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Normale Version: 1938 Judenvermögensabgabe und Reichsfluchtsteuer
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Judenvermögensabgabe und Reichsfluchtsteuer



Nachdem die Synagogen und die Judenläden
zerstört, geplündert, angezündet worden waren,
erklärte Göring, hart mit Juden zu verfahren:
Sie müssten für den Schaden büßen, einem jeden

wurd’ auferlegt, sein Sühne-Schärflein beizubringen.
Eine Milliarde Reichsmark in die Nazi-Kasse
zu leiten war das Ziel, um die Vermögensmasse
der Juden abzusaugen, ja sie auszuwringen,

bevor man sie verschubte. Seitens der Behörden
musste nun Sicherungsanordnung erlassen werden;
das hatten die Beamten sich nicht ausgesucht.

Aus ihrer Sicht erfüllten ja die Deportierten,
die ausgezehrt längst in den Lagern vegetierten,
den Tatbestand der vorsätzlichen Steuerflucht.


Anmerkung

Mit der Reichspogromnacht (der sogenannten „Reichskristallnacht“) vom 9. auf den 10. November 1938 war das NS-System zur konsequent betriebenen „Entjudung“ übergegangen, an deren Ende die in der berühmten Wannsee-Konferenz am 20. Januar 1942 beschlossene „Endlösung“, d.h. die planmäßige Vernichtung der jüdischen Mitbürger auch in den bis dahin besetzten Gebieten durch Deportation in die KZs stand.
Doch schon die Chronologie der antijüdischen Gesetze und Verordnungen seit Anfang 1938 sprach eine deutliche Sprache im Hinblick auf die Bestrebungen des Systems, sich jüdischen Vermögens im großen Stil zu bemächtigen:
26. 4. 1938: Verordnung über die Anmeldung jeglichen Vermögens von Juden über 5.000 RM
9. - 10. 11.1938: „Reichskristallnacht“: Zerstörung von Synagogen und jüdischen Geschäften
12. 11. 1938: Verordnung über die „Sühneleistung“ der Juden deutscher Staatsangehörigkeit, die sogenannte „Judenvermögensabgabe“, in Höhe von insgesamt 1 Mrd. RM, von Hermann Göring verkündet. Jeder Jude, der über 5.000 RM Vermögen besaß (was den Behörden ja nun bekannt war: s.o.), musste davon 20 % an die Reichskasse, zahlbar in vier Raten (also 4 x 5 %) jeweils zu Beginn des neuen Quartals, abführen. Umgesetzt wurde die Verordnung von den Finanzbehörden im Verein mit Inkasso-Firmen wie der Creditreform und den Sparkassen und Banken. Ab Januar 1939 wurde in Zehntausenden von Einzelfällen Sicherungsanordnung für Vermögenswerte jüdischer Mitbürger erlassen, d.h. ihre Konten bei den Geldinstituten wurden gesperrt. 
Ebenfalls 12. 11. 1938: Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben, d.h. generelles Arbeitsverbot für Juden. Die Judenvermögensabgabe – so das Kalkül – musste also in Zukunft aus der Substanz aufgebracht und bezahlt werden. Die Juden selbst sollten also ihre Vermögenswerte geldflüssig machen, indem sie ihre Häuser verkauften, ihre Wertgegenstände verpfändeten usw. Diese oft mühsamen Handlangerdienste zur Auffüllung der Reichskasse sollten sie, bevor sie letztlich der physischen Vernichtung zugeführt wurden, noch übernehmen. Somit arbeiteten die Juden, von denen viele schon nach der 2., spätestens der 3. Rate der Judenvermögensabgabe finanziell am Abgrund standen, an ihrem finanziellen Ruin gezwungenermaßen aktiv mit.
Ebenfalls 12. 11. 1938: Ausschaltung der Juden aus dem Kulturleben (Verbot des Besuchs von Konzerten, Theatern, Kinos usw.)
15.11. 1938: Entfernung jüdischer Kinder aus den Schulen
28.11. 1938: Einführung von Wohnbeschränkungen für Juden („Judenhäuser“)
3.12. 1938: Juden wird die Verfügung über ihre Wertpapiere entzogen
5.12. 1938: Kürzung von Pensionen jüdischer Beamter
12.12. 1939: Genereller Depotzwang für Wertpapiere in jüdischem Besitz
1.1.1939: Einführung der Zwangsvornamen „Sara“ und „Israel“
19. 10. 1939: Erhöhung der Judenvermögensabgabe von bislang 20% auf nunmehr 25% des jeweiligen privaten Vermögens (der am 1. 9. 1939 begonnene Zweite Weltkrieg kostete viel Geld; da waren zusätzliche Finanzmittel willkommen)
20. 10. 1940: Beginn der ersten großen planmäßigen Deportation von Juden (im Gau Baden in das KZ Gurs in Südfrankreich)

Im Amtsdeutsch wurde Juden nicht deportiert, sondern „verschubt“.
Nach 1938 gelang es kaum einem Juden mehr, aus dem Deutschen Reich ins Ausland zu entkommen. Sofern dies in Einzelfällen begüterten Mitbürgern gelang, war dafür ein hoher Preis zu zahlen: In der Regel verloren sie mehr als 90 % ihres Vermögens. Gesetzliche Grundlage zu ihrer Ausplünderung war neben der Judenvermögensabgabe die sogenannte Reichsfluchtsteuer, die schon 1931 eingeführt worden war, um Kapitalabflüsse während der Deflationszeit zu verhindern. Dem NS-Regime kam die Reichsfluchtsteuer als probates Instrument zur Judenausplünderung sehr gelegen.
Da sich die mit der Veranlagung befassten Finanzbehörden in der Regel nicht darüber im Bilde waren (und sich dafür auch nicht interessierten), was mit den deportierten Juden fortan geschah, waren die Betreffenden, da "verschubt", postalisch nicht mehr greifbar. Daraus wurde geschlossen, dass sie sich offensichtlich ihrer Steuerpflicht entzogen hatten, was als Straftatbestand der vorsätzlichen Steuerflucht bewertet wurde. Die Kontenblätter der einzelnen Juden, auf denen ihre Steuerrückstände penibel verzeichnet waren, wurden (unabhängig davon, ob sie noch lebten oder nicht) bis kurz vor Kriegsende weitergeführt.