Sonett-Forum

Normale Version: Gefangenschaft : 1. Polizei
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Introitus


Nun mißt auch du mit immer gleichen Schritten
das Rechteck einer Zelle: vier zu drei.
Mit einem Male bist du nicht mehr frei,
wohl weil für Freiheit deine Verse stritten.

Wie kam es nur? Dich überrascht inmitten
friedlichen Arbeitstags die Polizei
und nimmt dich mit. Doch alles geht vorbei;
du leidest nur, was Millionen litten.

Sei ruhig! Werde ruhig und verschwende
nicht Zeit und Kraft für wirkungslose Wut!
Man rennt vergebens wider diese Wände.

Bewahre für die Zukunft Mut und Glut!
Das Ringen um die großen Gegenstände
der Menschheit dauert fort. Und das ist gut.
Umschau


Gleichwie im unbekannten Haus die Katze
zunächst nach allem sorglich Umschau hält -
unwichtig ist ihr nichts in ihrer Welt -
so tust auch du auf deinem neuen Platze.

Wie turnte sich das Tier mit einem Satze
aufs Zellenfenster, dir zu hoch gestellt,
dem Licht entgegen, das den Raum erhellt,
der Freiheit, jedes Wesens höchstem Schatze!

Doch Macht beschränkte solche Sehnsucht dein
mit sieben Stäben lotrecht, dreien quer,
und richtete dafür dich häuslich ein:

Ein Eisenbett, klappbar, samt Zubehör,
ein Wandregal, ein Tischchen, Bänkelein,
ein Krug und ein WC. Was willst du mehr?
Mensch an sich


Der weg hierher war nicht ganz unbeschwerlich.
Die Kommissariate sind jetzt voll;
da dauert's bis zum ersten Protokoll.
So ist wohl alles, was geschieht, erklärlich.

Man bringt dich zu Papier. Dann heißt es kurz und ehrlich:
zur Direktion. in ihrem Hause soll
es besser sein. Du schluckst geheimen Groll
und fährst begleitet; denn du bist gefährlich.

Daher die Vorschrift, dir zu Nutz und Frommen:
bis auf den nackten Leib durchsucht man dich,
und was nur möglich, wird dir abgenommen.

Es könnte sonst vielleicht - wie fürchterlich! -
bei manchem Ding dir ein Gedanke kommen,
der ausbleibt, bist du nichts als Mensch an sich.
Derselbe

Dein Messer hast du gleich daheim gelassen
als mit der Ordnungsmacht im Widerspruch;
so riet dir der gewaffnete Besuch.
Ein Werkzeug täte schlecht zum Häftling passen.

Doch noch viel weiter greifen Furcht und Hassen:
Den Bleistift her, das Portemonaie, ein Buch,
Uhr, Augengläser, ja das Taschentuch -
kurz alles, was nur deine Säcke fassen.

Noch nicht genug der unerlaubten Dinge?
Hemdknöpfe folgen, Kragen und Krawatte
und was entfernt verwandt mit Strick und Schlinge:

Schuhbänder, Hosenträger - man gestatte,
daß dies Sonett von Sockenhaltern singe,
die Selbstmordsehnsucht an den Beinen hatte!
Schicksal


So hat dein Dasein sich mit einem Schlage
gewandelt. Unerschöpflich ist der Schoß
des Schicksals, nimmermüde Los um Los
gebärend, Jahr um Jahre, Tag um Tage.

Es fordert heute: Klage nicht! Ertrage!
ganz wie es gestern sprach: Im Glück sei groß!
Denn Qual und Lust sind eine Prüfung bloß
und ob du wächst in ihr: das ist die Frage.

Wer weiß, ob nicht die Enge dieser Mauern
dir neuen Weg in Innerstes bereitet,
derweilen draußen Haß und Feindschaft lauern?

Wenn fester Wille diese Haft durchschreitet,
erlebst du noch, daß ihre Früchte dauern
und Enge sich ins Unbegrenzte weitet.
Das Guckloch


In jeder Tür, es darf dich nicht empören,
ist hier ein drohend Guckloch angebracht.
Gewöhne dich daran, du bist bewacht,
und laß dich nicht in deinen Kreisen stören!

Denn mag sich alles wider dich verschwören,
mag Argwohn dich verfolgen Tag und Nacht,
so bleibt doch, was du denkst, nicht ungedacht:
noch gibt es Dinge, die dir ganz gehören.

Auch dieses Guckloch, einer Welt im Kleinen
für Augen des Gesetzes eingebaut,
will als Symbol der großen Welt erscheinen,

wo nicht ein Mensch dem anderen mehr traut
und sich die Herrschenden nur sicher meinen,
wenn Macht dem Geist bis in den Magen schaut.
Zu Bette


Nun hast du, Häftling, tausendmal zumindest
in diesem nüchtern-einsamen Geviert
den Auf-und-ab-Weg sinnend absolviert
und dich beraten, wie du überwindest.

