Sonett-Forum

Normale Version: Apfelbaum
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Den hab ich letztes Jahr schon fällen wollen,
als ich den Pilzbefall an ihm entdeckte,
doch dachte, da noch Leben in ihm steckte,
"ein Jahr, in dem die Bienen letzte Pollen
aus Apfelblüten bergen". Doch die schwollen,
als ihn der Frühling aus der Ruhe weckte,
kaum an und wo er früher Äste reckte
hängen sie heut, um dem Tribut zu zollen,

was allem blüht. Viel Most wird es nicht geben,
doch das ist grad egal. In diesen Tagen
soll er, so wie er mag, nach Sonne streben
trotz krankem Wurzelwerk. Wer kann schon sagen,
ob er nicht fühlt, wie Spinnen Netze weben,
wenns Laub beginnt, ein letztes Rot zu tragen.
Hallo Sneaky,

Bravo!
Gleich in der ersten Zeile konterkarierst du die Erwartung nach der Überschrift.

Diese erste Zeile klingt allerdings, als ob du schon bereust ihn nicht früher gefällt zu haben. Die Schlußzeilen sagen aber genau das Gegenteil, daß du ihm seine letzten Tage gönnst, bis er von selbst eingeht.

Daher würde ich die erste Zeile umformen in Richtung:

"Ich hatt ihn letzten Herbst schon fällen wollen".


Sonst nix zu bemängeln, mch weiter so.

LG ZaunköniG
Hallo Zaunkönig,

guter Vorschlag. Ich werds gleich umändern.

DAnke fürs Lob, freut mich sehr.

Sneaky
Hallo Sneaky,

ein wirklich schönes Sonett. Mir gefällt die Beschreibung des alten Baumes, der noch weiter leben darf. Erinnert mich an meine nahende Rente. Schön wenn man dann nicht unnütz angesehen wird.

Noch eine Verständnisfrage. Ich sehe das die Sätze in den einzelnen Absätzen nicht abgeschlossen sind und gedanklich auch in den nächsten Absatz verbindend eingreifen. Wäre also ohne weiters möglich?

LG
Detlef
Hallo Detlef,

Zitat:Noch eine Verständnisfrage. Ich sehe das die Sätze in den einzelnen Absätzen nicht abgeschlossen sind und gedanklich auch in den nächsten Absatz verbindend eingreifen. Wäre also ohne weiters möglich?

Du beziehst dich anscheinend auf die klassische Forderung nach einem antithetischen Aufbau. Tatsächlich eignet sich die Form des Sonetts sehr gut für dialektische Argumentation; auf jeden Fall sollte aber die Form der Funktion folgen, wenn wir von der reinen Lehre sprechen.

In Sneakys Sonett finden sich zwar auch die Gegensätze zwischen Fällenwollen und Lebenlassen, doch folgt es keiner strengen Logik. Eher läßt er sich von einer Stimmung tragen, die die Gegensätze zwischen Sterbenmüssen und Lebendürfen verwischt. Die verschliffenen Zeilen oder Enjambements entsprechen für mein Empfinden der Erzählstruktur ganz gut.

Ob man solche Enjambements verwenden "darf" hängt letztlich von Inhalt ab, den das Gedicht transportieren soll.

LG ZaunköniG
Vielen Dank lieber ZaunköniG,

Deine Erklärungen sind für mich sehr nützlich. Sonetts sind für mich noch Neuland. Mit der Zeit werde ich bestimmt die guten Ratschläge auch umsetzen.

LG Detlef
Hallo sneaky,

gefällt auch mir sehr gut, inhaltlich wie formal, ein überzeugender Spannungsbogen.
Ist die Rhythmusabweichung am Beginn von Z8 "hängen sie heut..." beabsichtigt? Wenn nein, passt sie trotzdem.

LG Friedrich
Hallo Detlef,

freut mich, wenn dir der Text gefallen hat. Zaunkönig hat ja zu den Enjambments schon was gesagt und auch zur Dialektik. Ich bin bisher noch zu keinem Sonett gekommen, das sich sauber in diese Kategorie fügen würde, bei mir geräts meist in das Erzählerische und die streng getrennte Aufteilung fällt dabei flach.

