I. - Heimkehr 1920
So wie die Werra rauscht kein
andrer Strom.
Vom Wehr die wellen linde
niedergleiten,
Sie singen mir von holden
Kinderzeit.
Die Heimat blieb. Es schwand
so manch Phantom.
Dies enge Städtchen ist mir
mehr als Rom,
Umkränzt von Wald, umglänzt
von goldnen Breiten.
Aus dichten Gärten blickt in
blaue Weiten
Die schlichte Kirche, ragend
wie ein Dom.
Die alte Mauer, die die Stadt
umwehrt,
Gemahnt an Kämpfe, Tillys
Schwert und Feuer.
Jetzt blieb ihr markt vom
Kriege unversehrt.
Die Mädchen plaudern an des
Brunnens Rund.
Doch wieder ward ein Los ihr,
ungeheuer,
Denn Deutschland fiel, - und sieh
nun schwankt ihr Grund.
II. – Der Garten meiner
Kindheit
Die grüne Tür giebt den
vertrauten Ton.
Ein heller Weg führt zwischen
Blumenrainen
Zum Gartenhause, eingefaßt mit
steinen,
wie schon vor Jahren, von
gebrannten Ton.
Auf den Rabatten blüht der
rote Mohn,
Und Rosen glühen, die den Duft
vereinen
Mit den Levkojen und dem
ältlich feinen
Resedahauche – wie vor Jahren
schon.
Wie früher locken noch die
Stachelbeeren.
Zur Seite träumt vom Einst die
Sonnenuhr.
Talher töt Rauschen von den
Werrawehren. –
Und vom Altan seh ich die
bunte Flur
Verdämmernd sich in blaue
Fernen dehnen,
Und es ergreift mich wie ein
Kindersehnen.
III. – Durch die roten
Fensterruten
Im Gartenhaus die Tür mit
bunten Scheiben
Zeigt Tal und Berge wundersam
getönt.
Das Gelb macht sonnig,
Himmelblau verschönt,
Doch Rot ist fürchterlich,
kaum zu beschreiben.
So konnte Brueghel nicht die
Farben reiben.
Das ist ein Tal, in dem die
Hölle dröhnt.
Der Fluß ist Blut, der rote
Himmel höhnt
Hier ist nicht Gnade, keine
Rast, kein Bleiben
Als Knabe stand ich oft, en
Blick gebannt
Vor diesem Bild, bei dem mir
heimlich graute.
Wärs möglich, dacht ich, daß
ich je das Land
Verwandelt so in eine Hölle
schaute?
Jetzt sahen wir – wie durch
die roten Ruten –
Die Welt in Feuer und das Land
verbluten.
IV. – Der stille Garten
Ein stiller Garten schmiegt
sich an die Mauer
Voll Duft und Blüten, überragt
vom Chor
Der alten Kirche. Tret ich in
das Tor,
Erwachen des Gedenkens ernste
schauer.
Welch holde Wildnis! Laß die
Totentrauer.
Hier find ich Freunde, die ich
längst verlor
In Kindheitstagen – ach wie
lang zuvor!
Wir schieden schon nach kurzer
Freundschaftsdauer.
Du warst ein sanfter, Du ein
wilder Bube.
Ich weiß noch, wie wir jungen
blinden Hessen
Das Lesen lernten in des
Kantors Stube.
Auch der ist hier, der heitre
Philosoph.
O dieser Ort läßt hold das
Jetzt vergessen;
Er lädt zur Rast – und heißt
der Totenhof.
V. - Die Jungfernkrone
Im Leichenhof liegt eine
Jungfernkrone
Auf weißer Seide in
geschnitztem Schrein,
Zierlich gewunden und so weiß
und rein
Wie eine aufgeblühte Anemone.
Der Kranz der Unschuld wurde
Dir zum Lohne
Elisa, braungezöpftes
mägdelein.
Ich mein’, mich sonnte Deiner
Augen Schein.
Traf mich Dein Grüßen aus der
Geisterzone?
Nun seh ich emsig Dich das
Haus bereiten,
Dich feiertäglich still zur
Kirche gehn
Und kranzgeschmückt im
Erntezuge schreiten,
Dein enges Glück und Deine
letzte Not.
Wie lieb ich Dich und hab Dich
nie gesehn,
Denn eh ich lebte, warst Du
längst schon tot.