Längst fragt die Nacht schon, wann du Ruhe findest,
Schlaf, Traum, darin erleben sich verliert.
Das Klappbett lockt; doch am Plafond regiert
ein Dauerlicht, auf daß du nicht verschwindest.

Du wagst es trotz der Feindschaft dieser Helle,
du wirfst dich auf dein Lager, drehst vom Rücken
dich rechts und links und findest keine Stelle,

die dich bewahrte vor der Birne Tücken;
in gelber Glut steht überall die Zelle.
Die Augen zu! Umsonst. es will nicht glücken.
Erste Nacht


Ist es nicht Täuschung oder Selbstbetrug,
wenn du dir sagst, das ungewohnte Licht
beraube dich des Schlafes? Fühlst du nicht,
wie dieser Tag mit der Verleumdung Lug

in deines Lebens Festung Bresche schlug?
Denn schenkt dir selbst die Göttin Zuversicht
in dieser ersten Nacht dein Gleichgewicht,
so sind doch hundert Nächte nicht genug,

das doppelt ungerechte Los der Deinen,
die Roheit jäh aus allen Himmeln riß,
auf solchem Lager fruchtlos zu beweinen.

Du fühlst es vor: ob Licht, ob Finsternis,
wird nachts dir die geliebte Frau erscheinen -
wie jetzt. Und Trost wie jetzt ist dir gewiß.
Film des Lebens


Es heißt, daß in den drängenden sekunden
vor jener Fahrt ins unentdeckte Land,
aus dem kein Pilger noch den Rückwind fand,
das ganze Leben, fast schon überwunden,

noch einmal abrollt, von der Zeit entbunden.
Ein ähnlich, ruhelos ablaufend Band
erschaut der Geist, gewaltsam angespannt,
in solcher erster Nacht durchgrellten Stunden.

Da werden niebegriffne Übergänge
von Bitternis zur Süße plötzlich klar
und unverstandene Zusammenhänge

in tiefer Wechselwirkung offenbar.
Dies festzuhalten - wenn es nur gelänge!
Du ahnst: das Leben ist erst, wenn es war.
Dämon und Hybris


Rastlos arbeitet die Gedankenmühle.
Dein Dämon nützt die wachen Stunden aus
und treibt die Räder mit dem Sturzgebraus
des Ansturms unermüdlicher Gefühle.

Er führte einst dich vom bequemen Pfühle
des eignen Kampfs in größern Kampf hinaus
und mahnt dich heute, daß in diesem Haus
dich nicht allein dein eigner Schmerz durchwühle.

Denn Ungezählte sind mir dir gefangen,
Schicksalsgefährten, Menschen, nun Verbrecher,
obgleich sie alle guten Glaubens rangen;

und nur der Arm, nicht die Idee war schwächer.
Da geht es, wie es immer noch gegangen -
und gehen wird: die Hybris ruft den Rächer.
Apologie


Es wird nicht anders auf der schönen Erde:
der Mensch bleibt immer ein politisch Tier.
Besitzes starre Selbstsucht sorgt dafür
wie der Enterbten Hunger und Beschwerde.

So bricht aus wohlbewachtem Unruhherde
furchtbare Flammentat, bald dort, bald hier;
so sprengt Verzweiflung ihres Kerkers Tür
und kämpft um Freiheit, daß es besser werde.

Die Wege mögen oft nicht richtig sein,
die Mittel und der Zeitpunkt schlecht gewählt,
zu schwach die Waffen und die Kraft zu klein:

für Zukunft, Fortschritt und Geschichte zählt
der Fehlschlag auch, war nur die Absicht rein
und von der Freiheit Ruf der Kampf beseelt.
Und so weiter


Was wollt ihr, Reime? "Die Cevennenstreiter-"
Das Epos schließt mit einem Seherwort.
es stellt sich ein und wirkt im wachtraum fort:
"Die Stürmer der Bastille, und so weiter."

Ein mächtig Wort! Es bleibt der Kampf Begleiter,
verhindert, daß der Freiheit Baum verdorrt,
und hebt sich strahlend über Zeit und Ort:
fern ist das Ziel, doch seid ihr Wegbereiter.

In dieses Wort ward tiefer Sinn gegossen:
das Jetzt ist auf Vergangenheit gegründet,
die Zukunft in der Gegenwart beschlossen.

Des tapfern Dichters Und-so-weiter kündet:
Besiegte werden Künftigen Genossen,
wie Fackel sich an Fackel neu entzündet.
Reveille


Von einem nahen Turm fünf Stundenschläge.
Im Haus Bewegung. Stimmen auf dem Gang.
Ein Klopfsignal, die Zellenflucht entlang.
Kommando: Auf! - Der Tag ist auf dem Wege.

