Georg Bodenheim                  Heimkehr

 

Sonette von der Werra

 

 

I. - Heimkehr 1920

 

So wie die Werra rauscht kein andrer Strom.

Vom Wehr die wellen linde niedergleiten,

Sie singen mir von holden Kinderzeit.

Die Heimat blieb. Es schwand so manch Phantom.

 

Dies enge Städtchen ist mir mehr als Rom,

Umkränzt von Wald, umglänzt von goldnen Breiten.

Aus dichten Gärten blickt in blaue Weiten

Die schlichte Kirche, ragend wie ein Dom.

 

Die alte Mauer, die die Stadt umwehrt,

Gemahnt an Kämpfe, Tillys Schwert und Feuer.

Jetzt blieb ihr markt vom Kriege unversehrt.

 

Die Mädchen plaudern an des Brunnens Rund.

Doch wieder ward ein Los ihr, ungeheuer,

Denn Deutschland fiel, - und sieh nun schwankt ihr Grund.

 

 

II. – Der Garten meiner Kindheit

 

Die grüne Tür giebt den vertrauten Ton.

Ein heller Weg führt zwischen Blumenrainen

Zum Gartenhause, eingefaßt mit steinen,

wie schon vor Jahren, von gebrannten Ton.

 

Auf den Rabatten blüht der rote Mohn,

Und Rosen glühen, die den Duft vereinen

Mit den Levkojen und dem ältlich feinen

Resedahauche – wie vor Jahren schon.

 

Wie früher locken noch die Stachelbeeren.

Zur Seite träumt vom Einst die Sonnenuhr.

Talher töt Rauschen von den Werrawehren. –

 

Und vom Altan seh ich die bunte Flur

Verdämmernd sich in blaue Fernen dehnen,

Und es ergreift mich wie ein Kindersehnen.

 

 

III. – Durch die roten Fensterruten

 

Im Gartenhaus die Tür mit bunten Scheiben

Zeigt Tal und Berge wundersam getönt.

Das Gelb macht sonnig, Himmelblau verschönt,

Doch Rot ist fürchterlich, kaum zu beschreiben.

 

So konnte Brueghel nicht die Farben reiben.

Das ist ein Tal, in dem die Hölle dröhnt.

Der Fluß ist Blut, der rote Himmel höhnt

Hier ist nicht Gnade, keine Rast, kein Bleiben

 

Als Knabe stand ich oft, en Blick gebannt

Vor diesem Bild, bei dem mir heimlich graute.

Wärs möglich, dacht ich, daß ich je das Land

 

Verwandelt so in eine Hölle schaute?

Jetzt sahen wir – wie durch die roten Ruten –

Die Welt in Feuer und das Land verbluten.

 

 

IV. – Der stille Garten

 

Ein stiller Garten schmiegt sich an die Mauer

Voll Duft und Blüten, überragt vom Chor

Der alten Kirche. Tret ich in das Tor,

Erwachen des Gedenkens ernste schauer.

 

Welch holde Wildnis! Laß die Totentrauer.

Hier find ich Freunde, die ich längst verlor

In Kindheitstagen – ach wie lang zuvor!

Wir schieden schon nach kurzer Freundschaftsdauer.

 

Du warst ein sanfter, Du ein wilder Bube.

Ich weiß noch, wie wir jungen blinden Hessen

Das Lesen lernten in des Kantors Stube.

 

Auch der ist hier, der heitre Philosoph.

O dieser Ort läßt hold das Jetzt vergessen;

Er lädt zur Rast – und heißt der Totenhof.

 

 

V. - Die Jungfernkrone

 

Im Leichenhof liegt eine Jungfernkrone

Auf weißer Seide in geschnitztem Schrein,

Zierlich gewunden und so weiß und rein

Wie eine aufgeblühte Anemone.

 

Der Kranz der Unschuld wurde Dir zum Lohne

Elisa, braungezöpftes mägdelein.

Ich mein’, mich sonnte Deiner Augen Schein.

Traf mich Dein Grüßen aus der Geisterzone?

 

Nun seh ich emsig Dich das Haus bereiten,

Dich feiertäglich still zur Kirche gehn

Und kranzgeschmückt im Erntezuge schreiten,

 

Dein enges Glück und Deine letzte Not.

Wie lieb ich Dich und hab Dich nie gesehn,

Denn eh ich lebte, warst Du längst schon tot.

