
Was nun des schwergeprüften Volkes harrt?
Kaum Gutes. Mord hat selten noch befreit.
Der Tote war der Freiheit Widerpart,
doch tut der Leidensmensch dem Menschen leid.
Verhimmelung und Fluch der Gegenwart
verwebt zu reifem Urteil erst die Zeit.
Urständ
Die Saat geht auf. Mord wird mit Mord vergütet.
Der Kriege schlimmster tobt von Tal zu Tal;
denn zehnfach zählt der teuren Opfer Zahl,
wenn Heimat wider Heimat feindlich wütet.
Furchtbar Gericht und Recht wird ausgebrütet.
Die wahllos Herrschenden schreckt keine Wahl;
sie wissen doch ihr staatlich Ideal
von marschbereiter fremder Macht behütet.
So wird der Galgen wieder Urständ feiern
samt allen Schrecken aus dem Februar.
Doch mag auch Diktatur ihr Sprüchlein leiern:
das Vaterland, das Volk ist in Gefahr -
sie kann ihr Antlitz dauernd nicht verschleiern;
Geschichte malt es, wie es wirklich war.
August
Gewöhnlich wird ein Putsch nicht angesagt.
So ging der Lostag ruhig auch vorüber
und andre Tage folgten, trüb und trüber,
je weiter so der deine sich vertagt.
An deinem schwer enttäuschten Herzen nagt
der Ungewißheit Wurm. Dir wäre lieber -
und gingen dir darob die Augen über -
man sagte, was man dir zu bieten wagt.
Gemach! Vergeude nicht des Motors Kraft!
Der Kluge fühlt durch Boshaft sich erheitert.
Wär's nur so traurig nicht, wie fieberhaft
man diese Stadt für Tausende erweitert,
Scheinwerfer und MGs auf Dächer schafft
und Hindernisse kriegsgemäß verbreitert!
Umgruppierung
Das Lager wird - wie sagt das Zauberwort
des Weltkriegs? - umgruppiert. Im Handumdrehen,
nach Farben, Hokuspokus, soll's geschehen;
Befehl - und Nord ist Süd und Süd ist Nord.
Nur schnell gepackt! Doch geht es lang nicht fort
und lang auch heißt es dann im Regen stehen:
man zählt; denn keiner darf verloren gehen.
Komplett! Mißmutig rückt der Zug vom Ort.
So werden Menschen hin und her getrieben!
Wie schwer schleppt mancher sein nomadisch Gut
und trüg es leicht doch heim zu seinen Lieben!
Ein traurig Bild! Rebellisch ruft dein Blut:
ein schmachvoll Bild! Behalt' es eingeschrieben
in Herz und Hirn für deiner Verse Wut!
Neues Heim
Die neue Unterkunft ist schlechter nicht,
doch wahrlich auch nicht besser als die alte.
Zum Glücke fällt bei solchem Aufenthalte
ein Plus und Minus wenig ins Gewicht,
weil es am Lebensnötigsten gebricht;
denn wie man auch sein Wohnloch ausgestalte,
es bleibt - so spricht die Faust, die zorngeballte -
ein Gitterkäfig ohne Luft und Licht.
in kleinen Kammern haust man, meist zu viert,
trägt auf Signal durch finstren Ganges Schlauch
den Blechnapf hin zur Füllung und verliert
nicht seine Zeit nur, sondern nützt sie auch -
am besten wohl, indem man viel spaziert;
sind vor dem neuen Heim doch Baum und Strauch.
Entlassungen
Der Abgang aus dem drahtumhegten Reiche
war nur vorübergehend allgemein
gedrosselt. Da die Luft nun wieder rein,
zumindest reiner draußen im Vergleiche
zur Zeit des Erbschaftsantritts nach der Leiche,
und - mag es auch des Friedhofs Ruhe sein -
doch Ruhe herrscht, gibt Härte sich den Schein,
als ob sie milderen Gefühlen weiche.
So wird der eine fristgemäß entlassen;
der andre, schon um seine Frist gebracht,
nachträglich; früher noch, als er gedacht,
ein dritter; wen jedoch die Götter hassen
wie dich, mit dem wird kurz Prozeß gemacht:
du kommst nicht vor September in Betracht.
Ad calendas graecas
Erlösung, ach! wie oft schon nah geglaubt,
ist ad calendas graecas nun verschoben,
zu Nichts der schon bescheidne Traum zerstoben,
du bliebst der Freiheit nur mehr halb beraubt,
bewegtest dich, soweit es dir erlaubt,
Verbot befolgend, sei es auch verschroben,
und fühltest deine Kräfte neu gehoben,
das Schwert vergessend über deinem Haupt.