Du spürst und hörst: nun wird das Leben rege.
Kasernenhaft. Es klingt wie Wiederklang
der Jugendzeit; denn deiner gab der Zwang
als Mörder und Erwecker das Gepräge.

Die Tür geht auf. Ein Gummiknüppelmann
befiehlt dir: waschen! Du gehorchst im Nu.
Der Strahl tut wohl. Du trocknest dich dodann

im allgemeinen Leintuch. Er sieht zu.
Du füllst den Wasserkrug. Der Tag begann.
Der Knüppel sperrt dich ein. Doch du bist du.
Der Schließer


Der Knüppel hat die Macht. Ihn mußt du ehren;
denn er ist mehr als ein smbol. Er drischt.
Totalität beseelt ihn, unvermischt
und jederzeit bereit, dich zu belehren.

Zwei junge Burschen kommen Boden kehren.
Wir wechseln Guten Morgen. Das erfrischt.
Das Klappbett knackt im Schloß. Flugs ist gewischt,
als ob die beiden Heinzelmännchen wären:

Denn vor der Tür erhebt sich riesenhaft
mit furchtgebietend steinernem Gesicht
der Mann, der schließ und öffnet, treibt und schafft.

Sein Blick ist Amtsgewalt, sein Dasein Pflicht,
die ganze Positur geballte Kraft.
Man sieht ihn einmal und vergißt ihn nicht.
Prometheus


Im Februar läßt sich die Sonne Zeit,
bis sie das Wunder neuen Tages bringt
und was da lebt, in ihren Kreislauf zwingt.
Jedoch sie kam. Du weißt, sie sieht dein Leid,

trittst unters Fenster, zum Gebet bereit,
und eine Seele in der deinen singt:
"O heiliger Äther!, Lüfte, schnellbeschwingt!"
Du lauscht der Stimme in Ergriffenheit.

Der Vorfahr aller, die Tyrannenneid
um eines lichten Werkes Lohn betrog,
der Urverkünder der Notwendigkeit,

der höchste Kraft aus letztem Wissen sog,
Prometheus hält, befreiend und befreit,
den Elementen seinen Monolog.
Luft und Wasser


Gottlob, du darfst das Fenster offen halten.
Du gäbest nur gewissen Feinden Grund
zur Schadenfreude, bliebst du nicht gesund;
drum turne, wie gewohnt, dich warm im kalten!

Dein Hiersein mußt du nach Coué gestalten;
du sagst dir vor: des Glückes Rad ist rund,
hebst feierlich den Wasserkrug zum Mund
und fühlst im Trunk geheimer Kräfte Walten.

Du folgst dem edlen Naß von hoher Quelle,
die Menschenkunst in festes Schloß gefaßt,
auf seiner Leitung wirkendem Gefälle

und grüßt es dankbar als willkommnen Gast,
der liebe Landschaft bringt in diese Zelle.
Hier weißt du, was du an den Dingen hast.
Brot und Kaffee


Hier sollst du auch nicht hungern. In der Frühe
schon reicht dir, von der Obrigkeit gesandt,
durch schmalen Türspalt eine milde Hand
dein Frühstücksbrot. Dann folgt die braune Brühe -

o daß vor Undanks Scham die Wange glühe! -
Staatsmokka spöttisch frevelnd zubenannt.
Bedenkt doch: Not und Hunger sind im Land
und uns zu füttern scheut man keine Mühe!

So sei dies Brot und was den Blechnapf füllt,
in Dankbarkeit und in gerechtem Harm
genossen, der den vielen, vielen gilt,

die selbst für solch ein Frühstück noch zu arm.
was brauchst du, Mensch? Der Hunger ist gestillt,
der Trank war sonder Gift, gesüßt und warm.
Der schwarze Panther


Die Stimmung wechselt. Ein noch nie gekannter,
erdrückender Weltschmerz senkt sich bleiern schwer
in Herz und Hirn. Um dich ist alles leer,
doch deine Sinne waren nie gespannter.

Wie im Jardin des Plantes der schwarze Panther
Rainer Maria Rilkes hin und her
den Käfig mißt in steter Wiederkehr,
so tust auch du und fühlst dich als Verwandter

des Tieres, das aufs grausamste beschränkt
nach seinem Recht in wilder Sehnsucht schmachtet,
die Umwelt, in sein Innerstes versenkt,

aus diesem Innersten heraus betrachtet
und beim Vorübergehn der Stäbe denkt:
die Bestien sind draußen - und verachtet.
Entschluß


Genug des Wahnsinns! Könntest du nur schreiben,
wie würde Schwerstes im Gestalten leicht!
Du lebtest auf in selbstgesuchter Beicht,
statt so in Schweigsamkeit dich aufzureiben.