 

 

VI. – Die zerfallene Kirche

 

Abseits vom Weg, wo bin ich hingeraten?

im tiefen Walde liegt ein Mauerrest

In Schutt und Trümmern. Nur ein Bogen läßt,

Daß einst hier eine Kirche stand, erraten.

 

Hier lag ein Dorf, umwogt von goldnen Saaten.

Auch ihm hat eine Linde ihr Geäst

Gebreitet über Thing und Erntefest,

- Bis ihm die Hölle sandte die Kroaten.

 

Da ward das Dorf mit Haus und Hof und Herde

Verwüstet und vertilgt von dieser Erde.

Heut kündet nur die Sage seinen Namen.

 

Der Kirchenbogen, der nur halb noch steht,

Ist wie aus grauen Zeiten ein Gebet

Vom Morde unterbrochen vor dem Amen.

 

 

VII. -  Glockenstimmen 1637 :: 1921

 

Von bangen Tagen singt so bang der Glocke Läuten:

Kroaten rücken an – erbarm Dich Herre Gott! –

Vom Pappenheim’schen Korps; ihr Obrist heißt Beigott,

- „Beim Teufel“ hieß er recht – und gleichet seinen Leuten.

 

Die schlagen kurz und klein, was sie nicht just erbeuten,

Und all ihr Werk und Tun ist Lästerung und Spott

Und Schand und Brand und Mord, als wär es Korahs Rott.

In Flammen steht die Stadt, da sie von dannen reuten.

 

Der Kirchturm sinkt in Schutt, die Glocke springt entzwei;

Die wird vergraben gut, bis daß es Frieden sei. –

Der Friede kommt ins Land. Die Glocke wird zur Speise

 

Für eine Glocke klar, ein Stimm zu Gottes Preise.

Die Stadt ist aufgebaut; nun singt ein hell Geläut:

„Verzaget nicht in Not!“

                               Die Glocke klingt noch heut.

 

 

 

VIII. - Glück

Das Märchen von der Zaubersbrücke.

 

„Hol über!“ rufts. „Hol über“ schallts vom Berge,

Der steil sich in die Werra neigt, zurück.

Im Kahn der Fischer Thomas stutzt. Sein Blick

Sucht, wo am Ufer sich der Rufer berge.

 

Und sieh’, da harren winkend sieben Zwerge:

„He Thomas, bringst Du uns zur Zaubersbrück,

Ist Dir gewährt, was Du begehrst als Glück.

Doch wünsch das Rechte! Nun setz über Ferge!“

 

Die Last ist leicht. Sie landen an der Schlucht,

Die überwölbt ist von der Zauberbrücke.

Da klafft im Fels goldgleißend eine Lücke.

 

„Den Korb voll Gold!“ er sprichts -, und eine Wucht

Von rotem Golde beugt schon seinen Leib.

Er rudert heim- und findet tot sein Weib.

 

 

IX. - Sturz

Bilstein im Höllental

 

Die Veste Bilstein wird berannt vom Feind,

Unnahbar thront sie auf den Felsengraten.

- Der Gang zur Höllenmühle wird verraten;

Nun ist der Mangel mit dem Feind vereint.

 

Und mit dem Mond – sein letztes Viertel scheint –

Verringern sich die schmalen Tagesraten.

Der Hunger schleicht durch Hof und Kemenaten.

Das Kriegsvolk flucht, das Ingesinde weint.

 

Ein Tor fliegt auf. Der Burgherr fährt hinaus

Mit Weib und kind auf stolz geschmücktem Wagen.

Und sausend gehts hinunter geradeaus

 

Dem Abgrund zu. Die Rosse überschlagen

Sich hart am Rand; - ein Schrei, - ein Krachen und –

Ein Höllensturz reißt Alles in den Schlund.

 

 

X. – Das Wichtelmännchen

 

Beim Schuster Henner in der Schustergasse

Besorgt ein Wichtelmännchen jede Nacht

Die Arbeit, die er selber nicht vollbracht.

Dem Meister Henner kam das gut zu passe.

 

Und unversehens füllt sich seine Kasse.

Er fragt nach seiner Schuld. Das Männchen lacht

Und wünscht sich – denkt Euch – eine Herrentracht.

Es meint, daß Rot ihm sicher prächtig lasse.

 

Ein rot Gewändlein näht ihm Henners Lieschen,

Besetzt das Wamms, am Höslein goldne Bieschen,

Das Männlein spiegelt, dreht und wendet sich:

 

„Der Tausend ei, bin ich ein stolzer Knappe.