Und einen Himmel fühltest du dir offen
und warst in diesem Himmel nicht allein:
so bist du doppelt schmerzlich nun getroffen.
Doch mag auch doppelt schwer das Schwere sein,
nicht mehr auf irgendeine Frist zu hoffen:
du stellst dich ad calendas graecas ein.
Verbitterung
Per Auto und per Bahn mit Extrazügen
wird dieses Österreich en miniature
tagtäglich aufgefüllt. Man sorgt dafür,
daß die Baracken weiterhin genügen:
es gilt doch nur, Etagen einzufügen -
Stockwerksbelag - und zwei mal zwei sind vier;
es gilt doch nur, um menschlichste Gebühr
an Luft und Raum Mitmenschen zu betrügen.
Wohin der Weg noch führt, wer kann es wissen?
Der Wöllersdorfer werden immer mehr.
Manch armer Teufel wurde weggerissen
von Feld und Hof, kam halbverhungert her
und ist und bleibt verbittert und verbissen.
Das nicht zu sein, ist heutzutage schwer.
Schlimmer Aspekt
Denn das ist schwer: sich selbst zu überwinden
und aus dem Haß, der jetzt die Dinge lenkt,
indem er schnüffelt, anhält, einsperrt, hängt,
ins Reich der Liebe rein zurückzufinden.
Wie trifft es dich im innersten Empfinden:
dein bißchen Schreiben wird noch eingeschränkt!
Ein Brief die Woche, von Zensur beengt -
da soll dem Herzen nicht die Hoffnung schwinden!
Und wenn sich erst der Blick vom eignen Los,
vom nichtigen, zum allgemeinen wendet,
empfängt des Glaubens Kraft den stärksten Stoß;
denn Selbstsucht rast, in Machtgelüst verblendet,
und was auf Erden schön ist, frei und groß,
wird frech durch Wort und Schrift und Tat geschändet.
Dies irae
Kommt jene Zeit - und daß sie kommt, ist klar,
magst du auch ihren Anbruch nicht mehr sehen -
kommt jene Wendezeit im Weltgeschehen,
wie sie der Rückschritt immer noch gebar:
dann wird nach überwundener Gefahr,
wenn Fahnen frei im Sturm der Freiheit wehen,
der freie Mensch das Gestern nicht verstehen,
nicht glauben können, daß es möglich war,
von stolzen Aufstiegs Höhe so zu fallen.
Doch war es möglich und genauso gut
wird es in Zukunft wieder möglich sein,
solang der Zorn der Völker nicht mit allen,
mit allen Mitteln ganze Arbeit tut.
Ein Dies irae will's: der Tisch sei rein.
Stunde der Befreiung
Wahrscheinlich muß ein neuer Gang der waffen,
der auf die neuesten Schrecken nicht verzichtet
und strafend, die ihn wollten, mitvernichtet,
den Unterdrückten erst die Lage schaffen,
zu neuem Freiheitskampf sich aufzuraffen;
denn starrt der Waffen Phalanx ungelichtet,
die sich die Unterdrücker aufgerichtet,
muß jeder Ansturm im Versuch erschlaffen.
Nur Wahnwitz wagte sich ans Prophezeien,
wann wieder, wo und wie die Welt erwache;
schlägt aber einst die Stunde der Befreiung,
sei sie zwar frei von aufgesparter Rache
aus Zeiten überwundener Parteiung,
doch unerbittlich in der heiligen Sache!
Siegerpflicht
Wenn Sieger endlich einmal weise wären,
dann könnten sie, was bisher nie gelang,
nach jenem fürchterlichsten Waffengang
der Welt ein dauernd Friedenswerk bescheren;
denn aus dem Massenmorden, Landverheeren,
aus allumfassend übertriebnem Zwang
des Krieges wächst der Völker Freiheitsdrang,
nicht länger Langentbehrtes zu entbehren.
Auf dieses Dranges Werbekraft gestützt,
bereit, ein Chaos brüderlich zu klären
und nur zu schaffen, was der Freiheit nützt,
vermöchten sie den Schutt hinwegzukehren,
den Schutt der Rüstung, die den Rückschritt schützt -
wenn Sieger endlich einmal weise wären.