Dein Schauen, Denken, Dichten, Tun und Treiben,
darüberhin die teure Zeit verstreicht
in einer Welt, wo nichts der andern gleicht,
gewänne Sinn und Form, verginge, um zu bleiben.

Versagt dem Häftling nur Papier und Stift,
gefürchtet hier wie Messer, Strick und Gift!
Noch gibt es eine unsichtbare Schrift,

die tief sich in der Seele Tafeln gräbt,
Gefängnis und Verbote überlebt
und flammend ihre Klage einst erhebt.
Plan


Erst halte dies Milieu besondrer Prägung,
das sich erleben nur, nicht dichten läßt,
in allen Einzelheiten treulich fest!
Denn so nur wirst du jede Seelenregung,

geklärte Umschau, stürmische Bewegung,
oft in ein Augenblicksgefühl gepreßt,
bewahren, unverfälscht und ohne Rest,
für Schaffensgluthen, fei von Überlegung.

Dann stellt die rechte Form von selbst sich ein:
schon kämpfen manche Muster um die wette,
ja Reim und Rythmus klingen schon herein.

Getrennte Glieder fügen sich zur Kette;
des Geistes Aufruhr will gebändigt sein
in strengem Kranz gewaffneter Sonette.
Nummer 68

Die Zimmer des Hotels von erstem Range,
darin du glücklich deine erste Nacht
und deinen ersten Morgen durchgemacht
und residieren wirst, wer weiß wie lange,

sind numeriert. Du sahst es auf dem Gange:
dein Appartement hat Nummer sechzigacht.
Wer in der Ordnung es so weit gebracht,
dem sei um sein Geschick nicht weiter bange!

Sind denn die meisten Menschen nicht verflucht,
dem Leben sich als Nummern einzupassen?
es hat sein Gutes auch. Du bist gebucht;

die Amtsmaschine kann dich nun erfassen
und unter einer Nummer heimgesucht
wirst unter ihr du dies Hotel verlassen.
Vorgänger


Die inenseiten deiner Holztür schmückt
ein frommes "Kaspar-Melchior-Balthasar",
sorgfältig eingeritzt, dazu ein Jahr
der Vorkriegszeit, schon dämmerhaft entrückt.

was hat den fernen Künstler wohl bedrückt,
der damals Gast in diesem Raume war?
Er scheute Mühe nicht und nicht Gefahr,
sich zu verewigen. ihm ist's geglückt.

Durchpfeiltte Herzen, die von Liebe reden,
Buchstaben gibt es in verschiednem Stil,
ja - Langeweile packte hier noch jeden -

auf deines Tisches Brett ein Damenspiel.
In dieser Zelle führen tausend Fäden
zu denen vor dir. Ihrer waren viel.
Dieselben


Hier saß vielleicht manch richtiger Verbrecher
und mancher andre, den man nur so heißt,
weil er zu dumm für diese Welt, zu dreist,
nicht schlechter als der Mustermensch, nur schwächer.

Der eine trank den giftgefüllten Becher
der Leidenschaft, darin die Hölle kreißt,
ein nächster weihte sich dem leichtern Geist
und taumelte herein als muntrer Zecher.

Du sagst: Verbrecher. Weißt du überhaupt,
was das bedeutet? Sind es Ungeheuer?
Die Welt ist relativ. Was ist erlaubt?

Und was verboten? Rechter Rat ist teuer:
wer ganz im Großen mordet, einbricht, raubt,
Herrscht über Kerker, Galgen, Schwert und Feuer.
Freundliches Intermezzo


Die Amtsmaschine läuft. Du kannst nicht klagen.
Der Arzt besucht dich, gibt dir ein Papier
als Taschentüchlein und gestattet dir,
die Augengläser wiederum zu tragen.

Gefüttert wirst du auch. es füllt den Magen.
Und mehr als das. Du sagst: es schmeckt dir hier,
so will's Coué, und löffelst für und für
das Futter fertig, mit Respekt zu sagen.

In allem Ernst, die Leute sind hier nett.
Ein Gönner schickt dir Geld und ein Paket
von deiner Frau. Sie traf die rechte Wahl:

bei Dingen zu alltäglichstem Gebrauch
den Dante, Aischylos! Den Hamlet auch!
der faust nur fehlt. Der kommt wohl nächstesmal.
Ausspeisen


Man darf sich hier im wege der gesellen,
die mit des Argus Amt bekleidet sind,
damit der Tag an Abwechslung gewinnt,
Zukost zur allgemeinen Kost bestellen.