VI. – Die zerfallene Kirche
Abseits vom Weg, wo bin ich
hingeraten?
im tiefen Walde liegt ein
Mauerrest
In Schutt und Trümmern. Nur
ein Bogen läßt,
Daß einst hier eine Kirche
stand, erraten.
Hier lag ein Dorf, umwogt von
goldnen Saaten.
Auch ihm hat eine Linde ihr
Geäst
Gebreitet über Thing und
Erntefest,
- Bis ihm die Hölle sandte die
Kroaten.
Da ward das Dorf mit Haus und
Hof und Herde
Verwüstet und vertilgt von
dieser Erde.
Heut kündet nur die Sage
seinen Namen.
Der Kirchenbogen, der nur halb
noch steht,
Ist wie aus grauen Zeiten ein
Gebet
Vom Morde unterbrochen vor dem
Amen.
VII. - Glockenstimmen 1637 :: 1921
Von bangen Tagen singt so bang
der Glocke Läuten:
Kroaten rücken an – erbarm
Dich Herre Gott! –
Vom Pappenheim’schen Korps;
ihr Obrist heißt Beigott,
- „Beim Teufel“ hieß er recht
– und gleichet seinen Leuten.
Die schlagen kurz und klein,
was sie nicht just erbeuten,
Und all ihr Werk und Tun ist
Lästerung und Spott
Und Schand und Brand und Mord,
als wär es Korahs Rott.
In Flammen steht die Stadt, da
sie von dannen reuten.
Der Kirchturm sinkt in Schutt,
die Glocke springt entzwei;
Die wird vergraben gut, bis
daß es Frieden sei. –
Der Friede kommt ins Land. Die
Glocke wird zur Speise
Für eine Glocke klar, ein
Stimm zu Gottes Preise.
Die Stadt ist aufgebaut; nun
singt ein hell Geläut:
„Verzaget nicht in Not!“
Die Glocke klingt noch heut.
VIII. - Glück
Das Märchen von der
Zaubersbrücke.
„Hol über!“ rufts. „Hol über“
schallts vom Berge,
Der steil sich in die Werra
neigt, zurück.
Im Kahn der Fischer Thomas
stutzt. Sein Blick
Sucht, wo am Ufer sich der
Rufer berge.
Und sieh’, da harren winkend
sieben Zwerge:
„He Thomas, bringst Du uns zur
Zaubersbrück,
Ist Dir gewährt, was Du
begehrst als Glück.
Doch wünsch das Rechte! Nun
setz über Ferge!“
Die Last ist leicht. Sie
landen an der Schlucht,
Die überwölbt ist von der
Zauberbrücke.
Da klafft im Fels goldgleißend
eine Lücke.
„Den Korb voll Gold!“ er
sprichts -, und eine Wucht
Von rotem Golde beugt schon
seinen Leib.
Er rudert heim- und findet tot
sein Weib.
IX. - Sturz
Bilstein im Höllental
Die Veste Bilstein wird
berannt vom Feind,
Unnahbar thront sie auf den
Felsengraten.
- Der Gang zur Höllenmühle
wird verraten;
Nun ist der Mangel mit dem
Feind vereint.
Und mit dem Mond – sein
letztes Viertel scheint –
Verringern sich die schmalen
Tagesraten.
Der Hunger schleicht durch Hof
und Kemenaten.
Das Kriegsvolk flucht, das
Ingesinde weint.
Ein Tor fliegt auf. Der
Burgherr fährt hinaus
Mit Weib und kind auf stolz
geschmücktem Wagen.
Und sausend gehts hinunter
geradeaus
Dem Abgrund zu. Die Rosse
überschlagen
Sich hart am Rand; - ein
Schrei, - ein Krachen und –
Ein Höllensturz reißt Alles in
den Schlund.
X. – Das Wichtelmännchen
Beim Schuster Henner in der
Schustergasse
Besorgt ein Wichtelmännchen
jede Nacht
Die Arbeit, die er selber
nicht vollbracht.
Dem Meister Henner kam das gut
zu passe.
Und unversehens füllt sich
seine Kasse.
Er fragt nach seiner Schuld.
Das Männchen lacht
Und wünscht sich – denkt Euch –
eine Herrentracht.
Es meint, daß Rot ihm sicher
prächtig lasse.
Ein rot Gewändlein näht ihm
Henners Lieschen,
Besetzt das Wamms, am Höslein
goldne Bieschen,
Das Männlein spiegelt, dreht
und wendet sich:
„Der Tausend ei, bin ich ein
stolzer Knappe.