Hallo Friedrich,

der Ruckler in Z8 war diesmal bewußt gesetzt, ich wollte die Alliteration und den Bruch haben. Vielen Dank für dein Lob

Sneaky
Gefällt mir sehr gut. Der Schluss mit dem Rostrot ist eine schöne Allegorie.

Gruß, Fabian
zum thema "ruckler": elementar ist es, zu verstehen, worin erstens der unterschied zwischen dem rhyhtmus einerseits und dem metrum andererseits besteht. hierbei handelt es sich nämlich um zwei sich zwar gegenseitig prägende, aber doch voneinander gleichzeitig unabhängig sich ereignende phänomene. wolfgang kayser gebraucht bei der erläuterung und veranschaulichung (in "kleine deutsche versschule")dieses unterschieds ein bild: (das schema, also der metrische rahmen eines gedichts) "... wir möchten es einem cannevas vergleichen, der selber unter der vollendeten arbeit verschwindet, aber doch länge, dicke und richtung der einzelnen stiche bestimmt hat"; und zweitens kann keine gründliche analyse des schemas und des rhyhtmus eines metrischen gedichts auskommen ohne eine feine abstufung der betonungen / hebungen in haupt- und nebenbetonungen.ohrenfällig wird eine solche abstufung dadurch, indem man ein vorliegendes gedicht zunächst skandiert (also seine metrischen einheiten spricht, hörbar macht, ohne dabei rücksicht auf die sinnzusammenhänge zu nehmen) und dann kunstgerecht deklamiert, also die widersprüche zwischen taktmäßig und syntaktisch-semantischen vorgegebenen einschnitten (auch: kolon-grenzen) miteinander versöhnt. so bemängeln wir auch nicht, dass sneaky beispielsweise in vers2 schreibt: "als ich den pilzbefall an ihm entdeckte", obwohl eine betonung des lyrischen ich an dieser stelle unnötig,ja sogar störend wirken müsste (ansonsten drängte ich die frage auf: wer als das lyrische ich hätte denn den pilzbefall entdecken sollen?). -
wolfgang kayser geht noch einen schritt weiter und fällt im laufe seiner (nicht umumstrittenen typisierung verschiedener vers-rhythmen) ein hartes urteil über den rhyhtmus eines gedichts, welcher stets "nah beim metrum bleibt. wenn jede hebung erfüllt wird und die einschnitte beim
sprechen immer nur den einschnitten des schemas entsprechen": "der gesamteindruck ist der einer hölzernen starre. man kann beim lesen das berühmte "leiern" kaum vermeiden", an einer späteren stelle: der "metrische rhyhtmus", der im grunde keiner war (ist), weil hier das metrum den rhythmus vergewaltigt hatte... ". -

bei sneakys achter zeile handelte es sich allerdings im verseingang um eine tonbeugung, welche dort an diese stelle lange schon nur noch von "hardcore-puristen" als metrischer fehler (nicht rhyhtmisch!) angesehen wird. würde man dies hier tun, so müsste man im gegenzug (ich sag mal ganz salopp) die hälfte des werks eines rainer maria rilke - darunter seine schönsten gedichte - als fehlerhaft und metrisch ungenau konzipiert verwerfen. Wink letzendlich bleibt die frage nach der legitimtät, der künstlerischen opportunität synkopischer rhyhtmen, tonbeugungen und ihre realisationen im sprechakt als "schwebende betonungen" heute nur noch eine frage des geschmacks und muss wohl in jedem einzelfall neu untersucht werden, inwiefern ein solches mittel gerechtfertigt erscheint oder eben nicht. - ich persönlich finde diese stelle, vor allem in hinblick auf ihre
inhaltliche aussage, die damit verknüpft ist, hervorragend und ästhetisch sehr gelungen umgesetzt,

liebe grüße
drehrassel
Hallo drehrassel,

vielen Dank für die ausführliche Erläuterung. Das was du angesprochen hast skandieren vs. leiern ist wohl der Unterschied zwischen Betonung und Melodie, wenn ichs auf der musikalischen Ebene sehe. Ich habe mich be der "hängen sie heut" Stelle die mir schon bewusst war, sowohl von der Alliteration als auch vom Wortsinn her gegen etwas jambisches entschieden und schon einige Meinungen pro und contra dazu gehört und beides kann man begründen.

Danke fürs Kommentieren und Gruß

Sneaky