Ausspeisen nennt man das. Du kennst den hellen,
ersehnten Wortklang als Soldatenkind.
Hier ruft man deine Nummer. Dann geschwind
den Gang entlang, vorbei an Zell' um Zellen,

zum Stäbetor, das diesen Stock verschließt!
Dort wird das Seine jedem zugeteilt
und es geschieht, daß du Gefährten siehst,

von gleichen Schicksals grobem Griff ereilt.
Vielsagend stummer Wechselblick nur grüßt:
ein Argus wacht, daß niemand spricht und weilt.
Stummer Schrei


Der Tag verging und wieder eine Tacht.
Du hast dich an ihr Licht schon halb gewöhnt,
auch an die Stunde, da der Lärm ertönt,
mit dem dies Haus zu neuem Zwang erwacht;

und wenn zuweilen eines Knüppels Macht
dich im Befehlston selbstbewußt verhöhnt,
so denkst du nur: der Kleinen Eifer krönt
der sogenannten Großen Niedertracht.

Im Gitterausschnitt siehst du Wolken jagen.
Dein Blick verfolgt sie neidisch: ihr seid frei!
Du hörst der Gurretauben Flügelschlagen.

Nun fliegt ein Zwitscherspatz ganz dicht vorbei.
Du suchst umsonst nach Worten anklagen:
die ganze Seele ist ein stummer Schrei.
Gefängnisse


Was wußte Menschenhaß nicht auszuhecken?
Graf Ugolinos Hungerturmverlies,
den Spielberg, den ein spätrer Dichter pries,
die Hölle von Cayenne, gut zum Verrecken,

gewisser Inseln weltentlegne Schrecken,
die Festung, die nach den Aposteln hieß,
und Reading Gaol, hinreichend Paradies,
um als Ballade Schaudern zu erwecken!

So tauchen Kerker in gedrängten Bildern
empor ins Licht aus dunkelstem Bereich
und Menschen sehn dich an, die nicht zu schildern,

Jammergestalten, abgezehrt und bleich.
Will solche Schau dir dein Dorado mildern?
Im Wesen sind Gefängnisse doch gleich.
Inschrift


"Auch hier ist einer der verrufnen Orte,
die Volksmund gern mit Höllenpein umwebt,
doch Amtsbericht in alle Himmel hebt;
denn dies Asyl sei von der sanften Sorte.

Hereinspaziert!" - so spricht die Eingangspforte -
"Den Käfig kennt nur, wer ihn selbst erlebt,
das heißt, ein Weilchen lebend sich begräbt.
Beschreibungen sind Worte, Worte, Worte.


Und eins vor allem", fährt die Inschrift fort,
"laß alles draußen, was herein nicht paßt,
und wär' es deines Wesens letzter Hort,

der Menschenwürde heißt. Das ist Ballast
und geht beim ersten Anlaß über Bord.
Nun weißt du, was du zu erwarten hast."
Menschenwürde


Die Inschrift irrt in ihren letzten Sätzen.
Es trifft wohl zu: hier wirst du kommandiert,
es mag auch ein, daß einer Lust verspürt,
den gelben Schnabel sich an dir zu wetzen.

Anlässe gibt es reichlich, zu verletzen,
Gelegenheiten, da man exerziert;
doch Menschenwürde läßt es unberührt.
Im Gegenteil, hier lernst du sie erst schätzen.

Demütigungen - fragt nur die Geschichte! -
beweisen der Urheber Seelenkleinheit.
Vor letztem, unabhängigem Gerichte

enthüllt sich anonymer Macht Gemeinheit
und der Entwürdigte behält im Lichte
gerechten Urteils seiner Würde Reinheit.
Begräbnis


in dumpfen Harmonien dröhnt Geläute
von Turm zu Türmen. Keine Glocke fehlt
und jede schwingt so feierlich beseelt,
als wüßte sie, was dieser Chor bedeute.

Du weißt es auch. Begräbnistag ist heute.
Der Staat, im jüngsten Stahlbad neugestählt,
befreit vom Alp, mit dem er sich gequält,
versenkt des Todes Saat auf seiner Seite.

Er trauert um die Opfer seiner Pflicht;
denn wo der Sieg, ist die gerechte Sache.
Du trauerst mit, doch unterscheidest nicht.

Die Toten schlafen unter gleichem Dache;
sogar der Herr der Herren widerspricht
sich selbst, wenn er verkündet: Mein die Rache.
Schuld


Doch wer ist schuld am Unglück dieser Tage?
Wer spielte mit dem Feuer hier zu Land?
Wer häufte Brennstoff, warf den ersten Brand,
daß aus dem Zunder helle Flamme schlage?

Wer von Geschichte weiß, dem ist die Frage
wie auch die Antwort nur zu gut bekannt:
des Siegers Richtspruch, hält er auch nicht stand,
genügt, daß alles der Besiegte trage.

So heißt es nun: die roten Hunde hetzten.
Ihr andern nicht? In Reden sonder Zahl?
Sie waren es, die das Gesetz verletzten.