Das fehlte gerad, daß ich noch
Schuhe lappe!“
- Sprachs, zupfte glatt das
Wämmslein – und entwich.
XI. – Die Teufelskanzel
Der Teufel ist ein
Proselytenmacher.
Den Fels hat er als Kanzel
aufgebaut
Und predigt dort nun
salbungsvoll und laut
Für Haß und Lug, für Wucher,
List und Schacher.
Frau Holle schickt den Lenz,
den holden Lacher
Vom Meißner, der von fern herüberblaut.
Wie den der Böse wittert, hört
und schaut,
Da spürt er gleich, der ist
sein Widersacher.
Er nimmt Reißaus und springt
von seinem Stein
Der Hölle zu, läßt weiter
keine Spur
Als seines Hufes Abdruck in
der Flur.
Die Felsenkanzel aber ist nun
rein.
Senk dort die Seele in den
Glanz der Auen,
Und Du bist sicher vor des
Teufels Klauen.
XII. Die heimliche Quelle
Kammerbacher Höhle
In Höhlennacht springt eine
klare Quelle,
Frau Holle heilig, tief im
Fels versteckt,
Und wem das Angesicht ein Mal
befleckt,
Wäscht rein am Ostermorgen
ihre Welle.
Zerbrach Dein Schwert, so
bring es mit zur Stelle
Und tauch es ein, daß es die
Flut bedeckt.
Bald ist es heil: geschweißt,
gestählt, gestreckt,
Und schimmert wieder in der
alten Helle.
Deutschland, o daß Dein Volk
den Bronnen fände
Und aus der bangen Nacht zum
Licht erstände,
Verklärt das Antlitz von Frau
Holda’s Quell,
Höbe den Notung heil aus
reinen Fluten
Und schwäng ihn in des
Ostermorgens Gluten
Bewehrt und strahlend wie
Sankt Michael!
XIII. – Nach dem Gewitter
Ein letzter Blitz. Das Wetter
fern vergrollt,
- Ein Rollen dumpf wie
Schüttern schwanker Bleche -.
Die Sonne drängt, daß sie die
Wand durchbreche
Der dunklen Wolken, die sie
zackt mit Gold.
Wie dampft der Grund! Der
Sturm hat ausgetollt
Und rüttelt noch am Tor in
letzer Schwäche.
Aus engen Gassen stürzen kühle
Bäche.
Ein Hauch vom Anger atmet herb
und hold.
Nun gehn die Fenster und die
Türen auf.
In dumpfe Stuben rinnt die
linke Kühle.
Ich aber gehe still den Berg
hinauf.
Gesänftigt ist das Stürmen der
Gefühle,
Und meine Seele hofft auf
neues Hoffen;
Ström in mich ein – die Türen
stehen offen!
XIV. - Mondnacht
Der Mondenschein fließt durch
die stillen Gasen
Und übergießt mit Silber Haus
und Dach.
Die Fachwerkgiebel schimmern.
Jedes Fach
Ist ein Opal, den Bronzerahmen
fassen.
Die Kirche stellt die
aufgetürmten Massen
Schwarz vor den Mond. In
friedlichem Gemach
Ist hier und da noch eine
Lampe wach.
Fern klingt ein Lied. Der
Marktplatz liegt verlassen.
Der Brunnen plätschert und die
Linden rauschen
Und alles scheint zu flüstern
und zu lauschen.
Ein Bursch ergeht sich saht
mit seinem Mädchen.
Sie bergen sich im Dunkel eng
vereint.
Wie klug ihr zwei! Wenn euch
der Mond bescheint,
Spricht morgen früh von euch
das ganze Städtchen.
XV. - Ausklang
Und alles ist geblieben wie es
war:
Die Giebelhäuser mit
verkröpften Ecken,
Mit Pfeilern, Eierstab,
Konsolen, Schnecken,
Mit frommer Inschrift, Namen,
Tag und Jahr.
Vom Brunnen auf dem Markte plätschern klar
Wie einst vier Strahlen in das
runde Becken;
Und vor dem Tor blickt durch
die Buchenhecken
Der Gärten Fülle lockend,
wunderbar.
Und dann hinaus! Das Wiesental
hinan
Durch Dorf und Wald zum alten
Burggemäuer.
Dort träumt ich oftmalsin die
Weiten lugend
Von fernem Glück und seltnem
Abenteuer.
Mein liebes Land! Es blickt
aus Dir mich an
Vertraut und ferne meine eigne
Jugend.