Das fehlte gerad, daß ich noch Schuhe lappe!“

- Sprachs, zupfte glatt das Wämmslein – und entwich.

 

 

XI. – Die Teufelskanzel

 

Der Teufel ist ein Proselytenmacher.

Den Fels hat er als Kanzel aufgebaut

Und predigt dort nun salbungsvoll und laut

Für Haß und Lug, für Wucher, List und Schacher.

 

Frau Holle schickt den Lenz, den holden Lacher

Vom Meißner, der von fern herüberblaut.

Wie den der Böse wittert, hört und schaut,

Da spürt er gleich, der ist sein Widersacher.

 

Er nimmt Reißaus und springt von seinem Stein

Der Hölle zu, läßt weiter keine Spur

Als seines Hufes Abdruck in der Flur.

 

Die Felsenkanzel aber ist nun rein.

Senk dort die Seele in den Glanz der Auen,

Und Du bist sicher vor des Teufels Klauen.

 

 

XII. Die heimliche Quelle

Kammerbacher Höhle

 

In Höhlennacht springt eine klare Quelle,

Frau Holle heilig, tief im Fels versteckt,

Und wem das Angesicht ein Mal befleckt,

Wäscht rein am Ostermorgen ihre Welle.

 

Zerbrach Dein Schwert, so bring es mit zur Stelle

Und tauch es ein, daß es die Flut bedeckt.

Bald ist es heil: geschweißt, gestählt, gestreckt,

Und schimmert wieder in der alten Helle.

 

Deutschland, o daß Dein Volk den Bronnen fände

Und aus der bangen Nacht zum Licht erstände,

Verklärt das Antlitz von Frau Holda’s Quell,

 

Höbe den Notung heil aus reinen Fluten

Und schwäng ihn in des Ostermorgens Gluten

Bewehrt und strahlend wie Sankt Michael!

 

 

XIII. – Nach dem Gewitter

 

Ein letzter Blitz. Das Wetter fern vergrollt,

- Ein Rollen dumpf wie Schüttern schwanker Bleche -.

Die Sonne drängt, daß sie die Wand durchbreche

Der dunklen Wolken, die sie zackt mit Gold.

 

Wie dampft der Grund! Der Sturm hat ausgetollt

Und rüttelt noch am Tor in letzer Schwäche.

Aus engen Gassen stürzen kühle Bäche.

Ein Hauch vom Anger atmet herb und hold.

 

Nun gehn die Fenster und die Türen auf.

In dumpfe Stuben rinnt die linke Kühle.

Ich aber gehe still den Berg hinauf.

 

Gesänftigt ist das Stürmen der Gefühle,

Und meine Seele hofft auf neues Hoffen;

Ström in mich ein – die Türen stehen offen!

 

 

XIV. - Mondnacht

 

Der Mondenschein fließt durch die stillen Gasen

Und übergießt mit Silber Haus und Dach.

Die Fachwerkgiebel schimmern. Jedes Fach

Ist ein Opal, den Bronzerahmen fassen.

 

Die Kirche stellt die aufgetürmten Massen

Schwarz vor den Mond. In friedlichem Gemach

Ist hier und da noch eine Lampe wach.

Fern klingt ein Lied. Der Marktplatz liegt verlassen.

 

Der Brunnen plätschert und die Linden rauschen

Und alles scheint zu flüstern und zu lauschen.

Ein Bursch ergeht sich saht mit seinem Mädchen.

 

Sie bergen sich im Dunkel eng vereint.

Wie klug ihr zwei! Wenn euch der Mond bescheint,

Spricht morgen früh von euch das ganze Städtchen.

 

 

XV. - Ausklang

 

Und alles ist geblieben wie es war:

Die Giebelhäuser mit verkröpften Ecken,

Mit Pfeilern, Eierstab, Konsolen, Schnecken,

Mit frommer Inschrift, Namen, Tag und Jahr.

 

Vom  Brunnen auf dem Markte plätschern klar

Wie einst vier Strahlen in das runde Becken;

Und vor dem Tor blickt durch die Buchenhecken

Der Gärten Fülle lockend, wunderbar.

 

Und dann hinaus! Das Wiesental hinan

Durch Dorf und Wald zum alten Burggemäuer.

Dort träumt ich oftmalsin die Weiten lugend

 

Von fernem Glück und seltnem Abenteuer.

Mein liebes Land! Es blickt aus Dir mich an

Vertraut und ferne meine eigne Jugend.