Ihr andern nicht? Nicht mehr als hundertmal?
Sie hatten Waffen, die sie heimlich wetzten.
Ihr andern nicht? Und wenn! Nun ist's legal.
Zusammenhang


Auch läßt sich nicht aus dem Zusammenhange
gelöst, der sich nur blindem Blick entzieht,
betrachten, was im einzelnen geschieht:
die Reaktion ist überall im Gange.

Ob hier, ob dort, sie zerrt am gleichen Strange;
sie singt den Völkern ein Sirenenlied,
beschränkt der Freiheit strittiges Gebiet
und stößt dann wütend zu, die alte Schlange.

Ihr Alpha und ihr Omega sind Waffen;
ihr "Si vis pacem, para bellum" leitet
des Mordgeräts planvoll Zusammenraffen,

und wenn die Rüstung nicht nach außen streitet,
so wird - der Muster sind genug geschaffen -
damit im Innern ein Brumaire bereitet.
Waffen


Die Großen geben Kleineren und Kleinen
das Beispiel, das am Mark der Menschheit zehrt,
furchtbar für Land und Meer und Luft bewehrt,
Wölfe im Schafspelz, friedlich-fromm zu scheinen

und allen Scharfsinn darauf zu vereinen,
daß jenes Schlimmste schlimmer wiederkehrt,
die Pest des Krieges neu die Welt verheert
und wieder Millionen Mütter weinen.

Zwar wissen alle, dieses nächstemal
wird allenthalben Tod vom Himmel regnen
und letztentdeckter Gifte Folterqual;

doch trotzdem werden Priester Waffen segnen,
der Massenmord war, ist und bleibt legal
und wehe denen, die ein Wort entgegnen!
Hoffnung


So muß es immer wieder neu beginnen,
seit jener erste brüllte: "Das ist mein!"
und stark durch seinen Knüppel oder Stein
dem schwächern Bruder drohte: "Fort von hinnen!"

und zuschlug oder warf, um zu gewinnen?
Ist aller Wunsch nach Frieden eitler Schein
und Trumpf der Urinstinkt mit seinem Nein?
Und gibt es keine Hoffnung, kein Entrinnen?

Nur daß die paarmal hunderttausend Jahre,
seitdem der Mensch enttiert sein Wesen treibt,
und die paartausend, die er halbwegs klare

Geschichte hier auf Erden macht und schreibt,
ein Nichts sind gegen die schier unfaßbare
Zeitspanne, die dem Übertier verbleibt.
Vorgeführt


Der vierte Abend. Nur zu leicht verliert
man hier des Datums unentbehrlich Gut.
Die Zeit, die ruhend flieht und fliehend ruht,
wird nur vom Barte, den man nicht rasiert,

und von den Nägeln wachsend registriert.
Wie lange? fragt dein ungeduldig Blut
beim pantherhaften Hin-und-Her. Da tut
die Tür sich auf: "Sie werden vorgeführt."

Endlich! So denkst du, folgst, wirst übergeben
und übernommen. Bist du's? Zweifellos.
Treppab; erst Türen noch mit Eisenstäben,

dann schon vertrauensvolle, hölzern bloß;
zuletzt ein Gang, erfüllt von warmem Leben:
du bist im bessern Reiche der Büros.
Verhör


Man läßt dich ein. Du bist im Hauptquartier
der Polizei des Staats. Ein Oberrat
und Juris Doctor, der besagten Staat
vertritt in diesen heiligen Räumen hier,

begrüßt dich liebenswürdig, bietet dir
am Schreibtisch Platz an, höflich, akkurat,
und führt dich forschend deinen Leidenspfad
bis in das Jahr des Unheils dreißigvier.

Man fragt dich, wann und wie du Sozialist,
und staunt, da du nicht just von unten kamst,
daß du das überhaupt geworden bist;

dann will man wissen, wen du alles kennst,
ob etwa du Funktionen übernahmst
und welches Credo du das deine nennst.
Ein Akt

Warum du eigentlich hierhergekommen,
erfährst du nicht. Das wäre auch zuviel
fürs erstemal. Die Zeit nur führt zum Ziel;
drum läßt man lieber manches noch verschwommen.

Nachdem du solchermaßen einvernommen,
beginnt der Schreibmaschine klappernd Spiel,
die flugs dich aufnimmt in des Amtes Stil,
und eine Stufe ist damit erklommen:

Du bist ein Akt. Ein Ding mit einer Zahl,
das lebt und wächst. Dann heißt es Konvolut,
Faszikel gar und wird der Leser Qual

und liebt und haßt, als hätt' es Fleisch und Blut,
und füllt zuletzt mit Brüdern ein Regal,
allwo es bis zur Auferstehung ruht.
Wiedersehen


Es fiel dir schwer, die Beichte zu bestehen;
man hatte - dein Bericht war ungenau -
dir eine Gunst gewährt: mit deiner Frau
nachher in diesem Raum ein Wiedersehen.