Hoher Rat
Zuweilen träumst du, daß ein Hoher Rat,
ein Rat der Besten, Tüchtigsten der erde,
einst Ordnung, Glück und Frieden schaffen werde.
Es müßten Menschen sein nicht nur der Tat,
nicht nur des Geistes, die den rechten Pfad
erschauten und beschritten sonder Fährde;
nicht Plan und Wirtschaft heilten die Beschwerde
des kranken Körpers, fehlte Herz dem Staat,
der von der Erde Tüchtigsten und Besten
gelenkt, den unglückseligen Planeten
von seinen immer wiederkehrenden Gebresten
erlösen sollte, edelster Propheten
Wunschträume nicht mit Phrasen oder Gesten
verächtlich abtun, nein: den Krieg zertreten.
September
Die Zeit hat wieder einen vollen Mond
der Reihe der verlornen angefügt.
Kam endlich nun der letzte? Oder trügt
der halbe Spruch? Du bist es schon gewohnt;
doch hofft der Mensch, auch wenn es sich nicht lohnt
und eignes Urteil seine Einfalt rügt,
die immer wieder freudig sich belügt,
obgleich Enttäuschung sie noch nie verschont.
September. Kälte meldet vor der Zeit
des Herbstes Kommen. Sturm peitscht Regenguß
an der Baracke dürftig Mauerkleid.
Trostloses Wetter! Trauriger Verschluß
Lichthungriger in Zellendüsterheit!
Muß man das tragen? Das und mehr. Man muß.
Man muß...
Man muß der vielen tausend Jahre denken,
der kerkerjahre, nur in diesem Land,
dem kleinen, ausgeteilt von Unverstand,
verbißnem Haß und heuchlerischen Ränken;
man muß den Blick auf andre Länder lenken,
wo gleichfalls Politik der starken Hand
die Freiheit hinter Schloß und Riegel bannt;
man muß sich tief in alles Leid versenken,
das um des Geistes, der Gesinnung willen
erduldet wird; man muß die Wut und Pein
der Tränen, die aus bitterm Unrecht quillen,
mitweinen, bis das eigne Schicksal klein,
verschwindend klein wird und man sich im stillen
der Schwäche schämt, nicht immer stark zu sein.
Überraschung
Ein Drittel ist des neuen Monds vergangen,
der Sommer wieder halb zurückgekehrt.
Die Frage deiner Frist blieb ungeklärt;
du gabst es auf, Gewißheit zu erlangen.
Briefschreibetag. Das Blatt ist angefangen,
daraus der Zensor wöchentlich erfährt,
daß bittend sich dein Stolz dagegen wehrt,
durch Bitten eine Gnade zu empfangen.
Wie nur es fassen, daß es hart nicht klingt?
Oft schläft in einem Wort der Sorge Keim,
der leicht in eine wunde Seele dringt.
Dann sucht sich Liebe einen düstern Reim...
Es klopft. Ein Bote, der den Auftrag bringt:
Zusammenpacken. Ja, Sie gehen heim.
Ernst
Und diesmal scheint es wirklich ernst zu sein.
Es ist doch nur ein längst erwartet Glück
und übermannte dir im Augenblick
Verstand und Herz. Sie waren nicht mehr dein
und sind es nicht. Du packst mechanisch ein
und dichtest an des Lebens nächstem Stück.
Führt denn ein Weg ins Leben noch zurück?
Dir schwindelt wie nach ungewohntem Wein.
Dann zum Kommando der verfehmten Stadt:
dort unterschreibt man - freiwillig - ein Blatt,
daß man politisch sich gebessert hat.
Und nochmals wird der Koffer visitiert,
ob man hinaus nicht Konterbande führt.
Im Koffer nicht. So bist du absolviert.
Abschied
Dein Abschied ist ein Wunsch für die Genossen:
o würde jedem doch das gleiche Heil
wie heute dir, die Freiheit bald zuteil,
das Tor ins Leben wieder aufgeschlossen!
Dem Lager aber, blindem Haß entsprossen
und eitler Machlust, nach Erfolgen geil,
sei Dank gesagt; du hast so manchen Pfeil
hier scharf gespitzt, so manch Sonett gegossen.
ein freundlicher gendarm gibt dir Geleit
bis an das Tor und öffnet den Verschluß.
Du bist im Freien. Wie unheimlich weit
ist doch die Welt! Wie köstlich der Genuß
der ersten Schritte! Hurtig! Es ist Zeit,
ja hohe Zeit. Dort kommt dein Autobus.