Sonett-Forum

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Der Bogen
(nach der bekannten Lessingschen Fabel)


Es sprach zu seinem Bogen einst ein Schütze:
„Du bist mir wert, du treffliches Gerät!
Wie trifft der Pfeil doch, den ich für dich spitze!“ -
Doch wie er lang den Bogen hält und dreht,

bekennt er: „Leider nur, wie sehr du nütze,
all deine Zierde, Glätte, nicht verrät!
Es sei: der meistbekannte Künstler schnitze
Figuren dir!“ Gesagt, getan, er geht.

Der Künstler sinnt, wie er’s vollführen soll:
„Wenn ich wohl Jagdmotive schnitzen würde?
Ein Jagdmotiv gefällt aus Jägersicht!“

Der Schütz besieht die Waffe freudevoll:
„Mein lieber Bogen, du verdienst die Zierde!“,
versucht ihn, spannt ihn, und der Bogen – bricht.


Hier Lessings Originaltext in Prosa:

Der Besitzer des Bogens

Ein Mann hatte einen trefflichen Bogen von Ebenholz, mit dem er sehr weit und sicher schoß, und den er ungemein wert hielt. Einst aber, als er ihn aufmerksam betrachtete, sprach er: »Ein wenig zu plump bist du doch! Alle deine Zierde ist die Glätte. Schade!« - »Doch dem ist abzuhelfen!« fiel ihm ein. »Ich will hingehen und den besten Künstler Bilder in den Bogen schnitzen lassen.« - Er ging hin; und der Künstler schnitzte eine ganze Jagd auf den Bogen; und was hätte sich besser auf einen Bogen geschickt als eine Jagd?
Der Mann war voller Freude. »Du verdienest diese Zieraten, mein lieber Bogen!« - Indem will er ihn versuchen; er spannt, und der Bogen - zerbricht.