So Wunderbares sollte dir geschehen!
Noch gab es hinter allem Wolkengrau
des reinen Himmels unermeßlich Blau.
Du fühltest dich vor Ungeduld vergehen.

Es war vor Zeugen. Nichts und alles sagend
las eines in des andern Angesicht,
mit kleinen Fragen Großes sich erfragend

und scheue Zärtlichkeit, ein kostbar Licht,
in dieser Trennung Trübnis mit sich tragend.
Vor Zeugen. Und ein Traum doch. Ein Gedicht.
Rückkehr


Schwer ist der Rückweg aus so kurzem Glücke
in eines Kerkers Abgeschlossenheit.
Schon liegt das kaum Erlebte wieder weit.
Die Tür fällt zu, als bräche eine Brücke.

Nun offenbart sich erst die ganze Tücke,
das ganze Ausmaß deiner Einsamkeit;
des Schmerzes Helfershelferin, die Zeit,
droht grinsend, daß dich ihre Macht erdrücke.

Noch kennst du erst die Wirkung weniger Tage,
so raunt die Feindin; Tage werden Wochen
und Wochen Monde, Monde - Untier, wage

kein weitres Wort! Es ward nicht ausgesprochen,
doch barg ihr Grinsen die fatale Frage:
wie lang? Wie lange bleibst du ungebrochen?
Zeit


Es war nur eines Augenblickes Schwäche
und schon im nächsten deutlich dir bewußt:
jetzt mußt du siegen! Jetzt und hier! Du mußt,
wenn du nicht willst, daß sich dein Zaudern räche.

So sprich den Spruch! Der Geist des Nachtlieds spreche!
"Doch tiefer noch als Herzeleid ist Lust."
Und Lust wird Ewigkeit in tiefer Brust
und zeitlich Leid bleibt an der Oberfläche.

Denn wie bestünden sonst wir Eintagsfliegen
vor Jahrbillonen in des Weltalls Lauf,
die sinnvoll hinter uns und vor uns liegen?

Erdrückend wirkt der Ewigkeit Gebäude,
allein ihr kleinstes Teilchen wiegt sie auf:
ein einziger Augenblick lebendiger Freude.
Raum


Die Feindin Zeit vermagst du zu bezwingen.
Wie aber soll es mit dem andern Feind,
der seine Kräfte mit den ihren eint,
wie mit dem Raum, der dich bedrängt, gelingen?

Hier stößt sich Körperliches an den Dingen,
un Undurchdringlichkeit, die starr verneint;
doch durch das offne Gitterfenster scheint
ein Stern und ruft den Geist, sich fortzuschwingen.

Du folgst dem Ruf. Schon ist der Rufer nah
und wieder weit. Dein ahnend Auge dringt
in Räume, die noch kein Refraktor sah.

Du horchst und hörst: Musik der Sphären klingt.
Noch ist die Zelle, doch bist du noch da?
Das Weltall atmet. Gottes Größe singt.
Gott


So wärst du trotz der Ungunst der Umgebung
beim Letzten, Höchsten wieder angelangt,
wo jeder Sprache vor den Worten bangt
und nur Gefühl sich hält in leiser Schwebung:

Gefühl, fernab von billiger Bestrebung,
die menschlich bittet oder menschlich dankt,
weil sie an Menschlichem sich aufwärts rankt,
Gefühl wunschlos notwendiger Erhebung.

Vergiß nicht, wenn dir oft ein nicht gewöhnlich
Bild oder Gleichnis dies Gefühl ersetzt:
nicht dir ist jenes Letzte, Höchste ähnlich,

jedoch wie du in ihm zuhöchst-und-letzt
lebt es in dir, persönlich-unpersönlich,
ein allumfassend-ewig Hier-und-Jetzt.
Ernüchterung


Laß ab, du unverbesserlicher Tor,
von Höhenflügen! Überirdischem Schwung
folgt unabwendbar die Ernüchterung.
Und Frag' um Frage wächst daraus empor:

Was hat die Hermandad mit dir noch vor?
Wo sind die Grenzen solcher Peinigung?
Erlitt dein Lebenswerk nicht einen Sprung,
mit dem es plötzlich seinen Sinn verlor?

Wie kommst an dieser Klippe du vorbei,
die schlimmer ist denn alle, die dir drohten?
Wie weißt du, ob es kein Begräbnis sei?

Vielleicht zählt mancher schon dich zu den Toten!
Und auf und ab. Und Leonore drei.
Und eine Stimme: Pfeifen ist verboten.
Pflicht


Die Stimme tat gewiß nur ihre Pflicht
und du tatst unrecht, kurzweg hier zu pfeifen;
denn pfiffe jeder, mußt du auch begreifen,
so schlüge das der Ordnung ins Gesicht,

ja wäre furchtbar. Übe denn Verzicht!
Du bist noch unstet, läßt Gedanken schweifen,
Gefühlen freien Lauf. Du mußt noch reifen,
mußt Pflichtmensch werden; denn du bist's noch nicht.

Pflicht: eine schöne Sache. Pflicht späht aus,
verfertigt Referate, unterschreibt,
schlägt zu, verhaftet, füllt dies Haus,

verhört, bestimmt, wie lang ein jeder bleibt,
und führt zuletzt, wer weiß wohin, heraus,
zuvor bedacht, daß keiner sich entleibt.
Dieselbe


Die Pflicht herabzusetzen, sei dir fern.
Zwar ist und macht sie häufig unbeliebt,
doch bleibt sie, trotz Bewölkung kaum getrübt,
oft widerwillig, selten herzlich gern

befolgt, des Herdenlebens Führerstern.
Ob Teufel oder Engel, jeder übt
die seine, falls es Höll' und Himmel gibt,
und dient dem einen oder andern Herrn.

Wer aber hat den Herrn sich selbst erkoren?
Wer schuf die Pflicht aus eignen Herzens Drang?
Wer ward in Pflicht nicht schon hineingeboren,

hineingezogen nicht mit fremdem Zwang?
Was gilt es, geht der Mensch darob verloren?
Der letzte Sinn der Pflicht ist Untergang.
Und nochmals Pflicht


was heißt nicht alles Pflicht? Du mußt erröten,
denkst du der einen, schwersten, schlimmsten nur,
die ruchlos-heilig durch Gesetz und Schwur
in höchstem Ansehn steht: der Pflicht zu töten.

Sie stirbt nicht aus; denn wo die Welt in Nöten,
erklärt Gewalt, ihr Wüten sei Natur,
und folgt der Vorzeit auf der blutigen Spur
des Massenmords trotz aller Friedensflöten.

Die Menschheit wird zu dieser Pflicht gedrillt,
Ungeist verbietet ernsten Widerspruch,
ererbte Phrase ruft nach Schwert und Schild,

bis alles Erdenlebens schlimmster Fluch
in schlimmern Schrecken wieder sich erfüllt
und schlimmer einer Welt Zusammenbruch.
Sonne


Nur streifend spärlich, eine kleine Weile,
in diesem Eckchen, das sich goldig schmückt,
besucht die Sonne dich. Du stehst entzückt
im wärmern Schmalraum ihrer Lebenspfeile.

Bist du denn krank? Die Göttin sagt, sie heile.
Der Glaube heilt auch hier. Du glaubst beglückt
und unwillkürlich, wie sie weiterrückt,
rückst du mit ihr. Da scheint dir, daß sie eile.

Vermöchte sie doch alle Unerlösten,
die hinter Gittern um ihr Freilicht trauern,
mit hoffnungsholder Gegenwart zu trösten!

Dann neigten alle in Gebetes Schauern
der schönsten Botschaft sich, der ewig größten:
die kalte Macht des Dunkels darf nicht dauern.
Bilder


Alltäglich gibt es eine Viertelstunde,
da vor der Nachtbeleuchtung klarer Pein
des Abenddämmers unbestimmter Schein
zum Träumen einlädt, Balsam jeder Wunde.

Du sitzt, mit guter Geister Schar im Bunde,
reglos erregt auf deinem Bänkelein,
siehst vor dich hin und schaust in dich hinein:
Bildfülle steigt aus tiefstem Seelengrunde.

Der aufgeklappten Bettstatt Eisenschienen
verschränken sich zu Rhomben, die als Rahmen
für dieser Viertelstunde Malwerk dienen.

Landschaften, Genreszenen, ganze Dramen,
Gestalten, Köpfe wechseln. Und in ihnen
ist Leben, weil sie aus dem Leben kamen.
Übersiedlung


Den zehnten Tag erst, den man so dir stahl,
führt man dich wieder vor die Obrigkeit;
dein Akt gedieh einstweilen wohl so weit,
daß sich ein neuerlich Verhör empfahl.

Die Prozedur ist wie das erste Mal,
genauer nur, mag sein. Man nimmt sich Zeit
und schürft so schlau nach jeder Einzelheit,
daß du dich selbst so glatt machst wie ein Aal.

Gleichwohl bist du mit deinem Akt gereift.
Die Polizei ergoß genügend Licht
in deinen Fall; nun wird er abgestreift.

Du hörst die Botschaft und begreifst sie nicht,
weil jeder Delinquent nur schwer begreift:
Du übersiedelst. Heut' noch. Ins Gericht.